Wie man gequält wird

885 52 5
                                    

»Davina.« Eine Stimme hallt durch die Dunkelheit und lässt mich hektisch hin- und herschauen. Sie ist nicht mehr als ein Flüstern, das immer und immer wieder meinen Namen sagt. Ich kann nicht bestimmen, ob es sich dabei um eine weibliche oder um eine männliche Stimme handelt. Doch sie jagt mir eine Gänsehaut über die Arme, die sich immer mehr ausbreitet, bis mein ganzer Körper zittert.
»Es wird Zeit.« Wie ein Echo hallen die Worte durch die Finsternis immer wieder, bis wieder alles ganz still ist. Unter normalen Umständen würde mich die Angst nicht so sehr lähmen, wie in diesem Moment. Doch die Tatsache das ich überhaupt nichts sehen kann, lässt meine Angst meinen ganzen Körper bestimmen. Mein Atem geht stoßweise, während ich das Gefühl habe, das Hände meinen Hals umfassen und leicht zudrücken. Mit jeder Sekunde verstärkt sich der Druck um meinen Hals. Reflexartig lege ich meine Hand um meinen Hals, berühre aber keine fremde Hand, wie ich es erwartet habe.
»Du weißt gar nicht, wie schwer mir das fällt.« Die Stimme, die ich nun definitiv als weiblich identifizieren kann, ist so deutlich zu hören, als würde die Frau direkt vor mir stehen. Ein glänzendes Licht, das mich beinahe erleichtert aufseufzen lässt, das ich nicht plötzlich erblindet bin, blendet mich und vertreibt die Finsternis um mich herum. Ich kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder aufschlage, erblicke ich unzählige Bäume um mich herum. Obwohl ich zwischen den Baumkronen die ersten Sonnenstrahlen des Sonnenaufgangs erblicken kann, der den Tau der Blätter wie Diamanten glitzern lässt, gilt meine Aufmerksamkeit der schwarzhaarigen Frau, die auf der Lichtung kniet. Ihr rotes Kleid ist an einigen Stellen leicht eingerissen, sodass sie nicht ganz so atemberaubend wirkt, wie sie wahrscheinlich von anderen wahrgenommen wird.
»Du musst stark sein.« Erst jetzt bemerke ich, dass die Frau gar nicht alleine ist. Vor ihr steht ein kleines Mädchen mit feuerroten Haaren, das ihren Kopf zur Seite neigt, als wüsste sie nicht, wovon die Frau spricht. Da sind wir schon zwei. »Es wird nicht leicht sein.« Die Stimme der Frau zittert wie Espenlaub. »Aber ...« Ich höre die Fremde laut schlucken. »Wenn es eine andere Möglichkeit gebe, würde ich sie ergreifen. Es tut mir so leid.«
Das kleine Mädchen legt ihre Hand an die Wange der Frau. »Nicht traurig sein.« Ihre Stimme klingt so sanft wie die eines Engels. Unschuldig. Rein. Bestimmt ahnt sie nicht, was die Schwarzhaarige vor hat, sowie ich auch nicht. Doch die Tränen die sich langsam in den Augen der Fremden bilden, lassen mich vermuten, dass ihr es nicht leicht fällt. Sie legt ihre Arme um das Mädchen und drückt sie fest an ihre Brust. Ihr Gesicht versinkt sie in den schulterlangen, roten Haaren der Kleinen, die im Sekundentakt nach Luft schnappt. Sowie mir, ist wahrscheinlich auch der Frau bewusst, dass sie durch ihre Umarmung dem kleinen Mädchen die Luft zuschnürt. Doch die Kleine beschwert sich nicht, signalisiert nicht das sie die Umarmung lockern soll, sondern lässt die Prozedur beinahe still über sich ergehen.
»Es wird Zeit« Eine tiefe Stimme lässt die Frau ihre Arme von dem kleinen Mädchen nehmen, die erleichtert aufseufzt. Ein Lächeln umspielt meine Lippen bei dem Anblick des Mädchens. Sie wollte es der Frau nur Recht machen, ganz gleich wie sie sich selbst dabei gefühlt hat. Sie erinnert mich an ... nun ja, an mich.
Mein Blick schweift an den zwei vorbei, zu den Bäumen, zwischen die ein Mann hervor tretet. Ehe ich jedoch sein Gesicht sehen kann, verschwimmt die Szene vor mir und löst sich in schwarze Schwaden auf, die mich wieder in komplette Dunkelheit umhüllen.
»Nette Erinnerung nicht wahr?«
Hastig schaue ich mich um, kann jedoch wieder nichts anderes sehen als pure Dunkelheit. Die Stimme klingt diesmal anders. Nicht sanft. Nicht hallend. Einfach nur bösartig. »Erinnerung?« Meine eigene Stimme hallt durch die Leere und lässt mich meine Stirn in Falten legen. Seine eigene Stimme zu hören ist seltsam. Ich höre mich seltsam an.
»Du bist nicht hier, um nette Erinnerungen zu sehen.« Die Stimme klingt gehässig. Verhöhnt mich mit ihrem Lachen, ehe ein weißer Wolf durch die Dunkelheit auf mich zukommt. Durch unsere Umgebung strahlt das Fell, sowie die gelben Augen des Tieres heller als in einer normalen Umgebung. Für gewöhnlich zolle ich diesen Geschöpfen sehr viel Respekt, schließlich bin ich unter Werwölfen aufgewachsen, doch etwas an dem Tier scheint mir nicht geheuer zu sein. Mein linkes Bein kribbelt, begleitet von einem pochenden Schmerz, das mich dazu veranlasst mein Gewicht auf das andere zu verlagern. Die Angst packt mich wieder. Lähmt mich. Als wäre ich die Maus und er die Katze. Oder doch lieber ich die Katze und er der böse Wolf? Wie man es auch betrachten will, zum ersten Mal weiß ich, wie sich die Angst vor dem Tod anfühlt.
»Meine Gestalt erinnert dich an die Hetzjagd, nicht wahr?« Das Maul des Tieres bewegt sich nicht, dennoch bin ich mir sicher, das der Wolf mit mir spricht.
»Natürlich spreche ich mit dir. Wer sollte sonst mit dir kommunizieren?« Ich bin mir sicher. Absolut sicher. Der Wolf spricht mit mir, warum auch immer er das kann, und er kann ... er kann meine Gedanken hören. Ein schauriger Gedanke.
»Kein Wunder gibt es noch so wenige Rothaarige auf der Welt«, knurrt er. »Ihr habt die Weisheit nicht gerade mit Löffeln gefressen.« Das Tier knurrt lauter. Animalischer. Fletscht die Zähne und baut sich vor mir auf. Als ob er es nötig hätte mir zu zeigen, wer in einem Kampf den Kürzeren ziehen würde. Ich hätte noch nicht mal die Hoffnung vor ihm fliehen zu können, wenn er mit massiven Stahl angekettet wäre. Mein Schicksal ist besiegelt. Heute werde ich sterben. Aufgefressen von einem Wolf. Ziemlich ironisch, wenn ihr mich fragt.
»Vor einigen Jahren hast du noch anders darüber gedacht.« Ich lege den Kopf schief. Dumme Angewohnheit. Das mache ich immer, wenn ich mein Gegenüber verstehen will, mir das aber absolut nicht möglich ist. »Hetzjagd.« Als hätte der Wolf irgendein Codewort benutzt, blendet mich wieder grelles Licht, ehe ich mich wieder in diesem Wald von vorhin befinde. Ist es überhaupt der gleiche Wald? Ich bin nicht sicher, aber es ist mir auch egal. Hier sind Bäume. Hier riecht es nach nassem Gras und reiner Luft. Es ist definitiv ein Wald.
»Gleicher Wald, Rotschopf.« Es kommt mir beinahe so vor, als würde der Wind die Stimme des Wolfs zu mir tragen, doch ehe ich mir nähere Gedanken darüber machen kann, entdecke ich ein kleines Mädchen, das sich keuchend an einem Baum lehnt. Ich erkenne sie sofort wieder. Sie ist das Mädchen von vorhin, die bei dieser schwarzhaarigen Frau stand. Sie ist nicht einen Zentimeter größer geworden. Vielleicht liegen diese zwei Szenen zeitlich nicht weit von einander. Sofern sie überhaupt passiert sind.
»Natürlich ist das passiert.« Wieder ertönt das höhnische Lachen des Wolfs. »Schließlich sind das deine Erinnerungen.«
Ehe ich weitere Fragen stellen kann, lässt mich das Heulen eines Wolfs zusammenzucken. Ich habe das Gefühl, das es sich dabei nicht um das Geräusch des Tieren handelt, das schon seit einer Weile mit mir spricht.
»Warum ...« Das kleine Mädchen flüstert, als hätte sie Angst das der Wolf sie hören könnte. Unbegründet, wenn ihr mich fragt. Selbst ich, als Mensch, kann den Angstschweiß der Kleinen riechen, ja beinahe sogar schmecken, da müsste es ein Leichtes sein, für einen Wolf ihre Witterung aufzunehmen.
Seufzend stößt das Mädchen sich vom Baum ab und rennt los, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihr her. Vielleicht war er das auch. Ich kann ihre Panik spüren, als wäre es meine Eigene. Doch anders als mich vorhin, lähmt die Angst das Mädchen nicht. Nein. Es weckt sie viel mehr auf. Lässt sie handeln. Das nützt ihr jedoch nichts. Anders als sie kann ich den weißen Wolf sehen, der knurrend den Abstand zwischen ihnen verkleinert. Keuchend wirft das Mädchen einen Blick über ihre Schulter und entdeckt mit großen Augen die Kreatur die sie verfolgt. Sie muss sein Knurren gehört haben. Die zwei trennen immer weniger Meter.
Ich lege meine Hand auf meine Brust und spüre meinen heftigen Herzschlag.
»Bitte nicht«, wispere ich. Beinahe im richtigen Zeitpunkt hechtet die Kleine nach links. Beinahe. Zeitgleich mit ihr falle ich auf die Knie und schreie mit ihr gemeinsam meinen Schmerz durch die Wälder.
Verdammt. Durch mein Bein zieht sich ein unsagbarer Schmerz, als hätten die Reißzähne des Wolfs nicht das arme kleine Mädchen erwischt, sondern mich oder ist es viel mehr so, das sie ihren Schmerz mit mir teilt?
»Ihr teilt euch den Schmerz nicht.« Also so langsam geht mir dieser selbstgefällige Wolf mit seiner besserwisserischen Art gehörig gegen den Strich. »Es ist dein Schmerz. Es sind deine Erinnerungen.«
Ich schlucke und schaue wieder zu dem Mädchen, die sich inzwischen auf den Rücken gedreht hat und langsam nach hinten robbt, ohne den Wolf aus den Augen zu lassen. Ich frage mich, wie ich, sofern es sich hierbei tatsächlich um meine Erinnerungen handelt, vor diesem Wolf flüchten konnte. Doch meine Frage bleibt unbeantwortet. Das letzte, was ich sehe, ist der Sprung des Wolfs, bereit dem Mädchen in die Kehle zu beißen, ehe sich alles wieder in schwarzen Schwaden auflöst und ich wieder in stechend gelbe Augen blicke. Diesmal entblößt er seine Zähne nicht oder baut sich vor mir bedrohlich auf. Sitzend, mit halb hängenden Ohren, beobachtet mich das Tier.
Fein. »Wenn das meine Erinnerungen sind, an die ich mich ironischerweise nicht erinnern kann, wie zur Hölle habe ich dann überlebt?«
Der Wolf erinnert mich an ein bockiges Kind, als es den Kopf wegdreht. »Ich zeig dir deine schlimmen Erinnerungen und nicht deine guten.« Als er seinen Kopf wieder zu mir dreht, packt mich wieder die Angst. Etwas in dem Ausdruck seiner Augen hat sich verändert. »Mein Glück, das du mehr schlimme Erinnerungen hast.«
Vereinzelte Schweißtropfen rinnen meine Wirbelsäule entlang, während mich wieder ein grelles Licht blendet und sich altbekannte Bäume in mein Sichtfeld befinden. Ein Wald. Aber natürlich.
Ich seufze und mache einen Schritt nach vorne. Das plätschernde Geräusch, das meine Fußsohle auslöst, als hätte ich in eine Pfütze getreten, lässt mich innehalten. Ich neige meinen Kopf nach unten und nehme mit schreckensgeweiteten Augen die rote Pfütze wahr, in die ich getreten bin. Blut, schießt es mir im selben Augenblick durch den Kopf, als es jemand anderes ausspricht. Vor mir sehe ich Kova, der in seiner eigenen Blutlache liegt und ... mich. Ich kenne diese Szene. Ich habe sie schon einmal gesehen. Damals habe ich gedacht, das sei Prinz Dorians Gabe gewesen, mir diese Bilder einzupflanzen, aber vielleicht habe ich mich geirrt.
Das höhnische Lachen des Wolfs echot durch den Wald. »Noch ist sie nicht deine Erinnerung, aber das wird sie bald sein.«
Ich wende meinen Blick von dem tragischen Anblick meines besten Freundes ab und starre in den wolkenklaren Himmel empor. »Was meinst du mit bald?« Ich zögere, entscheide mich jedoch trotzdem die nächste Frage zu stellen: »Wie kann ich das verhindern?« Meine Stimme schrillt durch den Wald, sodass ich mir sicher bin das der Wolf, wo auch immer er im Moment steckt, mich gehört hat. »Verhindern? Gegen das Schicksal kannst du nichts unternehmen.« Ich schlucke den großen Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, herunter. Nicht heulen, ermahne ich mich. Bloß nicht heulen.
»Sieh gefälligst hin!« Die jähzornige Stimme des Raubtiers läutet so präsent in meinen Ohren, als würde er direkt vor mir stehen. Doch vor mir sehe ich nur mich selbst und Kova. Obwohl mich der Anblick meines besten Freundes schmerzt, schaue ich nicht weg, sowie der Wolf es verlangt hat. Während ich beobachte, wie Kova seine letzten Atemzüge macht, habe ich die Hoffnung das nach seinem vermeintlichen Tod auch dieser Albtraum endet. Doch ich habe mich geirrt. Ganz gewaltig geirrt. Denn dieses bösartige Tier war noch lange nicht fertig. Mit Erinnerungen aus meiner Kindheit, die ich beinahe fast alle erfolgreich verdrängt hatte, schäumten auch all meine damaligen Gefühle in mir wieder hoch. Damals wollte ich einfach nur vergessen. Doch heute ... Das Raubtier lässt mich nicht vergessen und ich weiß nicht, was das für Auswirkungen auf meine zukünftigen Entscheidungen hat.

 Das Raubtier lässt mich nicht vergessen und ich weiß nicht, was das für Auswirkungen auf meine zukünftigen Entscheidungen hat

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
DragonbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt