Zuerst bewegen sich meine Füße langsam über das von Tau bedeckte Gras.
Ich habe keinerlei Ahnung, wobei es sich um die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Drachen und den Dämon handelt. Vielleicht liegt es an dem Konflikt, den Kova einst angedeutet hat, der zwischen den Kreaturen herrscht. Aber ehrlich gesagt, ist mir das im Moment ganz gleich.
Ich beschleunige meine Schritte, bis mein Gehen zu einem Laufen und letztendlich zu einem Rennen übergeht. Ein stechender Schmerz in meinen Lungen erinnert mich daran, dass meine Ausdauer so groß ist, wie die eines Baumes – nicht vorhanden. Doch das veranlasst mich nicht dazu, stehen zu bleiben. Vielmehr beschleunige ich mein Tempo. Obwohl es mir so leicht fällt, mit hohen Absätzen zu laufen, wie die Luft, um mich herum zu atmen, sorge ich mich darum, doch noch mit einem Fuß abzuknicken. Doch das passiert nicht. Hechelnd, wie ein Werwolf nach einer Verfolgungsjagd, bleibe ich stehen, beuge mich halb nach vorne und stütze meine Hände auf meine Oberschenkel ab. Einige umstehende Bewohner, an denen ich vorbei gerannt bin, müssen gedacht haben, der Teufel höchst persönlich wäre hinter mir her. Und genau so hat es sich auch angefühlt.
Ich werfe einen Blick über meine Schulter, kann jedoch nichts weiter ausmachen, als den Horizont, an dem die Sonne bereits halb untergegangen ist. Niemand ist mir gefolgt.
Warum sollte dir auch jemand folgen? Die gehässige Stimme in meinem Kopf pocht schmerzhaft gegen meine Schläfen. Stöhnend reibe ich mir mit meinen Zeige- und Mittelfinger gegen die Stelle, ehe ich meinen Kopf wieder nach vorne Wende.
»Davina!«
Ein quiekendes, schrilles Geräusch, das mir aus meiner Kehle entweicht, schrillt in meinen Ohren, als ich den Halt unter meinen Füßen verliere und polternd auf meinen Hintern lande. Stöhnend registriere ich, das der bepflasterte Boden in der Hauptstadt genauso hart ist, wie ich es angenommen habe. Obwohl der Ton, der mir aus dem Mund kam, voller Panik gefüllt war, lässt es die Dorfbewohner kalt. Desinteressiert laufen sie an mir vorbei, wobei ich froh sein kann, das sie wenigstens einen Bogen um mich machen, statt über meinen Körper zu laufen, als wäre ich ein entbehrliches Insekt.
»Kannst du mir verraten, was du in der Hauptstadt zu suchen hast?« Mein Blick huscht nach oben zu einem kleinen weiblichen Körper, der kaum größer ist, als mein Zeigefinger. Mit schlagenden Flügeln und mit gestemmten Händen auf den Hüften schaut mich meine Feenfreundin tadelnd an. Wäre meine momentane Situation nicht so absurd, könnte ich vielleicht über Asenas wütenden Auftritt lachen. Doch ich lache nicht und verziehe keine Miene, als ich mich wieder auf meine Beine schwinge.
»Ich bin nicht freiwillig hier.« Mir entweicht ein tiefes Seufzen, das anscheinend mehr über meine momentane Gefühlslage preisgibt, als mir bewusst ist. Augenblicklich werden die Gesichtszüge der Fee sanfter. Ihre Augenbrauen ziehen sich besorgt zusammen.
»Was ist passiert?« Auf Asenas Stirn haben sich Sorgenfalten gebildet, die ich ihr am liebsten mit einem einfachen »Keine Sorge, mir geht es gut.« wegwischen würde, doch das kann ich nicht. Mir geht es alles andere als gut.
»Erinnerst du dich an Kova?« Ich schließe die Augen. Die Bilder seines blutenden Körpers prasseln auf mich ein. »Egal, was jetzt auch passieren wird, du darfst niemandem vertrauen. Nicht dem König, nicht Prinz Dorian und vor allem nicht deinem Vater.« Seine Worte, begleitet von seinen letzten Atemzügen, hallen durch meinen Kopf, wie ein Echo in einer Höhle.
»Wie könnte ich den Mann, der mir den Platz als beste Freundin streitig macht, vergessen?« Ihr schwacher Versuch, mich durch ihren einzigartigen Humor aufzumuntern, lässt mich beinahe schmunzeln.
»Er ist Tod.« Es zum ersten Mal laut auszusprechen, macht die Tatsache so real wie damals die Hinrichtung meiner Mutter. Es kommt mir so vor, als wäre zwischen diesen zwei Verlusten Monate vergangen, dabei liegen nur einige Tage zwischen den Tod meiner Mutter und den Tod meines besten Freundes.
»Was?« Die Sorgenfalten auf Asenas Stirn sind verschwunden und machen Platz für ihre hochgezogenen Augenbrauen und ihre stetig größer werdenden Augen.
»Jemand hat Kova getötet. Scheiße, Asena, ich habe nicht einmal die leiseste Ahnung, wer es gewesen ist, aber sie dachten ich sei es.« Tränen bahnen sich einen Weg an die Oberfläche. Ich kämpfe mit aller Macht gegen sie an, doch es scheint mir unmöglich, als ich in Asenas trauriges Gesicht blicke. Ihre Augenbrauen haben sich zusammengezogen, ihre Lippen bebten und ihre Augen glitzerten gefährlich. Ich lasse meine Schultern hängen und lasse den Tränen ihren freien Lauf. »Sie dachten ich sei es gewesen. Das ich ihn getötet habe.« Nasse Tropfen fahren meine Wange entlang und ziehen eine brennende Spur bis zu meinem Kinn. Meine Augen ruhen immer noch auf Asena, die sich anscheinend mühe gibt gegen ihre Tränen anzukämpfen.
»Wann?« Die Fee wischt die aufkommenden Tränen von ihren Augenwinkeln. Ich weiß nicht, ob Asena um meinen Verlust trauert oder um den jungen Werwolf, den sie nicht einmal kannte.
»Damals als wir im Wald waren.«Asena schüttelt den Kopf.
»Nein. Wann wirst du hingerichtet?« Ich ziehe meine Augenbrauen nach oben. Wie kommt sie denn darauf?
»Gar nicht.« Langsam schüttle ich den Kopf, um ihr zu verdeutlichen, dass sie sich nicht zu sorgen braucht. Asenas Gesichtszüge, die sich noch vor wenigen Sekunden in tiefer Trauer befanden, wandeln zwischen Fassungslosigkeit und Skepsis hin und her, sodass ich gar nicht sagen kann, was sie wirklich fühlt.
»Wie gar nicht?«
Ich lege den Kopf schief. Was war denn an meinen Worten nicht zu verstehen?
»Der König hat mich freigesprochen.« Die Worte kommen mir langsam über die Lippen, damit Asena sie auch versteht. Doch ihre Augenbrauen die ihn die Höhe schießen, lassen mich darauf schließen, das meine Worte nicht wirklich zu ihr durchdringen.
»Mit welcher Begründung?« Ich kann den Ausdruck in ihren Augen nicht benennen. Ist es Erleichterung, Fassungslosigkeit oder doch eher Enttäuschung? Kaum merklich schüttle ich den Kopf. Es gibt keinen Grund so über meine Freundin zu denken, aber warum tue ich es dann?
»Davina?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß es doch selbst nicht.« Ich seufze. »Dieser Dämon und ein Vampir haben versichert, dass ich Kova nicht getötet habe, und dann hat mich Rowan freigesprochen.« Kaum ist das letzte Wort über meine Lippen gekommen, blendet mich ein grelles Licht, das meine Freundin umgibt, ehe ich sie in voller Größe vor mir stehen sehe.
»Habt ihr ein besonderes Verhältnis zueinander?« Ich verenge meine Augen zu schlitzen und starre meine Feenfreundin nieder. Ich habe erwartet, dass sie mich mit einem dummen Spruch versuchen würde, mich aufzumuntern, sowie sie es schon so oft getan hat, oder das sie mich einfach umarmen würde, dass ich mich halbwegs besser fühlen würde, doch stattdessen zweifelt sie meine Unverdorbenheit an. Der stechende Schmerz in meiner Brust, der mich daran erinnert, dass ich sowohl meine Mutter als auch Kova verloren habe, betäubt meine Sinne. Unweigerlich frage ich mich, ob ich auch Asena verloren habe, wenn auch auf eine andere Art und Weise.
»Nein«, zische ich.
Ein weiteres Mal wandern die Augenbrauen der Fee nach oben, ehe sie resigniert seufzt. Ihre Schultern sacken nach unten, als hätte sie gerade die schlimmsten Tage ihres Lebens hinter sich und nicht ich. »Haben dir deine Eltern nie die Geschichten erzählt?«
Ich antworte nicht. Schaue sie nur stumm an, was anscheinend Antwort genug für sie ist. »Es gibt einen Grund, warum so wenig Menschen in Lythanica leben. Es gibt einen Grund, warum du stets verachtet und gemieden wurdest.« Keine Kräfte. Keine besonderen Fähigkeiten. Nichts Besonderes. Das sind alles Gründe gewesen, warum ich stets davon ausging, das ich nie geboren hätte werden sollen, doch etwas in Asenas Ausdruck in ihren Augen, lässt mich stutzig werden. »Die Drachen waren nicht immer ganz oben in der Hierarchie.«
Okay. Es ist so weit. Asena ist verrückt.
»Anfangs waren es die Menschen, die auf dem Thron saßen und über Lythanica herrschten.«
Okay. Ich spiele mit, beschließe ich. »Wenn das wirklich wahr ist, und ich sage nicht, dass ich dir das abkaufe, warum sollten die Drachen sich von einem Menschen befehligen lassen, geschweige denn vor ihnen niederknien?« Die Vorstellung daran lässt mich frösteln. Undenkbar das eine so gewaltige, mächtige Kreatur sich unter einer Spezies, meiner Spezies, unterordnet. Nein, das ist einfach nur lächerlich.
»Sie hatten nicht wirklich eine Wahl.« Asena zuckt mit ihren Schultern. Ich kann mir kaum vorstellen das eine fliegende Kreatur, die Feuer speien kann, keine Wahl hat. »Der letzte König war anders.« Ich lege den Kopf schief und mache eine kurze Handbewegung, um ihr zu signalisieren, dass sie fortfahren kann. »Der König hatte alle Drachen in Lythalum eingesperrt.« Ich spüre wie sich Falten auf meiner Stirn bilden, als ich meine Augenbrauen zusammenziehe. Lythalum habe ich noch nie persönlich besucht – wie denn auch? – aber ich habe in Büchern einige Bilder gesehen. Es befindet sich westlich der Hauptstadt, an der Grenze von Tyum, einem kleinen Dorf, an dem Magier ausgebildet werden. Im Kindesalter werden sie von ihren Eltern getrennt, sofern man in ihnen eine Begabung ausmachen kann, und nach Tyum gebracht. Ich weiß nicht, zu was Magier in der Lage sind, nur das man sie unter zwei Arten unterscheiden kann. Die Licht- und Schattenmagier. An einem bestimmten Punkt in ihrem Leben wird entschieden, zu welcher Art sie gehören, wie genau das vonstattengeht ist mir ein Rätsel. Umso neugieriger bin ich, warum der letzte König, sofern ich Asenas Worten glauben schenken kann, die Drachen gerade in der Nähe der Magier gefangen hielt.
»Warum dort?«
Asena zuckt mit den Schultern. »Warum? Warum hat der König die Drachen überhaupt gefangen genommen? Warum hat er sie gefoltert und getötet? Niemand kennt die Beweggründe des alten König, nur seine Grausamkeit.« Ich blinzle mehrmals.
»Warum erzählst du mir das überhaupt?«
»10 Jahre, Davina. 10 Jahre hat der König Männer, Frauen und Kinder gefoltert und auf die schlimmsten Art und Weisen hinrichten lassen. Menschen werden gemieden und verachtet, wegen dem, was der alte König Nyr getan hat.« Ich keuche. Ich werde also seit Anbeginn meiner Erinnerungen dafür bestraft, was ein anderer getan hat? Das erscheint mir nicht fair. Allein der Gedanke daran macht mich wütend. Ich ramme meine Fingernägel in meine Handinnenfläche und zische: »Ich habe nichts getan.«
Ich sehe einen Funken Mitleid in Asenas Augen aufflammen. Sie legt mir eine Hand auf meine Schulter und drückt sanft zu. »Das spielt keine Rolle.« Ich bemerke, wie Asena mit sich selbst ringt, ob sie überhaupt fortfahren soll oder es dabei belassen soll. Obwohl mein Herz im stetigen Galopp gegen meine Brust hämmert, möchte ich nicht, das sie mir etwas verheimlicht. Ich nicke, fordere sie stumm auf weiterzusprechen.
»König Rowan hat die Menschen gejagt. Jeden Einzelnen. Er hat sie verbrannt. Nur die Kinder hat er verschont. Die meisten von ihnen wurden zu Diener oder Mägden der Elfen. Wer sich auch nur einen kleinen Fehltritt erlaubt hat, bekam kein Erbamen von dem König.« Mit großen Augen starre ich die Fee an. Ich habe gehört, dass der König der Drachen als rücksichtslos und grausam beschrieben wird, habe es jedoch als Gerücht abgestempelt, als ich ihn kennengelernt habe. Asenas Offenbarung verrät mir jedoch, das Rowan der Grund ist, weswegen ich bei den Werwölfen lebe. Meine leiblichen Eltern haben mich nicht verlassen. Sie wurden von ihm höchstpersönlich hingerichtet, sowie meine Mutter. Gerüchte. Man sagt, an ihnen ist immer ein Funken Wahrheit, doch nun weiß ich, dass jedes Gerücht über Rowan wahr ist.
»Er wollte von mir wissen, was passiert ist«, überlege ich laut, ehe ich die entscheidende Frage an meine Freundin richte: »Warum hat er mich nicht sofort hinrichten lassen?« Meine Augen brennen. Asena zieht mich in eine Umarmung. »Das frage ich mich schon, seit du mir davon erzählt hast«, flüstert sie mir ins Ohr, während ich nichts anderes tun kann, als den Tränen, die wie Feuer auf meiner Haut brennen, freien Lauf zu lassen. Ich schluchze. Schreie. Will Asena von mir drücken. Sie schlagen. Doch sie verstärkt ihre Umarmung nur. So, als wüsste sie, dass ich diesen Halt, diese Geborgenheit, in diesem Moment mehr brauche als jemals zuvor.
DU LIEST GERADE
Dragonblood
Fantasy• 𝔼𝕣 𝕨𝕚𝕣𝕕 𝕖𝕟𝕥𝕨𝕖𝕕𝕖𝕣 𝕕𝕒𝕤 𝔹𝕖𝕤𝕥𝕖 𝕗ü𝕣 𝕕𝕚𝕔𝕙 𝕤𝕖𝕚𝕟 𝕠𝕕𝕖𝕣 𝕕𝕒𝕤 𝕊𝕔𝕙𝕝𝕚𝕞𝕞𝕤𝕥𝕖 • Vor 10 Jahren haben sich die Drachen erhoben und den Menschen ihrer Macht, über das Reich Lythanica zu herrschen, entzogen. Seit jeher...