Wie man vom König bemerkt wird

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Seufzend lege ich meine Hand auf die kalte Fensterscheibe. Meine Muskeln schmerzen von meiner unbequemen Schlafposition, dennoch habe ich schon lange nicht mehr so gut geschlafen wie letzte Nacht. Keine Träume. Keine Stimme. Es fühlt sich beinahe so an wie früher. Beinahe. Anders als früher, befinde ich mich in einem Schloss. Anders als früher, empfinde ich keine Freude, wenn ich an Kova denke, sondern nur Schmerz. Anders als früher, erwarten mich keine Schimpftiraden von meiner Mutter.
     Obwohl später Nachmittag ist, ist es draußen düster. Nur die Lichter, die vom Schloss ausgehen, erhellen einige Passagen vor dem Gebäude. Der Regen prasselt unnachgiebig vom Himmel und hinterlässt lautstarke Töne. Meine Hand vibriert unter der Scheibe, sodass ich versucht bin, mich von diesem trostlosen Anblick loszureißen. Doch etwas in meinem Inneren hindert mich daran. Es ist, als würde eine unsichtbare Macht, ein unsichtbares Verlangen, mich hier an Ort und Stelle fixieren wollen.
     »Das meinst du nicht ernst.« Obwohl mein Fenster zu ist, kann ich deutlich eine Frauenstimme hören. Reyna, die Elfe, die damals mit Rowan auf dem Ball war, steht unterhalb meines Fensters. Sie bemerkt mich nicht, das lässt sie jedoch nicht weniger bedrohlich auf mich wirken. Ihre Arme hat sie auf ihre Hüften gestemmt. Selbst von dieser Entfernung kann ich die Anspannung, die auf ihr lastet, erkennen. Ihr Körper zittert, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht an den eisigen Temperaturen liegt, die heute in Lythanica herrschen.
     Ein Mann tretet aus den Schatten. Das fahrige Licht, das von meinem Fenster ausgeht, erhellt die Hälfte seines Gesichtes, während die andere Hälfte weiterhin in Schatten gehüllt sind. Obwohl ich ihn aus der Entfernung, gepaart mit dem Regen, kaum erkennen kann, weiß ich, wer da draußen steht. Dieses schwarze Haar würde ich überall wiedererkennen. Rowans Haltung ist ruhig und dem eines Königs absolut würdig. Gerade noch so sehe ich, wie sich seine Lippen bewegen, kann jedoch nicht hören, was er sagt. Er scheint nicht im Geringsten so aufgebracht zu sein, wie sein Gesprächspartner. Außer sich vor Wut wirft Reyna ihre Arme in die Luft. Reynas Stimme durchschneidet die Luft und lässt den Regen verstummen. »Das kannst du nicht machen.« Ihre Stimme bebt. Man muss kein Genie sein, um zu wissen, das die Elfe wütend auf den König ist. Warum das so ist, bleibt mir ein Rätsel.
     Meine Augen wandern automatisch zu Rowan zurück. Seine Gesichtszüge sind ausdruckslos, geben keinen Aufschluss auf seine Gefühle. Seine Lippen bewegen sich wieder, doch seine Worte scheinen Reyna nicht zu beruhigen. Ganz im Gegenteil. In einer mir fremden Sprache flucht sie lautstark, sodass ich zusammenzucke. Den König scheint das jedoch kalt zu lassen.
     Ich sehe ihn seufzen, ehe er nach oben schaut. Seine grünen Augen, die zuvor so leer gewirkt haben, beginnen zu leuchten, als er mich entdeckt. Es ist, als würde allein mein Anblick ihn wieder zum Leben erwecken. Die Farbe in seinen Augen schimmert in einem so grellen Grünton, dass es seine Umgebung für mich verblassen lässt. Seine Gesichtszüge, die zuvor noch ausdruckslos waren, werden sanfter. Seine Lippen deuten den Anflug eines Lächelns an, das er jedoch zu verhindern weiß. Ich bin wie gebannt. Gebannt von seinem Anblick. Gebannt von seiner Erscheinung. Obwohl mir die Bilder seiner Hinrichtungen in den Kopf schießen, kann ich nichts gegen diese Anziehungskraft unternehmen. Ich sehe, wie ein Schwert meine Mutter durchbohrt. Ich sehe, wie unzählig fremde Menschen in Flammen aufgehen. Doch mit einem Mal scheint mir das nicht mehr wichtig zu sein. Nur der König, dessen sanfter Blick nur mir gilt, ist alles, was für mich im Moment zählt. Es sollte mir Angst einjagen. Angst vor ihm und Angst davor, wie er mich fühlen lässt. Doch dem ist nicht so. Mein Herz gerät ins Stolpern und schlägt unaufhaltsam gegen meine Brust. Ich hätte den König ewig anstarren können und wäre niemals in der Lage dazu gewesen meinen Blick aus eigener Kraft von ihm abzuwenden.
     Ein Klopfen lässt mich zusammenzucken und den Blickkontakt abbrechen. Vor dem Fenster sitzt ein Vogel, dessen weißes Gefieder völlig durchnässt ist. Ich erkenne den Falken sofort, sodass ich ohne groß darüber nachzudenken das Fenster öffne und ihn ins Warme lasse. Als Falco auf meine Schulter gleitet, schließe ich sofort das Fenster, ohne nochmals hinauszuschauen.
     »Hallo Falco«, flüstere ich und lasse einen Finger über seinen Brustkorb gleiten. Trotz der Nässe fühlt sich sein Gefieder immer noch weich an. Der Falke schließt seine Augen, genießt den kurzen Moment der Zuneigung, ehe ich mich dem Zettel widme, der um sein Bein gewickelt ist. Die Nachricht haben die aktuellen Wetterumschläge nicht so hart erwischt, wie den Boten. Ich schlucke. Eine Neugier, begleitet von einer unbeschreibbaren Angst, nimmt Besitz von meinem Körper ein. Ich würde nichts lieber tun, als den Zettel aufzufalten und zu lesen, was darin steht, doch das Zittern meiner Hände hindert mich daran. Nur eine Person konnte mir eine Nachricht mithilfe von Falco zukommen lassen und das macht mir mehr Angst, als meine Bedenken Rowan gegenüber.
     Seufzend lege ich den eingerollten Zettel auf die Kommode neben meinem Bett. Der Falke fliegt von meiner Schulter und landet elegant auf den Fenstersims. Der weiße Kopf des Tiers neigt sich nach links, als wolle er mich stumm fragen, was ich überhaupt mache. Ich zucke mit meinen Schultern. Als Reaktion bekomme ich von dem Falken nur einen letzten abschätzigen Blick zugeworfen, ehe er sein Gefieder aufplustert und seinen Kopf in seine Brust bettet.
     Mein Blick wandert über den Falken zu der Fensterscheibe. Ich sehe meine Erscheinung darin spiegeln. Mein rotes Haar geht mir leicht über mein Schultern. Meine helle Haut ist weder von Dreck besudelt, noch von dunklen Augenringen. Alles in allem sehe ich besser aus, als in den letzten Tagen.
     Mit stockendem Atem nehme ich durch das Spiegelbild wahr, wie sich die Tür hinter mir öffnet. Kein Klopfen, kein Anzeichen dafür, das man mich überhaupt stören darf, ertönte.
     Der Mann, der die Tür zu meinem Gemach geöffnet hat, überquert die Türschwelle und lässt das schwere Holz knarrend ins Schloss fallen. Meine Augen ruhen auf das Grün des Königs, das ich durch das Fenster sehen kann. Er erwidert meinen Blick. Er sagt nichts. Rührt sich nicht. Er schaut mich nur an.
     Mit gedrosseltem Tempo drehe ich mich langsam um. In Rowans Augen blitzt eine Freude auf, von der ich nicht sagen kann, woher sie kommt. Er wartet einige Sekunden. Ein Wimpernschlag. Zwei. Drei. Dann macht er einen Schritt nach vorne. Einen nach dem anderen.
     »Was machen Sie da?« Ich versuche, höflich zu sein und ihm nicht wissen zu lassen, wie unwohl mich seine Anwesenheit macht.
     »Ich komme langsam auf dich zu.« Das tiefe Timbre schickt einen Stromschlag durch meinen Körper. Ich mache einen Schritt zurück. Ich bin nicht fähig zu entscheiden, was ich als Nächstes tun soll. Seinem Blick ausweichen oder ihm trotzig standhalten? Weiter zurücklaufen oder ihm freudig entgegenkommen?
     »Warum?« Meine Stimme zittert. Die Unsicherheit ist nicht zu überhören.
     »Wenn ich schneller gehen würde, wärst du versucht wegzulaufen.« Der König bleibt vor mir stehen. Uns trennt kaum noch ein halber Meter. Ich spüre das Blut in meinem Körper kochen. Mein Atem stockt, während mein verräterisches Herz dem Drachen vor mir signalisiert, das mich sein Anblick nicht kalt lässt. Es stolpert, setzt einen Schlag aus, um dann noch schneller zu schlagen. »Und das würde ich nur allzu gerne vermeiden«, er flüstert die Worte, wie ein Versprechen, das nur mir gilt. Der Grünton in seinen Augen vermischt sich in den verschiedensten Nuancen. Sie lodern wie flackernde Flammen und scheinen meine noch so kleinen Bewegungen wahrzunehmen. Das Blinzeln meiner Augen. Meine halb geöffneten Lippen. Das Bewegen meines Hals, als ich schlucke. Ich fühle mich gesehen. Gesehen von dem mächtigsten und gefürchtetsten Mann in ganz Lythanica.
     Langsam, darauf bedacht keine hektischen Bewegungen zu machen, legt Rowan seine Hand auf meine Wange. Hitze durchflutet die Stelle und hinterlässt ein Kribbeln, das ich zuvor noch nie gespürt habe. Mein Augenpaar schielt zu der Hand, die mich mit dem Daumen streichelt.
     Als ich Rowan das erste Mal begegnet bin, hätte ich niemals gedacht, dass das, was nun geschieht, jemals geschehen würde. Selbst jetzt traue ich meinen Augen kaum.
     Seine Hand wandert von meiner Wange zu meinem Hals, bis sie meinen Nacken erreicht. Die Stellen, die er berührt hat, brennen und lassen mich nicht vergessen, dass das wirklich passiert ist. Rowan packt grob meinen Nacken. Ich keuche.
     Hat jetzt mein letztes Stündlein geschlagen?
     Mit einer kurzen Bewegung zieht er mich näher an sich heran. Meine Augen weiten sich. Unfähig in irgendeiner Art und Weise zu reagieren, lasse ich ihn tun, was auch immer er tun will. Rowan schließt langsam seine Augen und ... legt seine Lippen sanft auf meine.
     Ich kann nicht sagen, was sich geändert hat, was ihn dazu bewegt hat, diesen Schritt zu gehen, aber es ist mir egal. In diesem Moment zählen für mich die Gründe seiner Handlungen nicht. In diesem Moment zählt nur Rowan und ich und wie gut sich seine weichen Lippen auf meinen anfühlen.
     Rowans Hand, die noch immer meinen Nacken packt, zieht mich noch näher an ihn heran. Seine Zunge gleitet über meine Lippen, bittet um eine Reaktion, da ich immer noch stocksteif da stehe. Langsam lasse ich meine Mauern fallen, schließe meine Augen und lasse seine Zunge meine Lippen teilen. Sie wandert in meinen Mund. Neckt meine Zunge, bis schließlich auch ich nachgebe und meine Zunge bewege. Während das Spiel in meinem Mund weiter geht, lässt Rowan seine andere Hand in mein Haar wandern, um mich näher an sich heranzuziehen. Es fühlt sich beinahe so an, als wäre es vollkommen egal, wie nah ich ihm bin, nichts ist nah genug für den König.
     Ich lege meine Hand auf seine Brust, um irgendwie Halt zu bekommen. Ich bin mir fast sicher das meine Beine jeden Moment nachlassen könnten und ich den Boden unter meinen Füßen verlieren werde.
     Rowans Zunge zieht sich zurück. Sanft beißt er mir in die Unterlippe und zieht daran. Fast im selben Augenblick leckt er über die gleiche Stelle und lässt seine Zunge wieder in meinem Mund gleiten. Krampfhaft ziehe ich an dem Stoff, dass seinen Oberkörper bedeckt. Ich spüre seinen beschleunigten Herzschlag, dass im selben Tempo wie meines zu schlagen scheint. Langsam lässt er meinen Nacken und meinen Hinterkopf los. Ein letztes Mal stupst seine Zunge meine an, bevor er sich zurückzieht und ich wenige Sekunden später auch seine Lippen nicht mehr auf meinen spüren kann. Ich kann ein Wimmern nicht unterdrücken. Ich will mehr. Ich brauche mehr. Doch niemals würde ich das zugeben. Es wäre mir zu peinlich.
     Ich schlage meine Augen auf. Angst davor, was mich wohl erwarten wird, schaue ich in seine leuchtend grünen Augen. Ob er bemerkt hat, dass das mein erster Kuss war? Ob er bemerkt hat, dass mich die Nervosität während diesen Moment gepackt hat, wie zwei Krallen?
     Ich kann Rowans Gefühle in seinem Gesicht nicht ablesen. Ich weiß nicht, was er denkt. Bereut er es? Will er mehr? Sprich doch endlich du dummer König!
     »Eure Hoheit.« Die Tür schwingt auf und knallt lautstark gegen die Wand. Mein Blick schweift an dem König vorbei. Die Frau, die unschlüssig im Türrahmen steht, erkenne ich sofort. Ihr Schwert war es gewesen, dass das Herz meiner Mutter durchbohrt hat.
     »Dhara.« Mein Blick schweift zurück zu Rowan. Er macht keine Anstalten zu der anderen Frau zu schauen. Seine Augen, die immer noch wie zwei Smaragde leuchten, schauen immer noch nur mich an.
     »Wir haben ein Problem.« Dharas Stimme klingt ernst und duldet keine Abweisung.
     »Ich komme sofort.«
     »Aber ...«
     »Ich sagte«, der König unterbricht die Frau »ich komme sofort.« Nun ist es der König, dessen tiefes Timbre keinen Platz für Widerspruch duldet. Im Augenwinkel nehme ich wahr, das Dhara nickt und aus dem Türrahmen verschwindet. Rowans Gesicht ist ein reines Pokerface, das mir keinen Aufschluss darüber gibt, ob ich etwas sagen soll. Sobald meine Hände anfangen zu zittern, versuche ich es zu verstecken, indem ich sie hinter meinen Rücken bugsiere. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Ob meine Reaktion ihn amüsiert oder er meine Unsicherheit genießt, ist mir schleierhaft.
     »Ich muss gehen.« Seine Stimme klingt rauchig, viel sanfter als zuvor bei Dhara. Ich hätte nicht gedacht, dass ich den König nicht kalt lasse. Niemals wäre ich auf den Hirnspinnstiegen Gedanken gekommen, das ich ihm etwas bedeute. Doch genau so ist es, nicht wahr? Ein Kuss hat immer eine Bedeutung. Dieser Kuss hatte eine Bedeutung. Oder zieht etwa der König los und küsst willkürlich irgendwelche Menschen oder andere weiblichen Spezies?
     Rowan macht einen Schritt zurück, dreht sich um und peilt die immer noch offenstehende Tür an. Meine Schultern entspannen sich, trotz der Schwere, die mein Herz umgibt. Abrupt bleibt der König stehen und befindet sich in binnen einer Nanosekunde wieder vor mir. Seine Hände berühren meine Wangen und ziehen mein Gesicht näher zu ihm. Er drückt seine Lippen sanft auf meine. Diesmal ist keine Zunge im Spiel. Fast so, als wäre das hier der Abschied.

 Fast so, als wäre das hier der Abschied

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Hallo ihr Lieben,

gestern war ich fleißig am schreiben, sodass ich nur noch den Epilog abtippen muss, weswegen ich euch schon heute ein Kapitel schenke.

In diesem Sinne: Habt ihr Lust auf eine Lesenacht? Ich würde euch heute oder morgen einfach 3 Kapitel hintereinander hochladen. Gerne könnt ihr mir auch privat schreiben!

Sonnige Grüße,
Ayla

DragonbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt