Obwohl die Sonne bereits weit oben am Himmel auf mich herab scheint, habe ich nicht das Gefühl eine Sekunde geschlafen zu haben, als ich meine Augen aufschlage. Seufzend blicke ich in das schlafende Gesicht von Asena, das auf meiner Schulter ruht. Ihre Gesichtszüge sehen ruhig aus, während sie gleichmäßig atmend.
Ich beiße mir auf die Lippen. Die unzähligen, quälenden Bilder nagen noch immer an meiner Seele.
Ich streiche mir über mein linkes Bein. Es schmerzt nicht mehr sowie in dem Traum. Hastig schaue ich mich um, doch niemand außer Asena scheint bei mir zu sein. Meine Finger krallen sich in den schmutzigen Stoff, den ich langsam nach oben ziehe, bis ich mein linkes Bein frei liegt. Meine Finger streichen über die beinahe verblasste Narbe. Ich habe sie schon oft im Spiegel gesehen, habe mir jedoch nie etwas dabei gedacht. Als Kind hatte ich angenommen, das ich beim Spielen ungünstig gestürzt bin. So sind Kinder. Sie sind tollpatschig und verletzen sich nun mal. Doch ...
Ich muss schlucken. Jetzt, nachdem ich diesen Alptraum hatte, kenne ich die Wahrheit. Am liebsten würde ich es abstreiten, doch die Tatsache, dass die Form der Narbe tatsächlich die eines Bisses ähnelt, lässt mich nicht das Offensichtliche leugnen. Die Erinnerung aus meinem Traum war so real, wie die Luft, die ich gerade atme.
Ich lockere den Griff um den dreckigen Stoff meines Kleides und spüre kaum wie sich meine Nägel in meine Handinnenfläche bohren. Was ist, wenn mehr, als nur der Angriff des weißen Wolfs wahr ist?
»Noch ist sie nicht deine Erinnerung, aber das wird sie bald sein.« Auch jetzt höre ich die Stimme des Tieres in meinem Kopf nachhallen.
Ich schließe die Augen. Egal wie ich es drehe und wende. Egal welche Entscheidung ich treffe oder eben nicht. Das Ergebnis wäre immer das gleiche: Ich kann in einer Welt ohne Kova, ohne meinem besten Freund, der mir stets halt gegeben hat, nicht leben.
Ich öffne meine Augen, nehme behutsam das Gesicht meiner Freundin in die Hand und bette es vorsichtig gegen den Baum, an dem ich mich gelehnt hatte. »Ich komme wieder«, wispere ich, ehe ich mich auf meine Beine hieve und tiefer in den Wald gehe. Wenn Kova tatsächlich verletzt ist, was hoffentlich nicht der Fall ist, muss er in diesem Wald sein. Er muss stets in der Nähe des Prinzen sein, das weiß ich, sonst hätte er uns schon oft in Kyrae besucht.
Ich stolpere über einen Ast, den ich nicht bemerkt habe, und falle ächzend auf den Boden. Ungestüme Beschimpfungen entkommen meinem Mund, als ich mich mit meinen Händen vom Boden drücke. Ich spüre eine warme Flüssigkeit zwischen meinen Finger rinnen.
Bin ich etwa in eine Pfütze gefallen? Es hat doch überhaupt nicht geregnet oder etwa doch?
Ächzend komme ich wieder auf meine Beine und schaue auf meine Hände. Mein Herz setzt einen Schlag aus, nur um in der nächsten Sekunde schneller und stärker gegen meine Brust zu schlagen.
Bums.
Bums.
Bums.
In meinen Ohren rauscht es, während meine Hände unkontrolliert anfangen zu zittern. Eine rote Flüssigkeit rinnt meinen Finger entlang und tropft in einem gleichmäßigen Klang auf den Boden. »Blut«, wispere ich. Wenn ich jetzt aufschaue, weiß ich, was ich sehen werde. Wen ich sehen werde. Obwohl alles in mir schreit nicht nach vorne zu schauen, tue ich es trotzdem. Ein Schmerz durchzuckt mein Herz. Ich will schreien, weinen, doch kein Ton entkommt meinen Lippen. Wie in meiner Erinnerung, ich weigere mich, es Vision zu nennen, liegt Kova vor mir auf dem Boden, in seiner eigenen Blutlache. Meine Beine tragen mich langsam zu ihm, bis ich mich vor ihm auf die Knie fallen lasse.
»Kova«, wispere ich. Er dreht seinen Kopf zu mir, blinzelt einige Male, ehe er mir ein schwaches Lächeln schenkt.
O Gott. Lass das bitte wieder nur ein verschrobener Traum sein!
»Ich muss ... ich muss Hilfe holen.« Ich war bereit aufzustehen und so schnell wie möglich ins Schloss zu Prinz Dorian zu rennen, doch Kova hat mich aufgehalten, ehe ich auch nur ansatzweise aufstehen konnte. Seine kalten Finger, die sich wie Eiszapfen auf meiner Haut anfühlen, umklammern mein Handgelenk. Kova schüttelt langsam den Kopf. »Geh nicht.«
»Ich muss gehen. Du ... du stirbst.« Meine Stimme ist schwach und klingt brüchig, als könnte ich jeden Moment anfangen zu weinen. Was nicht gerade abwegig ist.
»Und genau deswegen musst du hierbleiben.« Kova schenkt mir ein kleines Lächeln, während seine Augen mich störrisch fixieren. »Du musst zuhören, was ich zu sagen habe.«
Schwach schüttle ich den Kopf, während sich Tränen in meinen Augen bilden. »Nein, ich möchte dir nicht zuhören. Ich möchte das du ...« Ich traue mich nicht das letzte Wort tatsächlich auszusprechen, doch das hält Kova nicht dafür ab, es selbst auszusprechen. »Glaubst du, ich will nicht leben?«
Ich schluchze und spüre die heißen Tränen meine Wange herunter laufen, während ich zaghaft nicke. Kova hustet Blut lautstark in seine Hand. Seine Lippen, sowie seine sonst strahlendweißen Zähne, sind von seinem eigenen Blut bedeckt.
»Die Zeit rinnt.«
Ich greife nach seiner blutüberströmten Hand und drücke sie zwischen meine beiden Hände. Ich habe keine Ahnung, ob meine Geste ihn auf irgendeiner Art und Weise tröstet, doch mir hilft es. Es ist kindisch, doch ich werde das Gefühl nicht los, sollte ich seine Hand loslassen, werde ich ihn für immer verlieren.
»Ich habe herausgefunden, wer Chronos getötet hat.«
»Chronos?« Ich habe keine Ahnung, von wem mein bester Freund spricht, aber ich glaube, das ist auch egal. »Bist du deswegen verletzt?«
Kova nickt. »Ja. Du musst mir jetzt ganz genau zuhören, Davina.«Langsam nicke ich. Ich bin mir nicht sicher, ob er eine Reaktion von mir erwartet hat, gebe sie ihm dennoch.
»Egal, was jetzt auch passieren wird, du darfst niemandem vertrauen. Nicht dem König, nicht Prinz Dorian und vor allem nicht deinem Vater.« Ich lege meinen Kopf schief und ziehe eine meiner Augenbrauen nach oben. Wovon spricht er?
»Du bist in einer wahnsinnigen Gefahr, verstehst du?«
Ich schüttle den Kopf. »Kova, wovon sprichst du? Könntest du mir vielleicht erstmal verraten, wer zur Hölle dir das angetan hat?«
Kova lächelt. »Eine Dame sollte nicht fluchen.«
Ich beiße mir auf die Lippen. Unfassbar das er in dieser Situation noch Witze machen kann!
Meine Wut auf Kova verblasst so schnell, wie sie gekommen ist, als ich spüre, wie mir seine Hand entgleitet. »Kova? Kova!« Meine Stimme schrillt laut durch den Wald. Man kann meine Panik heraushören.
»Versprich es mir«, wispert Kova und legt seine Hand auf meine Wange. Meine Tränen vermischen sich mit dem Blut seiner Hand, als ich langsam nicke. »Niemanden, Davina. Schenke niemandem dein Vertrauen.« Wieder nicke ich. »Du weißt es zwar noch nicht, aber du bist so viel mehr Wert.« Noch ehe ich seine Worte einer Bedeutung zuordnen kann oder ihn danach fragen kann, verschwindet seine Hand von meiner Wange und ich blicke in glasleere Augen.
»Kova?« Meine Finger krallen sich in sein Hemd. Ich schüttle seinen leblosen Körper und schreie immer wieder seinen Namen, bis ich endlich aufgebe und seinen Körper wieder in seine Blutlache fallen lasse. Ich schreie, bis kein Ton mehr herauskommt. Ich weine, bis keine Träne mehr fließt. Ich vergrabe meinen Kopf in sein blutverschmiertes Hemd, bis ich keine Schmerzen mehr fühle.***
Ich weiß nicht wie lange es dauert, bis ich es endlich schaffe, meinen Kopf von dem Körper meines toten besten Freundes zu nehmen, doch als ich es endlich bewältigt bekomme aufzustehen, weiß ich, dass es bereits zu spät ist.
»Das Blut, das mich angelockt hat, ist ja bereits verdorben.« Ein Mann, der mit seiner zerfetzten Kleidung meinem Zustand sehr ähnelt, kommt zwischen den Bäumen hervor. »Aber ein Glück riecht das Blut, das dein Herz durch deine Venen pumpt, umso verlockender.« Der fremde lächelt und entblößt seine weißen Zähne. Auf den ersten Blick sieht er aus, wie jeder andere Mann auch. Doch wenn man genau hinguckt, wird einem bewusst, was vor einem steht. Die spitzen Reißzähne in seinem Oberkiefer verraten ihn.
Ich trete einen Schritt zurück. Dann noch einen. Und noch einen. Ich versuche, mich langsam zu bewegen. Keine hektischen Bewegungen zu machen, obwohl meine Angst genau so real ist, wie die Trauer um meinen besten Freund.
»Aber nicht doch, Kleine.« In einer Geschwindigkeit, die meine menschlichen Augen nicht erfassen kann, steht der Vampir schlagartig vor mir. Grob fasst er nach meinem Gesicht und legt mein Hals für seine messerscharfen Zähne frei.
»Nein, ich will nicht.« Obwohl ich weiß, dass meine Schreie, mein Flehen und mein Wimmern nichts bringen werde, versuche ich es trotzdem.
Soll denn wirklich einfach alles vorbei sein? Einfach so? Und ich kann nichts dagegen unternehmen?
Plötzlich wird das Wesen von mir weggezogen. Mit versteinerter Miene und bebenden Körper schaue ich dabei zu, wie ein Wolf seine Zähne in das Bein des Vampirs rammt und ihm langsam von mir wegzieht. Nein ... das ist kein Wolf. Dieses Tier ist größer. Es überragt einen Werwolf mindestens um das Dreifache, was nicht gerade leicht ist, bedenkt man, das Werwölfe in ihrer tierischen Gestalt 2 Meter erfassen. Auf der Stirn meines vermeintlichen Retters leuchtet eine Art Stein. Es sieht so aus, als wäre dieses Symbol auf sein pechschwarzes Fell eingebrannt worden. Die Pfoten des Tieres leuchten in einem brennenden Rot, wobei um seine linke Vorderpfote einen Teil einer Kette zu erkennen ist. Als wäre er eingesperrt gewesen. Doch so schnell dieses Tier auch gekommen ist, ist auch wieder im Wald verschwunden und lässt mich wieder allein. Das dachte ich zumindest.
»Sie sind festgenommen.«
Ich drehe mich um und sehe zwei Ritter vor mir. Das Wappen auf ihrer Brust, dass eine schwarze Rose mit roten Ranken ziert, lässt mich darauf schließen, dass das König Rowans Ritter sind.
»Mit welcher Begründung?«
»Die Ermordung von Kova.«Mein Atem stockt, doch als ich an meinem Körper herunter schaue, nicke ich verstehend. Wer würde mich auch nicht für einen Mörder halten? Kovas Blut bedeckt beinahe meinen ganzen Körper. Ganz zu schweigen davon, dass ich ein Mensch bin. Jeder würde einen Vorwand suchen, mich hinrichten zu lassen, und ich habe ihnen den perfekten geliefert.
Mit hängenden Schultern lasse ich mich von den Rittern fesseln und folge ihn aus dem Wald. Es schmerzt mich, Kovas Leiche alleine im Wald zurückzulassen. Was ich jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass ich nie mit Kova alleine war. Auf einer der Bäume hockte ein Mann, der sein Gesicht mit einer Kapuze versteckte und sich in den Schatten verbarg, und mich mit Argusaugen beobachtete.
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Dragonblood
Fantasy• 𝔼𝕣 𝕨𝕚𝕣𝕕 𝕖𝕟𝕥𝕨𝕖𝕕𝕖𝕣 𝕕𝕒𝕤 𝔹𝕖𝕤𝕥𝕖 𝕗ü𝕣 𝕕𝕚𝕔𝕙 𝕤𝕖𝕚𝕟 𝕠𝕕𝕖𝕣 𝕕𝕒𝕤 𝕊𝕔𝕙𝕝𝕚𝕞𝕞𝕤𝕥𝕖 • Vor 10 Jahren haben sich die Drachen erhoben und den Menschen ihrer Macht, über das Reich Lythanica zu herrschen, entzogen. Seit jeher...