Wie man jemanden zu Fall bekommt

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Noch bevor die Sonne ihre ersten Strahlen auf die Landschaft werfen konnte, bin ich bereits aus dem Schloss getürmt. Die kühle Brise streicht über meine Haut und lässt mich erleichtert seufzen. In Vael Storm ist alles anders. Ich bin es nicht gewohnt, dass mich ständig jemand fragt, ob ich noch einen Wunsch hätte oder mir aus meiner Kleidung heraushelfen will. Die anderen jungen Damen in meinem Heimatdorf würden das wahrscheinlich genießen. Ich kann das jedoch nicht, weswegen ich es umso mehr genieße, dass der Sonnenaufgang in Vael Storm kaum einen Unterschied hat, wie der in Kyrae. Der Horizont ist von warmen Farben umgeben, als die ersten Sonnenstrahlen die grüne Landschaft berühren.
»Haben Sie sich verlaufen, Liebes?« Ich zucke zusammen, als eine dunkle Stimme hinter mir ertönt. Ich müsste mich gar nicht umdrehen, um zu wissen, wer sich hinter mir befindet. Und doch tue ich es. Rowans schwarzes Haar ist ziemlich zerzaust, so als ob er eben erst aufgestanden wäre. Vermutlich ist er das auch, schließlich ist noch niemand in dem Schloss wach. Warum auch?
»Nein«, wispere ich und kämpfe gegen den Drang, der kaum größer als der einer Fee zu sein schien, an, nach seiner Hand zu greifen, um ihn aus seiner steifen Pose zu befreien. Mit den verschränkten Armen vor seiner Brust, wirkt er sehr anklagend, weswegen ich mich unwillkürlich frage, ob ich überhaupt hier sein darf.
»Was tun Sie dann hier?«
Anklagend. Ja das trifft es ziemlich genau.
»Ist es mir nicht gestattet hier zu sein oder dürfen nur Männer mit dem Namen Rowan hier verweilen?« Und da ist es wieder gewesen! Ein Anflug eines Lächeln, das schneller auf seinem Gesicht verschwunden ist, als mir recht ist.
»Das habe ich nicht gesagt.«
Ich zucke mit den Schultern, drehe mich um und widme meine Aufmerksamkeit wieder auf die langsam aufsteigende Sonne. »Ich mag den Sonnenaufgang. Egal wo man sich in Lythanica befindet, er sieht immer gleich schön aus.« Die Worte sind einfach aus mir herausgesprudelt, ohne das ich etwas dagegen unternehmen konnte. Ich weiß nicht, wieso meine Zunge sich in Rowans Gegenwart plötzlich so leicht anfühlt und ich nicht groß darüber nachdenke, was ich überhaupt sagen will. Genauso wenig weiß ich nicht, wieso meine Hände nicht zu zittern anfangen, so wie sie es sonst tun, wenn ich mich mit einem Fremden unterhalte. Aber genau das war Rowan doch oder? Ein Fremder.
»Das klingt fast so, als wären Sie nicht freiwillig am Hofe, Liebes.« Beinahe hätte ich seufzend zugestimmt, auch wenn es nur die halbe Wahrheit gewesen wäre. Drachen, wie Prinz Dorian einer ist, machen mich nervös, was kein Wunder ist, wenn man bedenkt, welche Geschichte zwischen den fliegenden Kreaturen und den zerbrechlichen Sterblichen vorgefallen ist.
Ich neige meinen Kopf und blicke in grüne Augen, die mich in diesem Moment mehr faszinieren, als alles was ich je zuvor gesehen habe. Die verschiedenen Grüntöne scheinen miteinander zu tanzen und mehr zu strahlen, als es die Sonne je könnte. Dennoch habe ich nicht das Gefühl, das ich diejenige bin die so fasziniert ist, sondern Rowan, der seinen Blick langsam über meinen Körper wandern lässt und dabei eine solche Ruhe ausstrahlt, das ich mich gar nicht belästigt oder unsicher fühle.
»Ich bin freiwillig hier.« Meine Stimme ist nicht mehr als ein krächzen, das die morgendliche Stille durchschneidet und tatsächlich den Fremden vor mir ein ehrliches Lächeln entlockt.
»Es tut mir sehr leid, Lady Davina.« Bevor ich ihn fragen konnte, was er meint, lässt mich Kovas Stimme, die nach mir ruft, zusammenfahren und im nächsten Augenblick ist Rowan hinter mir wie vom Erdboden verschluckt worden. Wo ist er hin?

***

Die nächsten Tage, die ich überwiegend mit Kova verbracht hatte, vergingen wie im Flug. Obwohl ich die Zeit mit ihm, in der er mir viel von seiner Zeit am Hof und seinem Prinzen erzählt hat, sehr genossen habe, kreisten meine Gedanken stets zu gewissen grüne Augen. Bei jeden Sonnenaufgang, den ich immer an der gleichen Stelle beobachtet habe, hatte ich gehofft, Rowan nochmals zu begegnen. Hätte ich gewusst, was dieser Fremde wirklich im Schilde geführt hat, hätte ich den Sonnengott niemals darum gebeten, ihn nochmals sehen zu dürfen.
»Wir müssen los.« Die träge Stimme meines Vaters lässt mich zusammenzucken, als ich mir mit meinen Fingerspitzen durch mein feuerrotes Haar fahre. Ich begegne seinen leeren Augen durch den Spiegel, was mich stutzig werden lässt.
»Stimmt etwas nicht?« Unter den Augen meines Vaters haben sich dunkle Ringe gebildet, die seine Erscheinung viel grimmiger wirken lässt. In all den Jahren sah mein Vater noch nie so schlecht aus wie heute. Obwohl er mir ein kleines Lächeln schenkt und mir versichert das alles in Ordnung sei, glaube ich ihm nicht. Doch eine gute Tochter hinterfragt ihre Eltern nicht und das bin ich. Eine gute Tochter. Auch wenn meine Mutter wahrscheinlich anderer Meinung ist.
Schweigend folge ich meinem Vater aus meinem Zimmer. Seine Hand berührt sanft meinen Rücken, um mich mit einem leichten Druck die Treppe herunter zu dirigieren. Eine beruhigende Geste, die auf mich den gegenteiligen Effekt erzielt.
»Vergiss nicht, was dir deine Mutter beigebracht hat.« Mein Vater unterbricht die Stille, kurz bevor wir die große Eingangshalle des Schlosses erreichen. »Eine Lady darf ihre wahren Gefühle nie nach außen zeigen.« Irritiert schaue ich zu meinem Vater hoch, dessen Augen so leer aussahen, wie das eines unangerührten Glas. Er hat die Lektionen meiner Mutter immer für bescheuert gehalten, auch wenn er es nie so ausgedrückt hatte. Was hat sich geändert? Abgesehen von seinen dunklen Augenringen und einigen Falten, die sich um seine Stirn ziehen, wirkt er wie immer. Auch sein sanftes Lächeln, das er mir schenkt, als er seine Hand von meinem Rücken nimmt, lässt mich nicht erkennen, was geschehen sein könnte. Erst als wir die Türschwelle, die zur Eingangshalle führt, übertreten, kann ich ahnen, was los ist. Eine gefesselte Frau. Ein Mann, der mit verschränkten Armen vor der Brust, vor dieser Frau steht. Eine weitere Person, die mit der Klinge ihres Schwertes, wie ich mit einer Feder herumspiele. Ich kenne diese Art von Konstellationen sehr gut von unserem Heimatort. Sowie damals vor sechs Jahren, fühle ich auch heute wie ein Zittern meinen Körper durchströmt und eine heiße Galle meinen Hals nach oben wandern will. Damals konnte ich nichts gegen solch eine Panikattacke unternehmen, heute bin ich alt genug, um zu wissen, wie ich dem entgegenwirken kann. Ich schlucke die aufbrausende Flüssigkeit herunter, die sich mit einem Ziehen in meiner Brust ausbreitet, ehe ich es wage, einen Schritt nach vorne zu treten und in die Augen der gefesselten Frau zu blicken. Ich sehe keine Angst und auch kein Bedauern in ihrem Gesicht, sondern nur braune Augen, die mich mit aller Macht versuchen zu erdolchen.
»Warum«, entkommt es mir leise von meinen Lippen. »Was ist denn passiert?« Mein Hals fühlt sich genauso zugeschnürt an, wie die Hände meiner Mutter, die auf ihrem Schoß ruhen.
»Eure Mutter hat mit verbotenen Kräutern herumexperimentiert.« Auch ohne meinen Blick von meiner Mutter abzuwenden, weiß ich wem diese Timbrestimme, die meinen Körper zum Erzittern bringt, gehört. »Dafür habe ich sie zum Tode verurteilt.« Obwohl ich unter gar keinen Umständen zu Rowan schauen wollte, schaffe ich es nun doch nicht, diesem Drang zu umgehen. Seine Augen, die noch vor einigen Tagen in verschiedenen Grüntönen umhertanzten, als sie mich das letzte Mal fixierten, wirken nun genauso leblos, wie die Augen meines Vaters. Ich beiße mir auf meine Lippen, um keinen bissigen Kommentar abzugeben. Doch als ich wieder zu meiner Mutter schaue, überkommen mich all meine unterdrückten Gefühle.
»Das habt Ihr doch nicht zu entscheiden!« Meine Mutter so zu sehen, wie sie mit beschmutzter Kleidung gefesselt auf den Boden kniet, hat etwas so Surreales an sich, das ich alle Lektionen und Benimmregeln meiner Mutter vergesse.
»Davina«, zischt sie. »Wie sprichst du mit dem König!« Ihre zornige Stimme durchschneidet meinen Körper, wie das Schwert der fremden Frau, die mich nun doch anschaut. Obwohl ich für gewöhnlich mich stets versuche, so klein wie möglich zu machen, wenn mich der Zorn meiner Mutter trifft, kämpfe ich stattdessen dagegen an, meine Überraschung zu verbergen. Ich versage kläglich. In gedrosselter Geschwindigkeit drehe ich meinen Kopf erneut zu Rowan, der mich ... Ja wie schaut er mich eigentlich an? Voller Bedauern? Vorwurf? Enttäuschung? Ich kann es beim besten Willen nicht sagen. Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass die Leere in seinen grünen Augen verschwunden ist.
»Das ...« Ich schüttle den Kopf und drehe mich zu meinem Vater um, der bisher noch gar nichts gesagt hat. »Willst du das etwa zulassen?« Gegen jegliche Erinnerung, die ich mit meinem Vater verbinde, nickt er knapp. Während sich mein Herz krampfhaft zusammenzieht, beginnt ein altbekanntes Brennen hinter meinen Augen. Mit aller Macht versuche ich die Tränen zu unterdrücken, die sich langsam einen Weg in die Oberfläche kämpfen.
»Bitte. Tötet sie nicht.« Meine Stimme hört sich gebrochen an. »Ihr könnt doch ... Ich flehe euch an, nehmt sie mir nicht weg.« Ich hatte gehofft, dass meine Worte mehr Wirkung auf Rowan haben. Das die kurze Zeit, die wir zusammen verbracht haben, ihm genauso viel bedeutet haben, wie mir. Doch ich habe mich geirrt. Ganz gewaltig geirrt.
»Dhara«, Rowans Augen, die für mich anfangs ein faszinierendes Phänomen waren, fühlen sich nun wie kleine Messerstiche auf meiner Haut an. »Töte Sie.«
Ich schnappe keuchend nach Luft, als ich zu meiner Mutter herumwirbele. Das Blut pulsiert schmerzhaft in meinen Adern und rauscht mir in die Ohren. Die Geräusche meiner Umgebung vermischen zu einem einheitlichen hohen Ton, sodass ich weder die beruhigenden Worte meines Vaters noch die letzten Worte meiner Mutter hören kann. Ich kann nicht hören ob das Schwert der Fremden ein Geräusch von sich gebt, als sie es in der Luft schwingt. Ich kann auch nicht hören, was für einen Ton das Schwert verursacht als es den Brustkorb und folglich auch das Herz meiner Mutter durchbohrt. Ebenso kann ich nicht ihre Schreie hören, die wahrscheinlich die ganze Halle füllen. Ich konnte nur sehen, wie all das in stummer Abfolge geschehen ist und sich mit jeder weiteren verstrichenen Sekunde mehr Tränen aus meinen Augen lösten. Das Gefühl, als sich die Augen meiner Mutter von lodernd braunen in glasleere wandelten, war genauso schrecklich wie beängstigend. Zehn Jahre war sie ein beständiger Teil in meinem Leben. Sie war immer da. Und nun mit einer einzigen kleinen Bewegung war alles wie weggeblasen. Mein Körper fühlt sich heiß und kalt zugleich an, während alle Erinnerungen, alle Gespräche, mit meiner Mutter vor meinem inneren Auge ablaufen. Alle Schimpftiraden, alle Lektionen, alle Bestrafungen. Die Angst trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht und hüllt mich ein wie ein Umhang, der mich nicht loslassen will. Ich weiß nicht, wie ich ohne meine Mutter, ohne diesen schmerzhaften, selbstzerstörerischen Teil in meinem Leben leben sollte. Und dennoch war da ein kleiner Teil in mir der Erleichterung empfindet. Dieses Gefühl, das kaum größer ist als mein Daumen, macht mir mehr Angst als alles andere an diesem Tag. Bin ich ein böser Mensch?
»Eine Abscheulichkeit.«
»Meide den Blickkontakt.«
»Rede nicht mit der roten Hexe.«
Die gehässigen Worte der Dorfbewohner aus Kyrae prasseln auf mich ein wie eiskalter Regen in einer stürmischen Nacht. Erst langsam und leise, dann schneller und lauter, bis ich mir nur noch eine Frage stelle: Haben sie von Anfang an recht gehabt?

 Erst langsam und leise, dann schneller und lauter, bis ich mir nur noch eine Frage stelle: Haben sie von Anfang an recht gehabt?

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