Wie man erfolgreich verflucht wird

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Ich streiche mir das grüne Kleid, das heute Morgen vor meiner Tür lag, glatt. Nachdem ich den Sonnenaufgang betrachtet hatte und mit hängenden Schultern zurück in mein Zimmer schleichen wollte, habe ich die schwarze Schachtel entdeckt, in der das Kleid in Tüll gewickelt war. Nun, zwei Stunden später, in der ich nur darüber gegrübelt habe, ob ich das Kleid einfach in der Schachtel liegen lassen sollte, schmiegt sich der grüne Stoff wie eine zweite Haut um meinen Körper. Das Kleid verdeckt alle Körperregionen, die ich ungern in der Öffentlichkeit zeige. Ein beinahe durchsichtiger Stoff verdeckt mein Dekolleté und lässt mich erleichtert seufzen. Dennoch verschwindet die kleine Falte zwischen meinen Augenbrauen nicht, als ich mich im Spiegel betrachte. Obwohl meine Brüste nicht aus dem Kleid herausquellen und auch die Kratzer auf meinen Knien durch den dünnen Stoff ebenfalls nicht zu erkennen sind, gefällt mir nicht, was ich sehe. Es ist so ... eng. Jede einzelne Kurve, jeder Makel, der mir an meinem Körper nicht gefällt, ist genau erkennbar. Nur die Halskette, die mit dem ovalförmigen Smaragd perfekt zu dem Kleid passte, gibt mir die Hoffnung mich nicht gänzlich in diesem Glamour zu vergessen.
Als mein Vater an meine Tür klopft, spiele ich mit dem Gedanken dieses enge Teufelsding auszuziehen, mich ins Bett zu legen und meinem Vater weiß zu machen, das mich das Fieber erwischt hat.
Was wohl meine Mutter sagen würde?
Ich schüttle den Kopf. Meine Mutter hätte keine tröstenden Worte für mich. Sie würde mich nur eindringlich daran erinnern, dass ich sie gefälligst nicht blamieren solle. Ich seufze, straffe die Schultern und öffne die Tür. Obwohl mein Vater mich mit einem Lächeln auf den Lippen begrüßt und mir beteuert, wie hübsch ich aussehe, werde ich das Gefühl nicht los, das ich einen Fehler mache. Einen gewaltigen Fehler.

***

Rundliche Tische, die mit weißen Tischdecken und einer einzelnen Kerze dekoriert sind, sind fast im kompletten Raum verteilt. Hunderte von Gästen stehen an sie angelehnt oder sitzen sich gegenüber und unterhalten sich, als wäre das kein außergewöhnlicher Moment für sie. Sie alle scheinen die Anwesenheit meines Vaters und mir nicht zu bemerken. Ein Teil von mir ist froh darüber, dass ich zum ersten Mal nicht mit verachtenden Blicken gestraft zu werden, bloß weil ich einen Raum betrete. Der andere Teil, der mir beinahe mehr Angst einjagt als jede andere Person in diesem Raum, fühlt sich erdrückt, ängstlich und unsicher zur gleichen Zeit. Ich weiß nicht wie ich mit dieser neuen Situation umgehen soll. Wie verhalten sich andere?
Ich bin versucht meinen Vater zu fragen, verwerfe den Gedanken jedoch sofort, als ich seinen finsteren Gesichtsausdruck über die Menge gleiten sehe. Sucht er jemanden?
»Sei respektvoll«, weißt mein Vater mich an. Wie? Ich blinzle mehrmals hintereinander, als hätte ich einen komischen Gendefekt, der meine Handlungen beeinflusst. Sekunden später wünsche ich mir tatsächlich einen Gendefekt zu haben, den ich als Entschuldigung nehmen könnte, um schnell die Flucht zu ergreifen. Mein Vater geht auf König Rowan zu und ich kann nichts anderes tun, als ihm zu folgen. Ich beiße mir auf die Lippen.
»Eure Majestät.« Mein Vater verbeugt sich tief vor seinen König, der die Begrüßung nur mit einem Nicken quittiert. Obwohl alles in mir danach schreit mich vor diesem Mann nicht zu verbeugen, mache ich dennoch einen tiefen Knicks mit einem Lächeln auf den Lippen, das höchstwahrscheinlich nicht meine Augen erreicht. Die Angst wie sich der strenge Blick meines Vaters anfühlt oder die mögliche Bestrafung wegen eines Fehlverhalten, ist größer gewesen, als mein Stolz. »Eure Hoheit«, wispere ich ehe ich mich wieder aufrichte und in seine grünen Augen schaue. Ich kann Spott in seinen Gesichtszügen erkennen, als er die Augenbrauen nach oben zieht. Er weiß, dass meine höfliche Begrüßung nichts weiter, als Heuchelei ist, da bin ich mir sicher. Aber solange mein Vater es nicht weiß, kann ich beruhigt atmen. Sofern dieses monströse Kleid es zulässt.
»Ihr seht wunderschön aus.« Schon wieder verlässt mein Name seine Lippen nicht. Das hält jedoch meinen verräterischen Körper nicht davon ab, prickelnde Hitzewellen von meinem Hals ins Gesicht zu schießen. Ich bin nicht fähig zu antworten. Ich fühle mich zu dem Tag zurückversetzt, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Meine Kehle fühlt sich wie zugeschnürt an, während Rowans schiefes Lächeln meinen Herzschlag höher schlagen lässt. Ich weiß, dass er ihn hören kann. Meine einzige Hoffnung ist jedoch, dass er nicht weiß, weshalb mein Puls unnormal schnell geht. Das kann er unmöglich wissen. Oder doch? Ich weiß es nicht. Seine Augen, seine Mimik, seine Körperhaltung. Sie alle verraten mir nicht, was in seinem hübschen Köpfchen vorgeht. Hübsch? Ich muss zu viel getrunken haben, obwohl ich noch kein Glas angerührt habe. Jemand hätte mir etwas untergejubelt haben können? Ja das muss es sein. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar gering, schließlich bin ich nur ein Mensch, doch sie ist nicht gleich unmöglich!
»Davina.« Endlich eine vertraute Stimme! Mit Schwung drehe ich mich um und schenke Kova ein Lächeln, das er sofort erwidert. Mein Herzschlag beruhigt sich beinahe sofort, als ich in die glasklaren Augen meines besten Freundes blicke. Sie strahlen so viel Wärme und Zuneigung aus, das es mir fast gelingt, zu vergessen, wo wir uns befinden und wer sich gerade hinter mir befindet. Kovas Augenmerk huscht für einen winzigen Augenblick an mir vorbei, direkt hinter mich. Schlagartig ist die Wärme und Zuneigung aus seinen Augen verschwunden und das selbst dann noch, als er wieder zu mir schaut und sich mit einer belanglosen Ausrede von mir verabschiedet.
Was war das?
Ich mache auf den Absatz kehrt und schaue zu dem König, der mir ein Lächeln schenkt, als wäre nie etwas gewesen. Arsch. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, was das sollte, doch die Anwesenheit meines Vaters, der mich plötzlich mit einem eigenartigen Ausdruck in den Augen betrachtet, hindert mich daran. Respektvoll hatte er gesagt. Ich versuche meine Gefühle, meine Wut und meine Abneigung, gegen diesen Mann in die hinterste Ecke meines Herzen zu verbannen. Verzweifelt wühle ich in meinem Gehirn nach einem Vorwand, um mich wie Kova einfach zurückzuziehen.
»Rowan.« Hinter dem König erscheint eine junge Frau, die ihm ein Lächeln schenkt, das nicht ansatzweise so gefälscht aussieht wie meines. Ihr blondes Haar ist zu zwei Zöpfen gebunden, die sie automatisch jünger aussehen lassen. Wie jung genau sie ist, kann ich nicht sagen. Doch die Art und Weise wie sie mit dem König spricht, lässt mich darauf schließen, das sie nicht nur mit Rowan sehr vertraut ist, sondern sich in einer ähnlichen Altersklasse mit ihm bewegt. Mein Blick schweift ihren dünnen Körper herab, der in einem silbernen, diamanten bedeckten Kleid steckt, ehe ich das einzige tue, was mir nun in den Sinn kommt: Die Flucht ergreifen. Mit vorsichtigen und fast lautlosen Schritten entferne ich mich von meinem Vater und dem König. Obwohl die Neugier fordernd an meiner Seele kratzt, kämpfe ich dagegen an stehen zu bleiben und laufe zielstrebig weiter. Ich weiß nicht, wohin ich genau laufen wollte, doch die Wahl wird mir direkt abgenommen, als sich mir ein breiter Körper in den Weg stellt.
Prinz Dorian trägt ähnliche Kleidung wie der König. Über sein schwarzes Hemd, auf das silberne Muster bestickt wurden, trägt er einen langen Mantel, der die gleichen Muster aufweist. Ich komme nicht um hin, den Drachen vor mir mit dem König zu vergleichen. Ich blicke über meine Schulter und schaue zu König Rowan. Man könnte meinen die Zwei hätten sich abgesprochen. Rowans Hemd und Mantel unterscheidet sich nur durch eine Kleinigkeit: Goldene Muster wurden statt silbernen darauf bestickt.
Ob das ein spezielles Outfit für Veranstaltungen ist?
»Was machst du nur mit dem König?« Prinz Dorians Worte reißen mich zurück in die Realität und lassen mich ihn fragend anschauen. Der Prinz schenkt mir ein aufrichtiges Lächeln, das mich noch mehr irritiert als seine Frage.
»Fällt dir nicht auf was du mit ihm machst?«
Zaghaft schüttle ich den Kopf. »Ich mache doch gar nichts.«
»Das ist es ja.« Dorian kommt einen Schritt auf mich zu und durchbricht meine Komfortzone. In meinen Fußspitzen kribbelt es zwei Schritte zurückzugehen, doch mein Gehirn weigert sich, diesem Drang nachzugeben. Ein Schritt von Dorian entfernt, wäre ein Schritt näher zu Rowan. »Obwohl du nichts machst, gehst du ihm ganz schön auf die Nieren.« Mir stockt der Atem.
Was hat er gesagt?
Dorians grüne Augen fixieren mich und scheinen jeden Zentimeter meines Gesichtes nach Antworten zu erkunden. Je näher der Prinz auf mich zu kommt, desto mehr fühle ich mich von ihm entfernt. Sein Gesicht verschwimmt, sowie meine gesamte Umgebung. Die Halle, mein Vater, der König und selbst Prinz Dorian selbst, lösen sich in schwarzen Rauch auf, der durch mein Körper fährt und eine eisige Kälte zurücklässt. Mein Körper zittert. Ich bin nicht sicher, ob es an der Angst liegt, die mich wie ein greifloser Traum packt oder an der Kälte, die mein Körper nicht entkommen kann. Ich schaue zu meinen zittrigen Händen. Beruhige dich, sage ich mir immer und immer wieder, wie ein Mantra, doch es hilft nichts. Die Kälte. Die Panik. Die Hilflosigkeit. Sie packt meinen Körper, wie Hände, die mich nicht loslassen wollen. Ich bin nicht fähig, meinen Blick von ihnen loszureißen, in denen sich langsam eine rote Flüssigkeit bildet. Die warme Flüssigkeit rinnt meinen bebenden Finger entlang und tropft lautlos auf den Boden.
Werde ich verrückt?
»Davina.« Eine schwache Stimme reißt mich aus meinen Gedankengängen und lässt mich endlich aufschauen. Mein Atem stockt, als ich in die leeren Augen meines besten Freundes blicke. Kova umgibt eine rote Flüssigkeit, die den gesamten Boden tränkt.
»Blut«, wispere ich, als ich begreife um was für eine Flüssigkeit es sich handelt. Es ist Kovas Blut, das den gesamten Boden tränkt. Es ist Kovas Blut, das zwischen meinen Finger fließt und mir die Luft zum Atmen nimmt. Die Panik. Wie ein Faustschlag schlägt sie zurück und lässt alles um mich herum verstummen. Ich sehe zwar wie Kovas bebenden Lippen sich bewegen, doch keine Worte dringen zu mir durch. Die einzige Stimme, die ich hören kann, ist meine eigene, die mich immer wieder fragt: War ich das?
»Vielleicht solltest du ihm einfach aus dem Weg gehen.« Wie ein Katapult werde ich aus dieser suspekten Situation geworfen und finde mich kaum einen Wimpernschlag später wieder auf dem Ball vor. Dorians Augen durchdringen mich eindringlich, um seinen Vorschlag, den ich nur am Rande mitbekommen habe, zu bekräftigen. Hektisch drehe ich meinen Kopf in alle Richtungen. Alles scheint normal zu sein. Ich bin wieder auf dem Ball. Aber warum?
»Stimmt etwas nicht?« In Dorians Stimme klingt eine Spur von Sorge mit, die mir in diesem Moment so banallos erscheint, wie dieser ganze Ball. Ich senke meine Lider und erhasche einen Blick auf meine Hände. Kein Blut. Nicht mal ein Tropfen von Kovas Blut kann ich noch auf meiner Haut sehen.
»Davina?«
Obwohl der Prinz besorgter klingt, als mein Vater, wenn ich einmal länger das Haus verlassen hatte, als geplant, kann ich nicht anders als ihn skeptisch zu betrachten. Ich habe schon Geschichten gehört, dass besonders mächtige Drachen mit einer außergewöhnlichen Gabe geboren werden. War es das? War es die Gabe des Prinzen, anderen die schrecklichsten Bilder in den Kopf zu pflanzen?
»Ich muss gehen.« Ohne ihm nochmal eines Blickes zu würdigen, umrunde ich den Prinzen und gehe schnurstracks auf den Ausgang zu. Ohne die Blicke der anderen zu betrachten. Ohne ihre Tuscheleien mitzubekommen. Ich brauche Luft. Frische Luft. Und verdammt nochmal einen freien Kopf, um diese schrecklichen Bilder aus meinen Erinnerungen zu verbrennen. Eine kalte Brise weht mir ins Gesicht, als ich die schwere Tür öffne und nach draußen trete. Einige Gäste hatten sich wie ich auch nach draußen verirrt. Doch anders als ich, scheinen sie sich hier nur mit anderen Unterhalten zu wollen. Ich weiß nicht, was ich wollte. Ich weiß nur das ich weg von diesem Ball wollte. Weg von diesen Prinzen. Weg von diesen ... Bildern, die sich in mein Gedächtnis gebrannt haben. Meine Beine tragen mich weit weg von den wenigen Gästen und führen mich zu einem Brunnen, an dem niemanden zu sein scheint. Das dachte ich jedenfalls. Ich lehne mich an das Marmor des Brunnen an, in der Hoffnung mich würde das Plätschern des Wassers, das aus dem Mäulern drei kleiner Drachen fließt, beruhigen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Das gleichmäßige Geräusch des Wassers erinnert mich an die rote Flüssigkeit, die von meinen Händen getropft ist. Nein. Keine rote Flüssigkeit ... Kovas Blut. Es erinnert mich an Kovas Blut. Das Blut meines besten Freundes. Ich schlucke. Meine Kehle fühlt sich wie ausgetrocknet an.
»Wie heißt du?« Eine samtweiche Stimme reißt mich aus meinen finsteren Gedanken. Mein Blick gleitet nach oben in das makellose Gesicht einer jungen Frau. Ich erkenne sie sofort. Sie ist die Frau, die mir mit König Rowan so vertraut vorkam.
»Davina«, ein Stechen fährt durch meine Brust, das ich versuche zu verdrängen.
»Rowan hat dich angeschaut, Davina.« Ich konnte keine Frage heraushören, nur eine Feststellung. Ich habe keine Ahnung, was sie von mir hören will, was ich dazu sagen soll, doch diese Frau sieht mich so an, als würde sie eine Reaktion erwarten.
Die Fremde seufzt. »Dummes Menschenmädchen.«
Ich blinzle mehrmals hintereinander ehe mir ein geistreiches »Bitte?« Herausrutscht.
»Höre die Worte meiner Melodie«, die Stimmlage der Frau hat sich verändert. Sie hört sich höher an. Femininer. Melodischer. »Des Prinzen Wolfs muss verschwinden. Eine Melodie wird dich leiten. Ein Messer wird die Waffe sein und das Herz des Wolf durchbohren. Der Zauber wird vergehen sobald Kova nicht mehr ist.« Die Worte der Frau brennen sich in mein Gedächtnis. Ich sollte schockiert sein, doch das bin ich nicht. Mein Körper bewegt sich zielstrebig an ihr vorbei und haben nur ein Ziel: Kova. Ich versuche, meinen Körper anzuschreien, diese Fremde Verwüstungen an den Kopf zu werfen, doch kein Ton verlässt meine Lippen. Will mich denn niemand aufhalten? Wo ist dieser blöde König, wenn man ihn einmal braucht?!

 Will mich denn niemand aufhalten? Wo ist dieser blöde König, wenn man ihn einmal braucht?!

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