Kapitel 22

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Jackie

Meine Beine fühlten sich seltsam schwer an, so, wie nach einer langen Nacht, wenn man kaum noch stehen konnte. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen eine Hauswand und fischte mein Handy aus der Jackentasche.

Kühler Regen prasselte auf mich nieder, während ich den Notruf wählte. Mein Finger schwebte bereits über der Taste mit dem Emblem eines grünen Telefonhörers, da schaltete ich das Handy kurz entschlossen wieder aus und steckte es weg.

Der Wind pfiff mir um die Ohren. Fensterläden klapperten. Das Hämmern der Handwerker, welches vor wenigen Minuten wieder eingesetzt hatte, wurde lauter. Es tat gut zu wissen, dass da noch jemand war, zu dem ich jetzt laufen könnte. Sie hätten mir bestimmt geholfen, hätten sie gesehen, wie der fremde Mann meine Freundin zu Fall gebracht und ihr einen Stoffbeutel über den Kopf gezogen hatte.

Was wollte dieser Mann von Elena?

Ich sah mich um, aber als ich niemanden in meiner unmittelbaren Umgebung sehen konnte, lief ich los. Der Weg nach Hause war nicht mehr weit, und mein Bruder würde mir sicherlich einen guten Rat geben können. Oder wir würden gemeinsam zur Polizei gehen.

Doch ich konnte der Polizei unmöglich erzählen, dass Elena entführt worden war. Sie würden sich fragen, weshalb es jemand auf ausgerechnet dieses Mädchen abgesehen haben könnte. Spätestens zu dem Zeitpunkt wüssten die Polizisten, dass Elena auf irgendeine Art und Weise in den Mord verwickelt war. Ob nun als Zeugin oder als mögliche Täterin. Es wäre einfach, zu denken, sie hätte sich deswegen aus dem Staub gemacht. Denn Elena hatte kein Alibi, wenn ihr Vater nicht für sie lügen würde.

Fluchend strich ich mir die vom Regen nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Mein Atem ging noch immer unregelmäßig und viel zu schnell, sodass ich ein schmerzhaftes Stechen in der Seite verspürte.

Gegen die starken Windböen anzulaufen, war ein nicht enden wollender Kampf. Der Regen peitschte mir entgegen, und kühlte die aufkeimende Wut in meinem Innersten ab, bevor ich überhaupt zu Hause angekommen war.

Zögerlich blieb ich vor unserer Straße stehen. Eine Nachbarin schaute durch ihr Fenster zu mir nach draußen, das Auto meiner Schwester stand in unserer Einfahrt. Und vermutlich war ich nie in meinem Leben erleichterter darüber gewesen, als an diesem Tag.

Elena - Dem Bösen so nahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt