»Gib mir die Uhr!«, brüllte Adrian.
Ich fuhr herum.
Nick schlug mit dem Kopf gegen die stahlharte Wand. Er torkelte. Grob packte der Mörder ihn. Seine Augen waren rot angelaufen, er blinzelte und schnaubte, was ihn noch wütender wirken ließ.
In meinen Fäusten kribbelte es. Ich schwankte gefährlich, die plötzliche Müdigkeit machte mich fertig. Hastig griff ich nach einem Buch. Hinter mir zerplatzte der Boden der brennenden Sprühflasche mit einem lauten Knall. Ich zuckte vor Schreck zusammen, aber ignorierte die aufsteigende Hitze und ihre gefährlichen Flammen, die immer höher schlugen. Sie fraßen sich schnell durch die Stickereien auf den alten Gardinen und verschlangen die Häkeldecke auf dem Sofa voller Gier.
Mit aller Kraft schlug ich Adrian das tausend seitenschwere Buch auf den Kopf. Er fuchtelte mit seinen Händen in der Luft herum. Der Wälzer fiel dumpf zu Boden, Adrians Augen verdrehten sich. Nick packte den Mörder an der Kehle, bis sein Handgelenk unter dem Druck nachgab. Er fluchte schmerzhaft und ich hielt für einen Moment die Luft an. Vor meinen Augen sah ich immer wieder Sterne. Benebelt lief ich in Richtung der Tür. Sie stand bereits in Flammen. Das trockene Holz des Türrahmens brannte wie Papier und die letzten Blutspritzer, die Jasmins grausamen Tod bezeugen konnten, brannten mitsamt der gewellten Tapete nieder.
Ich stolperte zum Fenster. An dem angerauten Holz holte ich mir einen Splitter, der sich rücksichtslos in mein Fleisch bohrte. Doch der Geruch von frischer Luft nahm zu. Ich spürte Nicks Hand an meinem Rücken. Er rief, er würde warten, bis ich draußen war. Ein beunruhigendes Geräusch von hinten ließ mich wieder umdrehen. Nick schob mich konsequent zum Fenster. Ein schmerzerfülltes Stöhnen drang zu mir durch.
»Nick«, rief ich mit erstickender Stimme.
Keine Antwort.
Mühselig kletterte ich über die Fensterbank hinaus in den düsteren Wald und schleppte mich zu Margot, die mir ihre Hand hinhielt. Sie zog mich mit sich, ohne sich auch nur ein Mal nach Nick umzudrehen. Ich versuchte, mich von ihrem Griff zu befreien.
»Nick!«, schrie ich. Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich entwickelte eine unerwartete Kraft, mit der ich mich losriss. »Nick!«
Margot schimpfte. Ich kehrte ihr den Rücken zu, die Augen wachsam auf das Wohnzimmerfenster gerichtet. Plötzlich erkannte ich zwei ramponierte Hände, die sich hochzogen. Nick stöhnte auf, als er sich durch die schmale Öffnung quälte und wie ein Mehlsack ins Moos plumpste. Er krümmte sich vor Schmerzen auf dem feuchten Waldboden. Ich wischte mir erleichtert die Tränen von den Wangen.
»Nick!«, rief ich und wollte zu ihm laufen, um ihn von den Flammen wegzubringen.
»Jackie!« Margot krallte sich an meinem Pullover fest.
Da entdeckte ich Adrian, der sich neben Nick ins Moos fallen ließ. Hustend rappelte er sich auf. Margot und ich stolperten sofort zurück, doch Adrian bemerkte uns kaum. Keuchend humpelte er an dem brennenden Haus vorbei. Dabei zog er sein linkes Bein nach und murmelte wilde Drohungen.
Ich ließ Adrian links liegen. Margot hielt mich zurück, als ich erneut einen Schritt auf Nick zumachte. Hass braute sich in mir zusammen. Ich blickte zu Nick, der mit zerzaustem Haar zwischen den Sträuchern auf der kalten Erde lag. In meinen Händen spürte ich das kühle Gold der Taschenuhr.
Margot packte mich fester. Sie zog mich weiter von Nick weg. Mein Herz schmerzte und ehe ich darüber nachdenken konnte, ließ ich die wertvolle Uhr in das weiche Moos fallen. Nick hob den Kopf. Ein letztes Mal. Die lodernden Flammen schlugen neben ihm in den Himmel auf. Sie spiegelten sich in seinen grünen Augen wider, aus denen er mich mit schmerzverzerrtem Gesicht ansah. An seinen Wangen und seinem Kinn klebten schwarzer Ruß, getrocknetes Blut und dunkle Erde.
Mit einem ohrenbetäubenden Knall zersprangen einige Fensterscheiben. Unzählige Splitter flogen durch die Luft, Flammen schlugen brennend heiß heraus. Kurz darauf knallte es erneut. Es war, als flöge eine Gasflasche berstend in die Luft. Als würde jemand auf uns schießen. Meine Ohren waren für einige Sekunden taub. Das Dröhnen hallte in meinem Kopf nach. Ich war mir sicher, jeder in unserer Stadt war von diesem Geräusch wachgeworden. Vor meinem inneren Auge sah ich meine Schwester und ihren Freund zum Fenster rennen und sich verwundert anschauen.
Margot und ich erreichten den Waldweg. Der dichte Rauch stieg in den klaren Nachthimmel auf. Funken verglühten in der eisigen Luft. Margots Augen huschten von der jahrhundertealten Eiche, die lichterloh wie eine Fackel brannte, zu den Fenstern, aus denen uns die Flammen mit einer unerträglichen Hitze entgegen peitschten. Ich konnte die Tränen nicht mehr kontrollieren, die meine Augenwinkel verließen.
»Wo ist die Uhr? Wo ist sie, Jackie?«, schrie Margot schrill. Sie übertönte die knisternden Flammen mühelos.
Ich öffnete die Fäuste und ihr eindringlicher Blick haftete auf meinen leeren Handflächen.
»Wann wirst du es endlich verstehen?«, rief Margot, und ich wusste, ihre Frage war rein rhetorisch. Sie kaufte mir nicht ab, dass ich so dumm gewesen war, die Taschenuhr in den Flammen zurückzulassen. »Wann wirst du endlich verstehen, dass es wichtigeres gibt als das, was zwischen ihm und dir geschehen ist?!«
Mir wurde schwindelig. Ich vertraute ihr nicht.
»Dein Freund ist einer von ihnen. Ich sage dir, Jackie, du begehst einen schrecklichen Fehler, wenn du dich weiterhin mit ihm herumtreibst!«, schrie Margot. Sie ließ mich wie ein kleines Häufchen Elend zurück. Ich sackte in mir zusammen. Der Rauch brannte in meiner Nase und mein Hals kratzte entsetzlich.
In der Hoffnung, Elena und Tobias auf diesem Grundstück zu finden, ließ ich meinen Blick schweifen, konnte sie aber nirgendwo sehen. Mit lahmen Schritten ging ich rückwärts. Ich war wie benebelt von dem Qualm und müde durch den Adrenalinrausch, der langsam nachließ. Meine Angst um Nick versetzte mir schmerzhafte Stiche, aber ich konnte nicht zurücklaufen. Dann würden sie wissen, wo die Taschenuhr war.
Am Wegesrand entdeckte ich eine dunkle Gestalt, die an einem Baumstamm lehnte. Erst bei genauerem Betrachten registrierte ich, dass es sich um Adrian handelte. Er hatte mich schon längst entdeckt, doch machte keinerlei Anstalten, auf mich zuzulaufen. Er hielt bloß sein Bein, während an der Seite seiner Hose Blut herausquoll. Seine Augen funkelten unberechenbar, und er schüttelte den Kopf über mich, als wäre ich ein unvernünftiges Kind, dem man eine Standpauke halten musste.
Mein Blick blieb hart. Ich hatte das Richtige getan. Die Taschenuhr war in guten Händen. Dort war sie viel besser aufgehoben als bei Margot, und Elena würde ihr Erbstück in ein paar Tagen wiederbekommen.
Adrian taxierte mich. Durch die grellen, lodernden Flammen hinter mir konnte ich erkennen, wie rot und geschwollen seine Augen waren. Blut klebte an seinen Lippen, die er zu einer schrecklichen Grimasse, einer entsetzlichen Fratze, verzog. Ich hasste ihn. Ich wünschte, er würde in sich zusammenbrechen.
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Elena - Dem Bösen so nah
Misterio / SuspensoElena quält das zerrüttete Verhältnis zu ihrer besten Freundin. Sie ahnt nicht, dass diese sie hintergeht. Noch scheint alles harmlos. Auch, wenn Elena einen Verdacht hat. Doch dann wird aus Verdacht Gewissheit. Und plötzlich steht nicht nur ihre Fr...