Stunde 1

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„Immer diese Verliebten, heutzutage", murmelte Shiho, stellte die Teetasse wieder ab und machte sich wieder auf den Weg in ihr kleines Labor im Keller.
Auf halbem Weg fing Professor Agasa sie ab.
„Ist Shin'ichi schon wieder weg?", fragte er und sah verdutzt auf die Teetasse auf dem Tisch.
„Vorhin kam eine Nachricht und daraufhin ist er sofort aufgesprungen und weggerannt", erklärte Shiho ihm kurz und knapp die Situation.
„Ein neuer Mordfall?", wollte der Professor wissen.
„Nein", meinte Shiho nur.
„Was lässt ihn denn sonst so aufspringen?" Immer noch verwirrt sah der Professor dem mittlerweile wieder 18-jährigen Mädchen hinterher.
Shiho hatte schon die Tür zum Keller geöffnet, als sie sich umdrehte und leicht lächelte.
„Da hat wohl jemand mit weißem Anzug dem Detektiv eine kleine Freude bereitet", sagte sie und verschwand auf der Treppe.
„Wie?", fragte Professor Agasa. Er wusste immer noch nicht, was passiert war.

Nervös ging er aus der Tür und verließ das Haus von Professor Agasa. Hastig lief er die Straße hinunter und spurtete in sein Haus, aus dem Shuichi Akai schon vor einer Weile ausgezogen war. Schnell schnappte er sich eine dickere Jacke und einen Schal sowie sein Portemonnaie und verließ nach ein paar Sekunden wieder das Haus.
Er konnte gar nicht klar denken, so schnell lief er und fand sich schon ein paar Minuten später in einem Bus wieder, mit der er zur nächsten Straßenbahn fuhr. Erst jetzt hatte er Zeit zum Nachdenken.
Auch, wenn Kaito geschrieben hatte, er würde ihm eine Antwort geben, wusste er nicht, was es für eine Antwort war. Würde sie positiv oder negativ ausfallen?
Auf einmal war sein Verstand wie vernebelt. Warum war er so aufgeregt und freute sich so auf dieses Wiedersehen? Er wusste ja nicht einmal, wie es für ihn ausgehen würde... Ob Kaito ihn abweisen würde oder nicht.
Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl dabei.
Shin'ichi holte sein Handy heraus und las noch einmal die Nachricht von Kaito. Sie war so knapp und geradeheraus geschrieben worden. Und das, obwohl der Dieb normalerweise liebend gerne mit Worten spielte.
Überlegend starrte er auf das Telefon in seiner Hand und Zweifel an seiner vorhin noch großen Freude nagten in seinem Unterbewusstsein.
Während er grübelte, hörte er die Durchsage, die den nächsten Halt ankündigte und kurze Zeit später stieg er aus.
Er lief jetzt ziemlich langsam und schleppend zum Bahnhof der Straßenbahn. Angst machte sich langsam bemerkbar und schlich sich durch seinen ganzen Körper, so dass er eine Gänsehaut bekam. Wer würde schon wissen, was ihn da erwarten würde?
Als die Straßenbahn einfuhr ging er als Letzter hinein und blieb, ohne auf freie Sitzplätze zu achten, stehen.
Sonst wäre er wohl nie wieder aufgestanden und einfach weitergefahren.
Es war so viel passiert in letzter Zeit, dass er nicht gedacht hätte, noch etwas von Kaito zu hören. Immerhin hatte er offiziell seine Karriere als Dieb beendet und nie von sich hören lassen. Bis jetzt.
So hatten sie es abgemacht. Aber trotzdem war es bei Shin'ichi keine Minute ruhig geblieben. Ran, Kogoro und seine Eltern hatten gefragt, was passiert war und wie das damals überhaupt so weit kommen konnte. Auch nachher wurden noch viele Untersuchungen angestellt und Zeugenaussagen von Shin'ichi benötigt.
Auch Kaito wurde einmal dorthin bestellt, aber weder hatte er Shin'ichi bemerkt noch angesprochen. Damals war vielleicht ein Monat nach dem Vorfall vergangen.
Das war das letzte Mal, wo er ihn gesehen hatte. An einer seiner Wangen hatte er noch ein Pflaster getragen, die Schnittwunde von ihrem Sturz war anscheinend doch ziemlich tief gewesen.
Nach ungefähr zwanzig Minuten öffnete sich wieder die Tür der Straßenbahn. Zögernd trat Shin'ichi hinaus und atmete die kalte Winterluft ein. Ob es wohl schneien würde? Er starrte in den eisblauen Himmel hinauf und sah die Wolken vorbeiziehen.
Noch einmal sog er tief die Luft ein und füllte so seine Lungen neu mit frischem Sauerstoff. Dann machte er sich auf den Weg zu der Adresse.
Mit zügigem Schritt ging er nun die Straße entlang. Er durfte jetzt nicht kneifen. Er hatte sich auf den Weg gemacht und auch Kaito rechnete mit seinem Erscheinen. Wenn er jetzt zurückgehen würde, sähe es für Kaito so aus als wenn Shin'ichi diese drei Worte damals nicht ernst gemeint hätte.
Sofort wurde er wieder rot im Gesicht und zog sich seinen Schal höher ins Gesicht. Immer, wenn er daran dachte, bekam er Herzrasen. Es war ihm bis da nicht klar gewesen, dass das so verwirrend werden konnte. Doch als er es damals ausgesprochen hatte, hatte sich gleichzeitig ein Stein auf sein Herz gesetzt. Irgendwie war ihm damals bewusst geworden, dass Kaito nicht sofort darauf antworten konnte, nachdem er ihm erzählt hatte, dass er noch eine Aufgabe zu erledigen hatte.
Es war dumm gewesen, ihm es damals zu sagen. Einfach leichtsinnig. Menschen wurden nun einmal durch so etwas durcheinander gebracht. Das wäre ihm bestimmt genauso gegangen.
Fluchend und resigniert fasste sich Shin'ichi an seinen Hinterkopf und legte dann die Hand vor seine Augen während er kurz stehen blieb. Was war er nur für ein Idiot gewesen?
Vor seinen geschlossenen Augen spielte sich schon die Szene ab, wo Kaito ihn abweisen würde und seine Gefühle nicht einmal ernst nahm. Sein Herz zog sich zusammen. Wie oft hatte er sich das nicht schon ausgemalt, wenn es einmal so weit war? Was hatte er sich denn erhofft? Wie Heiji einmal gesagt hatte, war er wirklich schlecht darin, die Gefühle anderer Menschen zu deuten. Anscheinend lagen ihm Mordaufklärungen wirklich besser.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?", fragte eine weibliche Stimme ihn und er nahm sofort die Hand von seinen Augen. Er blickte in das Gesicht eines Mädchens in seinem Alter und die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Ran hatte.
Dies war doch die Tochter von Inspektor Nakamori, die auch am Bahnhof gestanden hatte, als Kaito und er vor ein paar Monaten wiedergekommen waren und sich so um ihn gesorgt hatte.
„Nanu, bist du nicht Shin'ichi Kudo?", fragte das Mädchen ihn und wurde nun wieder zurück in das Hier und Jetzt zurückgeholt.
„Ja, das stimmt", antwortete er ihr.
„Sind deine Wunden schon verheilt?", fragte sie ihn und ihr Gesicht sah besorgt aus. „Kaito hat erzählt, dass man dich sogar angeschossen hat."
„Das ist halb so wild gewesen, es war ein glatter Durchschuss", meinte er leicht und musste lächeln. Irgendwie tat es gut zu hören, dass es Kaito durchaus gut zu gingen schien. Auch wenn er zugeben musste, dass diese Mädchen schon wie eine ziemlich gute Freundin von Kaito wirkte...
„Sag mal...", fing Shin'ichi an, „bist du Kaitos feste Freundin?"

24 Stunden ohne Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt