Stunde 2

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„WAS?!", fragte das Mädchen entsetzt und lief sofort knallrot an.
Innerlich hätte Shin'ichi sich am liebsten getreten. Wie war ihm das nur rausgerutscht? Seit wann war er so unkonzentriert?
„Nein, nein, nein! Niemals!", verneinte das Mädchen und schüttelte schnell mit dem Kopf. „Wir sind nur alte Freunde, sonst nichts!"
„Tut mir leid, das war etwas aufdringlich", redete Shin'ichi schnell weiter. Mann, war das peinlich.
Das Mädchen starrte ihn eine Zeit lang misstrauisch an.
„Wie kommst du überhaupt auf so etwas?", fragte sie dann.
„Ach, ich dachte nur, weil du dir am Bahnhof so viele Sorgen um ihn gemacht hast und auch dabei warst, als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde", antwortete Shin'ichi.
„A-achso", sagte das Mädchen. „Naja, wir kennen uns eben schon lange und sind sowas wie Sandkastenfreunde."
„Na dann", meinte Shin'ichi.
„Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt, oder?", bemerkte das Mädchen auf einmal. „Ich bin Aoko Nakamori, freut mich."
Sie lächelte ihn an.
„Freut mich ebenfalls, ein schöner Name", meinte Shin'ichi und lächelte zurück.
„Was machst du denn in dieser Gegend? Willst du zu Kaito?", fragte Aoko.
„Ja, das stimmt", meinte Shin'ichi und ihm fiel wieder ein, dass er wegen etwas ganz Bestimmtem hier war. Seine Miene verfinsterte sich etwas und er zog seinen Schal wieder etwas höher.
„Dann bring ich dich hin, es ist nicht mehr weit", meinte Aoko. „Außerdem muss ich in dieselbe Richtung. Kaito und ich sind Nachbarn und ich muss ihm noch etwas geben. Dieser Magie-Spinner hat sich anscheinend eine Erkältung eingefangen und ich sollte ihm Medizin kaufen. Komm schon."
„Daher kennt ihr euch also", warf er ein und ging Aoko hinterher, die schon vorausgelaufen war.
„Ja, genau", sagte sie. „Wir gehen auch in dieselbe Klasse und das schon seit der Grundschule. Und er ist jeden Tag verdammt nervig."
Grummelnd ging sie weiter.
„Wie meinst du das?", wollte Shin'ichi wissen und versuchte zu Aoko aufzuschließen.
Ein leichter Rotschimmer erschien auf ihren Wangen.
„Lassen wir das Thema lieber sein", meinte sie nur und beschleunigte leicht. Sie schien etwas peinlich berührt zu sein.
Ein weiterer Klotz legte sich auf Shin'ichis Brust. Die beiden schienen wirklich eine enge Beziehung zu haben.
Er hatte sich während der Zeit, wo sie zusammen auf der Flucht waren, eingebildet, Kaito einigermaßen zu kennen. Mittlerweile wusste er, dass es nichts als reine Einbildung gewesen war.
„Sag mal, wäre es okay, wenn ich dich etwas frage?", wollte Aoko wissen.
„Ja, klar", antwortete Shin'ichi als sie um eine Ecke bogen. Er sah kurz auf das Straßenschild. Sie waren schon fast dort.
„Kaito fand es unangenehm und er hat gleich immer abgebrochen, aber...", setzte Aoko an. „Ist irgendwas vor ein paar Monaten vorgefallen? Er hat sich irgendwie verändert..."
„Was meinst du damit?", fragte er.
„Naja, irgendwie ist er ruhiger und nachdenklicher geworden. Viel stiller. Ich hätte das nie erwartet. Etwas muss ihm anscheinend ziemlich zusetzten...", meinte Aoko und ließ sich zu Shin'ichi zurück fallen um ihn anschauen zu können. „Weißt du, wieso?"
Der Detektiv versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch ganz so einfach war das nicht, denn sein Ausdruck verfinsterte sich etwas.
„Nein, keine Ahnung was es sein könnte", sagte Shin'ichi, dachte jedoch, dass es definitiv sein Geständnis gewesen sein musste. Prompt wurde er wieder leicht rot. „Immerhin ist ziemlich viel passiert."
„Hm", machte Aoko zum Verständnis. „Es ist nur so, dass ich mir schon Sorgen um ihn mache. Aber anscheinend willst du genauso wenig darüber reden wie er. Das kann ich verstehen. Immerhin ist es bestimmt nicht leicht gewesen."
Aoko blieb stehen und drehte sich zu einem Haus um.
„Das hier ist es", sagte Aoko. „Ich komm noch eben mit rein wegen der Medizin."
Shin'ichi nickte und das Mädchen ging über den Weg bis zur Tür, wo sie klingelte. Als nach einer Zeit immer noch niemand öffnete, klingelte sie mehrmals hintereinander.
„Komisch...", meinte sie und runzelte die Stirn. Sie legte eine Hand an die Tür und wollte dran rütteln, doch sie war gar nicht richtig zugezogen.
„Was ist denn...?", setzte Aoko an, doch Shin'ichi drückte bereits die Haustür auf und rannte in das Haus hinein.
Als er jedoch einen Schritt hinein gemacht hatte, blieb er vor Schreck stehen.
„Oh... mein Gott...", murmelte Aoko.
Was sie sahen, ließ sie vor Schreck erstarren.
Der komplette Flur war verwüstet. Regale waren umgeschmissen und Bilder von den Wänden heruntergefallen. Eine Vase war zersprungen und die Blumen mit dem Wasser waren auf dem Boden verteilt und hatten eine nasse Stelle hinterlassen. An einer Wand klebte Blut.
„Kaito...", flüsterte Aoko geschockt und Tränen standen ihr in den Augen.
„Verflucht...", grummelte Shin'ichi, zog seine Schuhe aus und rannte ins Haus hinein.
„Kaito?!", rief er und durchsuchte alle Zimmer im Untergeschoss. Verdammt... Er durfte nicht tot sein... Das konnte doch nicht sein...
Als er wieder zurück in den Flur kam hatte auch Aoko ihre Schuhe ausgezogen und bahnte sich einen Weg durch die umgestoßenen Möbel.
„Hast du ihn gefunden?", fragte sie. Shin'ichi schüttelte den Kopf und machte sich auf den Weg nach oben.
Er hörte, wie Aoko ihm nachlief. Als sie oben waren, sah Shin'ichi zu Aoko.
„Du suchst links, ich rechts!", sagte er und verschwand direkt nachdem er das Nicken von dem Mädchen gesehen hatte.
Aber auch als er hier die Tür aufriss, fand er nichts als Kaitos Schlafzimmer. Doch hier war alles aufgeräumt. Nichts war unordentlich.
Ein Bild auf dem Regal zog Shin'ichis Aufmerksamkeit auf sich und er blickte kurz darauf. Es zeigte einen kleinen Jungen mit seinen Eltern. Das musste Kaito sein...
Schnell zog er seinen Blick wieder weg und machte sich zurück auf den Weg zur Treppe, wo Aoko schon völlig aufgelöst wartete.
„Er ist nicht da", sagte sie schniefend und in ihren Augen bildeten sich Tränen. „War er da hinten?"
Shin'ichi schüttelte den Kopf.
„Wo ist er nur...? Was ist passiert...?", fragte Aoko und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie hielt sich ihre Hände vor die Augen und wischte sich diese ab.
Shin'ichi schluckte schwer und ging dann auf das weinende Mädchen zu. Vorsichtig legte er eine Hand auf ihre Schulter und sie sah zu ihm auf.
Es war ihm klar, dass sie in ihn verliebt war. Und irgendwie wollte er das nicht, etwas in ihm sträubte sich sehr dagegen. Trotzdem öffnete er seinen Mund und beruhigte Aoko.
„Ich bin sicher, es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Keine Sorge, ich werde ihn finden. Ich bin schließlich Detektiv."

24 Stunden ohne Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt