Gestern war Shin’ichi nicht direkt nach Hause gelaufen. Als er vom Präsidium gekommen war, war er noch zu einer nahegelegenen Brücke gelaufen und hatte sich den noch nicht ganz gefrorenen Fluss angesehen. Irgendwann hatte es dann auch angefangen zu schneien und er hatte beschlossen, dann doch nach Hause zu gehen, ehe er sich noch einen Schnupfen wegholen würde.
Jetzt lag er jedoch müde und völlig gerädert in seinem Bett. Mit der einen Hand versuchte er seinen Wecker auszuschalten, was jedoch damit endete, dass dieser auf den Boden krachte und es schien, als würde aus Empörung nun noch schriller klingeln.
Grummelnd stemmte Shin’ichi sich mit seinen Händen hoch und griff schlaftrunken nach dem Störenfried.
Das hatte zur Folge, dass er nun mit der Hälfte seines Oberkörpers aus dem Bett hing und nur halb anwesend auf die Uhrzeit starrte. Das änderte sich jedoch, als er sah, dass er eigentlich schon vor zehn Minuten hätte aufstehen sollen.
In Lichtgeschwindigkeit zog er sich an, spurtete hinunter und verschlang sein Frühstück, nur um festzustellen, dass er jetzt noch fünf Minuten Zeit hatte und sich gar nicht so zu beeilen brauchte.
Seufzend ging er dennoch nach draußen und schloss ab, damit er Ran schon abpassen konnte, sobald sie zu ihm kommen würde um gemeinsam zur Schule zu laufen.
Die Luft hatte sich in der letzten Nacht noch weiter abgekühlt und es war eisig kalt draußen. Um nicht ganz steif zu werden lief er vor dem Tor zur Villa auf der Stelle herum und hauchte sich in die Hände, damit diese warm blieben.
Während er das tat kamen Erinnerungen an gestern wieder hoch und er schluckte schnell. Doch das half nicht im geringsten.
Immer wieder schwirrten ihm Bilder von Aoko und Kaito im Kopf herum, wie sie zusammen die Straßen im Schnee hinuntergingen und miteinander redeten. Und sich auch vielleicht etwas näher…
Schnell kniff Shin’ichi die Augen zusammen und schüttelte den Kopf um das Bild, was mittlerweile immer mehr Gestalt annahm zu verdrängen und sah sich stattdessen nach Ran um. Sie war immer noch nicht da.
Verwirrt sah er auf seine Uhr als plötzlich sein Handy klingelte. Es war Rans Nummer.
„Shin’ichi?“, fragte eine ziemlich krank klingende Stimme am Telefon.
„Ran?“
„Ich hab versucht dich zuhause zu erreichen, a-aber... Hatschi!... Entschuldige bitte. Aber du bist nicht rangegangen, darum hab ich dich auf dem Handy angerufen“, schniefte sie. „Ich habe mir gestern eine Erkältung eingefangen und kann leider nicht zur Schule kommen.“
„Alles klar“, sagte der Oberschülerdetektiv. „Du solltest zum Arzt gehen, wenn es schlimmer wird.“
„Keine Sorge, es wird bald vorbei sein“, meinte Ran und Shin’ichi konnte sich förmlich vorstellen, wie sie ihr Lächeln aufsetzte, mit dem sie die Leute immer beruhigen wollte. „Hatschi!“
„Gesundheit“, meinte er und grinste leicht. „Ruh dich gut aus.“
„Danke“, sagte sie und er legte auf.
Er steckte das Handy wieder in die Tasche und machte sich nun auf den Weg zur Schule. Er machte sich Sorgen um Ran, aber er hatte gehofft, dass er dadurch, dass sie anwesend gewesen wäre, zu mindestens etwas den Tag gestern vergessen konnte. Nun musste er sich irgendwie anders ablenken.Noch fünf Minuten. Fünf Minuten, dann konnte er endlich aus der Schule raus und nach Hause. Natürlich nicht, ohne Ran vorher noch eben die Aufgaben vorbeizubringen. Das hatte er ihr noch schnell geschrieben, bevor es zur ersten Stunde geschellt hatte. Sonoko hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, sich ebenfalls anzumelden, allerdings vor allem aus Sorge um ihre kranke Freundin.
Das musste Shin’ichi ihr lassen. So nervig sie auch manchmal war, ihre Freundschaft mit Ran war bewundernswert.
Aber der Hauptgrund dafür, dass er endlich hier raus wollte war, dass ihn ständig Leute nach der Entführung und der Bande fragten. Was genau abgelaufen sei, ob das Gerücht stimmte, dass die Gefangenen halb tot geprügelt worden wären oder die Bande wild um sich geschossen hätte.
Leider hatte er die Fragenden alle enttäuschen müssen. Bei manchen Fragen hatte er sich jedoch am liebsten die Hand vor den Kopf geschlagen. Wer kam auf die Idee, dass das Haus in Flammen gestanden hatte und er aus dem ersten Stock springen musste?
Die Gerüchteküche kochte und er würde dieses Ereignis am liebsten, wie fast jeden anderen Fall, einfach gerne abhaken.
Und deshalb war er immens froh, als die Schulglocke läutete und er seine Sachen zusammenpacken konnte. Dann wartete er noch kurz auf Sonoko und zusammen liefen sie zu Ran um ihr die Schulsachen vorbeizubringen.
„Dankeschön“, empfing sie die erkältete Ran an der Haustür. Sie trug nur ihren Schlafanzug, aber weder Shin’ichi noch Sonoko störte dies.
„Wie war es in der Schule?“, fragte sie und bat sie herein.
„Alle haben viel über den Fall gesprochen, den Shin’ichi vorgestern gelöst hat“, erklärte Sonoko kurz. „Aber ansonsten war es wie immer.“
„Dann waren wahrscheinlich wieder viele Gerüchte im Umlauf“, warf Ran in den Raum und sah Shin’ichi gespannt an.
„Ja, das stimmt“, bestätigte er. Inständig hoffte er, dass Ran ihn nicht auch noch nach dem Fall ausfragen wollte.
„Na, dann werde ich mal nicht weiter nachfragen, die Fragen von unseren Klassenkameraden waren bestimmt nicht wenig“, sagte sie und nieste kurz.
Ein Stein fiel ihm vom Herzen.
Sie saßen noch ungefähr eine Stunde zusammen bis Shin’ichi einfiel, dass er ja noch in die Stadt wollte. In Windeseile zog er seine Sachen wieder an, verabschiedete sich und rannte in das Einkaufsviertel.
Diese eine Stunde, auch, wenn sie kurz war, hatte ihm irgendwie gut getan. Ran und Sonoko hatten es fast gänzlich geschafft, dass er nicht an den gestrigen Tag hatte denken müssen.
Das Lächeln, das gerade noch auf seinen Lippen lag, verschwand langsam, als ein alter Gedanke, der ihn die letzten Monate schon geplagt hatte, sich wieder in sein Bewusstsein drängte.
Er hatte Kaito gerade gesehen, aber er hatte kein einziges Mal erwähnt, was er von seiner Aktion damals im Krankenhaus gehalten hatte. Auch, wenn Shin’ichi zugeben musste, dass er etwas Herzklopfen vor der Antwort hatte und sich schon fast zu hundert Prozent sicher war, dass er eine Abfuhr bekommen würde. Falls er je eine bekommen würde.
Seufzend machte er sich auf den Weg in den Supermarkt.
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24 Stunden ohne Kaito KID
Mystery / Thriller//Fortsetzung zu "24 Stunden mit Kaito KID"// Nach ungefähr drei Monaten hat sich der Alltag von Shin'ichi und Kaito wieder einigermaßen eingespielt, als Shin'ichi von Kaito eine Nachricht bekommt und dieser sich mit ihm treffen will. Sofort eilt Sh...