Stunde 5

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„Shin'ichi? Shin'ichi!"
Die Stimme drang nur langsam zu dem Detektiv durch. Doch als er sie endlich registriert hatte, erschrak er und blickte leicht irritiert den Inspektor an. Mit einem schnellen Blick realisierte er wieder in welcher Situation er und die anderen waren.
„Hm?", fragte er daraufhin zurück.
„Hast du mir denn eben nicht zugehört? Wir brauchen deine Hilfe, immerhin hast du die Stimmen der Entführer gehört! Mit deiner Unterstützung können wir sie schneller identifizieren", wiederholte Megure mit etwas lauterer Stimme. Er schien es eilig zu haben.
Wie konnte Shin'ichi auch so blöd sein und sich gerade jetzt in seinen Gedanken verlieren?
„Ja, sofort", antwortete der Detektiv ihm und rannte hinter Megure zu dem Polizeiauto.
„Ich komme mit, Megure", sagte Nakamori und lief auch mit hinterher.
„Nakamori, das geht nicht", verneinte Megure, blieb stehen und warf ihm einen ernsten Blick zu. „Sie werden sich in diesen Fall zu sehr hineinsteigern, weil sie den jungen Mann persönlich kennen."
Nakamori schien erst wütend zu sein, doch dann sah er ein, was Megure ihm damit sagen wollte. Er seufzte auf, nickte dann aber schließlich. Er wusste, dass Megure recht hatte, auch, wenn er liebend gerne dabei gewesen wäre.
„Bitte bleiben Sie mit der Spurensicherung und Ihrer Tochter hier. Vielleicht finden Sie ja noch einige nützliche Hinweise in dem Fall. Und rufen Sie sofort an, sobald Ihnen etwas aufgefallen ist."
Noch während er das sagte drehte er sich wieder um und auch Shin'ichi, der dem Gespräch zugehört hatte wollte weitergehen, als er am Ärmel festgehalten wurde.
„Du findest ihn, oder?", fragte sie.
Schon wieder schlich sich dieser Kloß in Shin'ichis Hals. Entschlossen nickte er, drehte sich um und lief mit gesenktem Kopf zu dem Polizeiauto hin. Seine Lippen presste er fest aufeinander während er in das Auto stieg und dieses mit Karacho losfuhr.
Warum...? Warum hatte er Kaito damals gesagt, dass er ihn liebte? Das hatte alles so verflucht kompliziert gemacht. Und irgendwie wollte er nun auch Aoko nicht verletzten. Sie liebte Kaito, das wusste er. Und immer wenn er sie sah spürte er einen Stich in seinem Herzen. Verfluchter Mist.
Als Kaito das Thema vorhin am Telefon angeschnitten hatte, hatte er ihn sofort abgewürgt. Auch, wenn er dazu bereit gewesen war Kaitos Antwort zu hören... irgendwie wollte er das noch nicht ansprechen. Nicht so. Es war so komisch gewesen.

~Flashback~

Noch in demselben Moment, in dem Shin'ichi ihn umarmte, fühlte er die Überraschung und Verwunderung, die von dem Dieb ausging. Sein Körper versteifte sich merkwürdig und nach einiger Zeit ließ Shin'ichi Kaito wieder los.
Innerlich verfluchte er sich. Was war denn das für eine unüberlegte Aktion gewesen? Aber er hatte es nicht ändern können. Wenn Kaito darüber sprach, dass er bei seinem nächsten Coup vielleicht sterben würde... dann wollte er es ihm wenigstens gesagt haben. Auch, wenn er wahrscheinlich eine Abfuhr bekommen würde.
Peinlich berührt starrte Shin'ichi weg. Auch ohne hinzugucken wusste er, dass Kaito ihn ungläubig und überrascht anstarren würde.
Das Fenster schien für ihn auf einmal unglaublich interessant zu sein.
Dann begann es.
„Shin'ichi, du-", setzte Kaito an, doch in diesem Moment klopfte es an der Tür und eine Krankenschwester kam in das Zimmer hinein.

~Flashback Ende~

Dann war der Moment auch schon vorbei gewesen. Shin'ichi musste zu weiteren Untersuchungen und als er wieder ins Zimmer zurück kam war Kaito schon entlassen worden.
Er schüttelte leicht den Kopf. Nein, er durfte jetzt nicht daran denken. Kaitos Sicherheit war momentan wichtiger als sein Geständnis damals.
„Inspektor Megure!", meldete sich Takagi auf einmal durch das Funkgerät am Armaturenbrett. „Wir haben den ersten Stau überprüft. Leider gab es keine Ergebnisse. Wir fahren jetzt weiter zum zweiten Stau."
„In Ordnung", beantwortete Megure Takagis Bericht. „Dann werden wir den in Richtung Osaka übernehmen. Halten Sie mich weiter auf dem Laufenden, Takagi."
„Sehr wohl, Inspektor", antwortete er. Man hörte ein Knacken und danach war die Stimme des Ermittlers nicht mehr zu hören.
„Hoffen wir einfach, dass wir Kaito Kuroba da schnell herausholen können. Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache."
Shin'ichi schwieg. Auch ihm lag ein schwerer Stein im Magen wenn er daran dachte, sie könnten ihn noch verlieren. Schnell verdrängte er den Gedanken wieder und konzentrierte sich nun auf die Tokioter Hochhäuser, die mittlerweile immer näher kamen, je weiter sie ins Zentrum kamen.
„Shin'ichi, sag mal, ist alles in Ordnung bei dir?", fragte Megure und blickte nach hinten. Verwirrt und aus seinen Gedanken gerissen drehte der Detektiv seinen Kopf zu dem des Inspektors und sah ihn an wie ein Gespenst.
„Mein Gott, du scheinst davon ja vollkommen mitgenommen zu sein", deutete der Mann vor ihm seine Mimik. „Bist du dir sicher, dass du das schaffen wirst? Es scheint, als wärt ihr ziemlich gute Freunde geworden, während ihr diese furchtbare Sache damals durchgestanden habt."
Ein trauriges Lächeln schlich sich auf Shin'ichis Gesicht. Bitter blickte er Megure an.
„Das kann man so genau nun auch nicht sagen", erwiderte Shin'ichi ihm. „Aber wir haben uns einigermaßen gut verstanden. Machen Sie sich bitte keine Sorgen, Inspektor. Mir geht es gut."
Immer noch ernst blickte Megure Shin'ichi an, bis er sich schließlich nickte und sich wieder nach vorne umdrehte.
Mir kannst du nichts mehr vormachen, Shin'ichi, dachte Megure stumm. Da steckt doch noch viel mehr hinter. Dein Gesichtsausdruck verrät dich. Du siehst aus, als wenn du Angst hättest ihn nie wieder sehen zu können.
„Inspektor, wir sollten in ein paar Minuten am Stau ankommen", sagte nun der Fahrer und blieb vor einer Ampel stehen. „Sehen Sie mal. Dort hinten ist er schon."
Shin'ichi verrenkte sich beinahe den Hals um auf den Stau zu blicken.
Dort war vermutlich Kaito. Hoffentlich ging es ihm gut.
„Sehr schön", meinte Megure nur.
Sie alle saßen wie auf heißen Kohlen, bis die Ampel endlich grün wurde und sie weiterfuhren. Kaum blieben sie stehen, da öffnete Shin'ichi die Tür und stand für eine Weile nur da. Langsam beschlich ihn die Wut. Wenn Kaito wirklich hier seien sollte, dann würde er sich die Entführer vorknöpfen. Er würde sie persönlich mit verhören.
„Shin'ichi", begann Megure, nachdem auch er aus dem Auto gestiegen war. „Bitte lass dich nicht von deinen Gefühlen mitnehmen. Andernfalls muss ich dich auch zurück zu Nakamori schicken."

24 Stunden ohne Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt