Stunde 4

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„Shin'ichi!", rief Aoko aus dem Flur und lief mit eiligen Schritten auf ihn zu. „Hast du etwas herausgefunden?"
Das Mädchen kam durch die Tür in die Küche und sah mit immer noch ziemlich betrübtem Gesicht auf den Detektiv hinab, der nun leicht frustriert auf dem Küchenstuhl saß. Grübelnd starrte er auf sein Handy, dass er immer noch in der Hand hielt.
„Shin'ichi?", fragte Aoko ein weiteres Mal und nun endlich bemerkte er ihre Anwesenheit. Er sah von seinem Telefon auf und blickte in das Gesicht des Mädchens.
„Was ist denn los?", wollte sie wissen und kam nun etwas näher zu ihm hin.
„Kaito hat mich gerade angerufen", murmelte Shin'ichi und legte nun seine Finger ans Kinn, so wie er es immer tat wenn er nachdachte.
„Was? Wie geht es ihm? Ist alles okay?" Aoko starrte ihn fassungslos und besorgt an.
„Ja, soweit wohl. Anscheinend wurde er verletzt, aber es muss aufgehört haben zu bluten."
„Und wo ist er denn?!"
„In einem Kofferraum von einem Auto. Sie fahren gerade westlich aus Tokio heraus. Die Fahrer waren ziemlich gesprächig."
„Dann müssen wir uns doch beeilen!"
„Nein. Nicht nötig. Auf der einzigen Straße, die sie nutzen können ist ein Stau. Die werden dort erst einmal eine Weile festsitzen."
„Aber Kaito-"
„Aoko." Shin'ichi schnitt ihr das Wort ab. „Du bist sicher nicht die Einzige, die sich Sorgen macht, aber im Moment geht es ihm gut. Wir warten jetzt noch auf die Polizei und sobald sie kommt werden wir dort nach ihm suchen. Keine Sorge. Wir finden ihn."
Das Mädchen nickte tapfer und schluckte einmal. Wahrscheinlich waren es die aufkommenden Tränen gewesen.
„Wann kommt die Polizei?", fragte Shin'ichi dann etwas ruhig.
„Ich hab vorhin in der Zentrale angerufen. Sie meinten, sie machen sich sofort auf den Weg. Ein gewisser Kommissar Megure war dran. Danach habe ich noch meinem Papa Bescheid gegeben."
In ihren Augen sammelten sich nun wieder Tränen und plötzlich ohne Vorwarnung warf sie sich in seine Arme und weinte.
Schon wieder dieser schwere Stein auf Shin'ichis Brust. Warum kam er denn immer wieder? Warum fiel es ihm so schwer nett und freundlich zu dem weinenden Mädchen vor ihm zu sein? Warum waren seine Gefühle denn so verwirrend und komplex?
War er...
... eifersüchtig?
Er presste die Lippen aufeinander. Natürlich. Warum fiel ihm das denn auch erst jetzt auf? Es war doch so offensichtlich gewesen. Und trotzdem hatte er es nicht gemerkt.
Nun musste er schlucken, damit ihn nicht auch die Trauer überkam. Doch es klappte nicht. Eine stumme Träne rollte über seine Wange hinab zu seinem Kinn und fiel dann hinunter. Warum war Kaito in dieser Situation? Warum mussten diese Typen ihn denn gefangen nehmen?
Schluss. Du weißt genau wieso. Jetzt reiß dich doch mal zusammen.
Am liebsten hätte er sich selber eine reingehauen. Stattdessen wischte er sich die Träne weg und nahm nun die immer noch an ihn lehnende Aoko in den Arm. Es schien sie zu überraschen, denn sie hörte für kurze Zeit mit dem Schluchzen auf bis sie dann etwas stärker wieder anfing ihren Tränen freien Lauf zu lassen.
„Alles wird wieder gut, da bin ich mir sicher", sagte er leise zu ihr und versuchte sie so zu beruhigen. „Sobald die Polizei da ist fahren wir los und werden ihn finden. Versprochen."
Aoko nickte stumm.
Shin'ichi kramte währenddessen in seiner Tasche herum und holte ein Taschentuch hervor.
„Hier", sagte er und hielt es ihr hin. Sie sah auf und nahm es entgegen. Auf Shin'ichis Jacke war jetzt ein nasser Fleck zu sehen.
„Danke", sagte sie und nahm das Tuch entgegen. „Entschuldige, du bist jetzt ganz nass."
Sie lief leicht rot an und wischte schnell ihre Tränen ab.
„Das macht doch nichts", meinte Shin'ichi dann. „Sollen wir nach draußen gehen und auf die Polizei warten?"
Aoko nickte stumm und lief mit dem Detektiv zur Tür die immer noch offen stand. Auf dem Weg dahin balancierten sie über die Scherbenhaufen und zogen ihre Schuhe wieder an. Gerade als sie aus der Tür traten hörten sie auch schon die Sirenen der Polizei von weit entfernt. Bis diese immer näher kamen und schließlich um die letzte Ecke bogen waren keine zwei Minuten vergangen.
Kaum standen sie, da sprangen auch schon die Kommissare Megure und Nakamori gefolgt von Sato und Takagi heraus. Alle zusammen liefen auf den Eingang zu und Aoko warf sich mit einem Schluchzer in die Arme von ihrem Vater.
„Hallo, Kudo", begrüßte Megure ihn mit einem ernsten Nicken. Der Detektiv erwiderte dieses und sah dann zu Sato und Takagi.
„Was ist passiert?", fragte Sato sofort. „Erzähl uns bitte alles."
Ein weiteres Kopfnicken von Shin'ichi und er begann die Geschichte zu erzählen. Auch gab er das Telefonat von ihm und Kaito bis ins kleinste Detail wider.
„Wenn wir jetzt zu diesem Stau fahren können wir sie also noch einholen und vielleicht unnötige Opfer vermeiden. Außerdem ist Kaito an der Schulter verletzt. Ein Messerstich hat ihn erwischt. Ebenso wurde eine Frau namens Fumiko erwähnt, die anscheinend einer der Köpfe dieser Entführung ist."
„Schicken Sie sofort Polizeiwagen zu allen Staus hier in Tokyo und sorgen sie dafür, dass alle Insassen ihre Kofferräume öffnen. Es müssen zwei Personen in dem Auto sitzen", brüllte Megure und Takagi und Sato liefen sofort zu den Funkgeräten in den Autos um die Nachricht weiterzugeben.
„Was meinen Sie mit allen Staus, Inspektor?", fragte Shin'ichi Megure und spannte sich gleich wieder an. Irgendetwas schien hier eindeutig schief zu laufen.
„Nun ja, du weißt es wahrscheinlich nicht," fing Megure an, „aber heute Morgen haben sich genau drei Unfälle ereignet. Bei einem ist ein Laster gegen die Leitplanke gefahren. Der zweite ereignete sich kurz danach und dort sind zwei Autos aufeinandergeprallt. Naja und der Dritte ist gerade einmal eine halbe Stunde her, ein Auto hat sich überschlagen und Feuer gefangen."
Es war als würde Shin'ichi in eiskaltes Wasser getaucht werden. Er konnte nicht klar denken. Drei Staus. Wie lange würde es dauern alle nach diesen beiden Männern und Kaito zu durchsuchen? Was, wenn sie es mitbekommen würden über das Radio und sofort flüchten würden?
Was, wenn sie zu spät kommen würden?

24 Stunden ohne Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt