Prolog

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Vergangenheit

Henry Pierce

Henry Pierce zog langsam einen Pfeil aus seinem Köcher und spannte ihn auf die Sehne seines Bogens. Die Blätter der Bäume in der näheren Umgebung raschelten im Wind, das Hämmern eines Spechts war zu hören. Doch seine Aufmerksamkeit galt einzig dem kräftigen Hirsch, der sich nur wenige Meter von ihm entfernt befand. Henry hatte sich hinter einem Strauch versteckt und beobachtete das Tier bei der Nahrungssuche. Wenn er ihn erlegen konnte, würden er und seine Frau lange von dem Fleisch essen können. Er musste den richtigen Moment abpassen, um zuzuschlagen. Womöglich hatte er nur eine einzige Chance.

Vorsichtig und ohne ein Geräusch von sich zu geben, trat er noch etwas näher an das Wild heran, brachte sich in Position, um einen tödlichen Treffer zu landen. Kurz blickte der Hirsch auf, seine Ohren zuckten, als hätte er etwas gehört. Dann senkte er seinen Kopf wieder und zupfte mit seinem Maul eine Beere von einem Busch in der Nähe. Der Jäger atmete erleichtert aus. Jetzt oder nie.

Mit einem Mal ließ er den Pfeil durch die Luft sausen, der sich bereits im nächsten Moment in den Kopf des Hirschs bohrte. Volltreffer, dachte Henry, doch das Tier lebte noch immer. Der Hirsch brüllte schmerzerfüllt auf und versuchte sich zwischen den Bäumen in Sicherheit zu bringen. Verflucht. Der Jäger nahm die Verfolgung des verletzten Tiers auf, folgte ihm quer durch den Wald.

Er ignorierte die Äste, die ihm bei der Verfolgungsjagd ins Gesicht peitschten und rannte so schnell er konnte hinter seiner Beute her. Glücklicherweise wurde das Tier immer langsamer. Schließlich gelang es Henry, einen weiteren Pfeil auf den Hirsch abzufeuern, woraufhin er zu Boden sackte. So schnell es ihm möglich war, eilte er zu dem sterbenden Tier. Er zog seinen Dolch und schnitt dem Hirsch ohne zu zögern die Kehle durch. Blut sickerte aus der Wunde.

"Verzeih mir, ich wollte es kurz und schmerzlos machen, danke für dein Fleisch", murmelte er, seine Worte an den Hirsch gewandt, der schon längst sein Leben ausgehaucht hatte. Gerade wollte Henry damit beginnen, das Tier zu zerlegen, als ein Geruch von Schwefel zu ihm herüberwehte.

Verwirrt blickte er sich um und seine Augen weiteten sich vor Unglaube, als er in einigen Metern Entfernung einen schwarzen Rauchpfad sah, der sich langsam weiter ausbreitete. Eines wusste er sofort, es war kein Rauch, der durch Verbrennung entstanden ist.

Was war das nur für ein dunkler Zauber? Seine Intuition riet ihm zur Vorsicht und er hielt seine Umgebung wachsam im Auge. Kurz überlegte er, ob es nicht das Beste wäre, wenn er sich einfach von dem schwarzen Qualm fernhielt. Er schien magischer Natur zu sein und führte einen Weg entlang, hoch über eine Steintreppe.

Dieser Ort war nicht naturbelassen. Ganz in der Nähe mussten Menschen leben.

Plötzlich nahm er einen Laut in der Ferne wahr, der sich wie der Schrei eines Babys anhörte. Der Rauch trug das Geräusch geradewegs zu ihm herüber. Er zögerte nicht lange, nahm all seinen Mut zusammen und folgte der schwarzen Wolke.

Henry nahm die Treppenstufen nach oben, schlug einige Blätter aus dem Weg und gelangte schließlich zu einer kleinen Hütte mitten in den Wäldern. Was er dann sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Lediglich die Holzwände der Hütte standen noch, das Blätterdach war in sich zusammengefallen. Es machte beinahe den Eindruck, als wäre von oben etwas mächtiges an diesem Ort eingeschlagen.

Der schwarze Rauch stieg eindeutig aus den Trümmern empor, breitete sich in der Umgebung aus. Henrys Herz raste wie wild. Er hatte Angst, doch seine Beine trugen ihn wie von selbst in Richtung der Hütte. Der schwarze Rauch wurde immer dichter, das Schreien des Babys lauter. Erst jetzt fiel Henrys Blick auf eine Katze, die vor ihm auf dem Boden lag. Zumindest das, was noch von ihr übrig geblieben war. Knochensplitter ragten aus ihrem Körper und der schwarze Rauch schien sich langsam durch ihr Fleisch zu fressen. Ganz so, als wäre er lebendig.

Gefährtin des Schwarzdrachen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt