Kapitel 6 (überarbeitet)

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Silas

Silas stand inmitten der Zerstörung, die er angerichtet hatte, und breitete seine monströsen Schwingen aus. Von dem Leben, das hier einst wuchs, war nicht mehr viel zu sehen. Die schwarze Kuppel hatte sich in Luft aufgelöst. Der Boden war kahl und die einzelnen Bäume, die auf der Wiese standen, hatten ihren Kampf gegen die erbarmungslosen Flammen bereits aufgegeben.

Er sah verächtlich zu dem Häufchen Asche vor sich, das Einzige was noch von seinen schwächlichen Feinden übrig geblieben war. Der Greif hatte gut daran getan zu fliehen, als sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Er musste gespürt haben, dass er letztendlich keine Chance gegen einen Drachen hatte.

Es war zwar ärgerlich gewesen, dass ihn das Vieh, bevor es geflohen war, noch am Rücken verletzte, aber er konnte nichts mehr daran ändern. Er würde es überleben.

Silas blickte zum dichten Kiefernwald, aus dem er Ellys himmlischen Duft wahrnahm. Der Gedanke an sie brachte ihn fast um den Verstand, ihre langen blonden Haare hatten sich wie Seide in seinen Fingern angefühlt.

Noch immer wurde ihm ganz heiß, wenn er daran dachte, wie sie sich seinen Zärtlichkeiten hingegeben hatte.

Er konnte garnicht anders, er musste sie küssen, um herauszufinden, wie sie schmeckt und es hatte sich mehr als nur gelohnt. Sie weckte ein Verlangen in ihm, das stärker war als alles, was er jemals empfunden hatte.

Ellys Angst sowie ihre Lust waren berauschend gewesen, ihr rasender Herzschlag wie eine Liebkosung. Silas Schuppen prickelten. Sie hatte sich so gut unter ihm angefühlt, so weich, so zart und verletzlich. Beinahe wäre ihm die Kontrolle entglitten, es war ihm schwergefallen sich zurückzuhalten und sie nicht auf der Stelle zu nehmen.

Bereits seit sich ihre Blicke das erste Mal getroffen hatten, war er sich sicher gewesen, dass Elly seine Gefährtin war. Doch ihr Kuss hatte auch die restlichen Zweifel hinfort gespült.

Leider war Elly ein kleines verängstigtes Reh, das leicht zu verschrecken war. Sie hatte die erstbeste Gelegenheit genutzt, die sich ihr bot, um vor ihm zu fliehen.

Wut kochte in ihm, als er sich in die Lüfte erhob und der kahle Boden unter ihm immer kleiner wurde. Es fühlte sich an, als hätte er versagt. Und er hasste das Gefühl, versagt zu haben. Ellys Verlust machte ihm zu schaffen. Warum verstand sie denn nicht, dass er sie nur beschützen wollte? Er würde ihr niemals etwas antun.

Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass sie nun alleine durch die Wälder rannte. Gerade weil sie jederzeit in die Hände seiner Feinde fallen konnte. Nun, wo sie das erste Mal zusammen waren und sich dabei näher gekommen sind, haftete sein Geruch an ihr. Er konnte nur hoffen, dass sie keiner Kreatur begegnete, die herausfand, dass Elly seine Gefährtin war.

Während er über den dichten Kiefernwald hinwegflog und Elly zwischen den Bäumen suchte, wurde er immer wütender. Er knurrte gereizt, als ihm klar wurde, dass er sie in seiner Drachengestalt niemals in dem riesigen Wald finden würde. Und in seiner menschlichen Form würde es ewig dauern. Er brauchte die Hilfe seiner Untergebenen. Er musste sie auf Elly ansetzen.

Mit einem Mal änderte er seine Flugrichtung und machte sich auf den Weg gen Süden. Dabei blickte er auf das grüne Tal hinab, das sich vor ihm erstreckte. Die Landschaft war der perfekte Ort für den Anbau von Obst und Gemüse. Riesige Ackerfelder umgaben einige kleine Siedlungen, die auf der weitläufigen Grünfläche erbaut wurden.

Silas schnaubte verächtlich, als er auf mehrere kleine Punkte am Boden aufmerksam wurde, die sich langsam einem schmalen Fluss näherten.

Es gab nichts, dass er mehr hasste, als Menschen, die sein Land veränderten und Städte erbauten, ganze Landstriche für sich beanspruchten. Aerrion, wie diese Welt genannt wurde, gehörte ihm.

Als mächtigster lebender Schwarzdrache war es sein Recht, zu herrschen. Die Welt brauchte jemanden wie ihn, einen, der sich über alle anderen erhob und die Macht an sich riss. Die Kreaturen der Finsternis verstanden es, sie akzeptierten seine Stärke und dienten ihm. Sie wussten, dass er jeden von ihnen reich belohnen würde.

Sie waren klug, im Gegensatz zu den meisten Menschen und den Wesen des Lichts, die sich vehement weigerten, ihn als Herrscher zu akzeptieren. Noch immer leisteten sie Widerstand gegen die Unterdrückung, was seiner Meinung nach sinnlos war.

Silas lachte während er an Höhe abnahm und tiefer flog. Das würde sich jedoch bald ändern. Nicht mehr lange und dann würden selbst die letzten Geschöpfe Aerrions kapitulieren und ihn als Gebieter akzeptieren.

Zumindest wenn sie bei Verstand waren. Denn Elly würde ihn unaufhaltsam machen, wenn sie ersteinmal den Bund mit ihm eingegangen war.

Wielange hatte er nach ihr gesucht, nach der einen Frau, die sein schwarzes Herz zum schlagen brachte. Und nun, nach so vielen Jahren, hatte er sie endlich gefunden.

Bevor er Elly getroffen hatte, war er misstrauisch gewesen, als die Orakel vorhersagten, dass er eine Gefährtin besaß. Doch nun wusste er, dass sie die ganze Zeit über die Wahrheit gesprochen hatten. Sie existierte wirklich, seine Gefährtin. Seine Elly. Ihm wurde ganz warm, als er an sie dachte.

Die Menschen in der kleinen Siedlung unter ihm gerieten in Panik, als er im Sturzflug auf sie hinabstürzte. Sie kreischten vor Furcht und flohen aus ihren Häusern.

Er musste seine angestaute Wut an ihnen herauslassen. Er brauchte einen kühlen Kopf, wenn er Elly finden wollte.

Silas konnte die Angst der Dorfbewohner riechen, ihre aufsteigende Panik. Der himmlische Duft war eine betörenden Mischung für ihn, eine Droge, von der er niemals genug bekommen würde. Niemals.

Silas landete direkt neben einer kleinen Hütte. Er zertrümmerte sie mit seinem Schwanz und stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus.

Elly, ich werde dich finden und dir die Augen öffnen. Du wirst schon noch erkennen, dass wir beide füreinander bestimmt sind. Er atmete tief ein und sammelte Feuer in seinem riesigen Maul, dann ließ er das Dorf in Flammen aufgehen.

Sein Körper bebte vor freudiger Erregung. Er genoss seine Überlegenheit, fühlte sich lebendig, als er wie ein Albtraum über die Bewohner der Siedlung herfiel.

Das Gefühl der Macht berauschte ihn, drang in jeden Winkel seines Körpers. Innerlich grinste er.

Die schmerzerfüllten Schreie der Menschen klangen wie Musik in seinen Ohren. Er genoss die Geräuschkulisse und den Anblick der panischen Dorfbewohner, die mit allen Mitteln versuchten, ihm zu entkommen. Doch sein Drachenfeuer war erbarmungslos, versenkte Fleisch und Knochen gleichermaßen. Er ließ nichts als Asche zurück.

Gefährtin des Schwarzdrachen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt