Abiball, 2017
"Und runter mit dem Zeug!" rief meine beste Freundin Miriam über den Lärm der lauten Musik hinweg. Seufzend setzte ich das kleine Shot-Glas an meine Lippen und kippte den billigen Schnaps mit einem Zug herunter. Mein Gesicht verzog sich automatisch zu einer Grimasse - mir hatte Alkohol noch nie geschmeckt, besonders nicht in hochprozentiger Form. Doch heute Abend stellte eine Ausnahme dar, die ich wohl zu akzeptieren hatte. Schließlich beenden wir heute unsere Schulzeit - jedenfalls die reguläre. Dies war jedoch ein Thema, welches ich noch zu beichten hatte.
Seufzend stellte ich das kleine Glas auf der Theke ab und betrachtete meine besten Freunde. Miriam kicherte wie wild, als Tom ihr einen Arm um die Schultern legte. Sie hatte mir vor kurzem gesteckt, dass sie ein Auge auf den Braunhaarigen geworfen hatte. Obwohl wir uns schon ein paar Jahre kannten und derselben Clique angehörten, schien sie ihn erst jetzt mit anderen Augen zu sehen. Seine haselnussbraunen Augen fixierten derweil ihr Gesicht, als wären die beiden alleine im Raum. Möglicherweise beruhen die Gefühle ja auf Gegenseitigkeit. Leider würde mir keine Zeit bleiben, dies persönlich zu beobachten.
Robin zog ebenfalls eine Grimasse, bevor er heftig und angeekelt den Kopf schüttelte. Ihm schien es ähnlich zu gehen, was den Alkohol anging. Schmunzelnd betrachtete ich den Nerd unserer Truppe - ganz klischeehaft sah er tatsächlich auch so aus. Sein Sakko hatte er bereits abgelegt, doch das blaukarierte Hemd und die große, schwarze Hornbrille unterstrichen nur seinen Charakter und Stil. Die dunkelblonden Haare hatte er kurz geschoren, da ihm längere Strähnen immer nur störten. Seine Aussage, nicht meine. Nichtsdestotrotz mochten wir seine schräge, aber liebe Art. Schließlich nahmen extrovertierte Menschen immer introvertierte Schützlinge auf, nicht wahr?
„Jetzt übertreib mal nicht, Rob." lachte auch schon der letzte im Bunde. Gabriel. Ich betrachtete meinen besten Freund mit einem breiter werdenden Lächeln. Im Gegensatz zu Robin trug er seine Haare momentan länger, bis zu den Schultern. Sobald sie eine gewisse Länge erreichten, wellten sie sich und er bekam niedliche dunkelbraune Locken. Ihn störte das, da sie nicht wirklich ‚männlich' waren, doch ich mochte sie. Ich mochte alles an ihm. Gewissermaßen waren wir wie Seelenverwandte, seit wir uns das erste Mal begegnet waren. Da wir uns bereits im Kindergarten angefreundet hatten, kannten wir uns in- und auswendig. Er kannte all meine Macken und ich wusste all seine Geheimnisse. Er akzeptierte meine Verrücktheiten und ich unterstützte ihn bei seinen ungewöhnlichen Plänen und Ideen. Wir ergänzten uns.
„Du verträgst das nun mal besser als ich!" beschwerte sich Robin derweil, während ihm Gab nur schmunzelnd auf die Schulter klopfte. „Eve hat das auch nicht geschmeckt." fügte er noch hinzu und richtete die Aufmerksamkeit nun auf mich. Überrascht zog Gab seine dunklen Augenbrauen in die Höhe, bevor er mir ein verschmitztes Lächeln schenkte. Seine Iris besaß eigentlich einen schönen Grünton, doch durch die dunkle Umgebung konnte ich es nun kaum erkennen. Nichtsdestotrotz wusste ich, dass diese je nach Stimmung leichte Veränderungen vorwiesen - mal wirkten sie heller, mal dunkler. „Von Evelyn kenne ich das schon." seufzte Gab und schüttelte geradezu enttäuscht, aber belustigt den Kopf. Ich streckte ihm daraufhin nur die Zunge heraus, was ihn wieder zum Lachen brachte. Er wusste am besten, dass ich nicht viel vertrug und demnach nur selten etwas alkoholisches trank.
Aber es gab noch einen Grund, warum ich mich nicht ausnahmsweise gehen gelassen hatte, auch wenn es an solch einem Anlass in Ordnung gewesen wäre. Ich musste dringend mit ihm sprechen.
„Gab, hast du eine Minute?" unterbrach ich das Geplänkel und schenkte ihm ein verkniffenes Lächeln. Ich hatte Angst. Panische Angst vor seiner Reaktion und vor dem Plan, den ich dennoch durchführen würde. Schließlich bekam man nicht immer solch eine große Chance, nicht? Das Grafikdesign-Studium an der Universität in London war für mich die Möglichkeit, aus dem tristen Alltag auszubrechen. Die Schule war nun vorbei und ich musste an meine Zukunft denken - auch wenn ich hier bei meinen Freunden die beste Zeit meines Lebens hatte, musste ich den Schritt wagen. Schließlich bekam nicht jeder solch eine Chance im Leben und ich würde mich in ein paar Jahren sicherlich ärgern, wenn ich dies abgelehnt hätte. Doch warum fühlte es sich so an, als würde ich ihn verraten? Als würde diese Entscheidung einen schneidenden Riss in unsere Freundschaft reißen? Mit Miriam hatte ich bereits darüber gesprochen und es waren viele Tränen geflossen. Inzwischen war sie wie eine Schwester, die ich nie hatte und es tat weh, Deutschland für ganze 4 Jahre verlassen zu müssen. Natürlich konnte sie mich besuchen kommen, doch selbst während einer Ausbildung war das Geld knapp und man sah sich dennoch ziemlich selten. Innerlich seufzte ich bei dem Gedanken. Durch die duale Studienweise hatte ich zwar Semesterferien, doch währenddessen musste ich arbeiten. Ich hatte spontan ein WG-Zimmer gefunden und musste dies schließlich auch irgendwie finanzieren.
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Damals wie Heute
Romance𝐄𝐯𝐞𝐥𝐲𝐧 & 𝐆𝐚𝐛𝐫𝐢𝐞𝐥. Einst unzertrennlich, bis das Leben die besten Freunde auseinander riss. Nach einem heftigen Streit entschließt sich Evelyn, für ihr Studium ihre Heimatstadt zu verlassen und die Geschehnisse hinter sich zu lassen. Do...