𝟠 - Typ Blond

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Gegen Mitternacht hatte sich Miriam schließlich von mir verabschiedet. Ich wusste nicht, ob sie einfach für mich da sein wollte oder eigentlich nur aufpasste, dass ich nicht bei jedem Geräusch zur Nachbartür rannte. So oder so hätte sie sich keine Sorgen machen müssen - tatsächlich hatte ich nichts mehr von Gabriel gehört, bis ich in einen tiefen Schlaf gefallen war. Entweder hatte er woanders übernachtet, oder ich hatte einfach nichts mitbekommen. Schließlich lag mir der Wein ziemlich schwer im Magen und vernebelte zusätzlich mein Hirn. Eine gute Mischung, um den perfekten tiefen Schlaf nachzuholen, der mir in den vergangenen Nächten gefehlt hatte. Ausgeschlafener als sonst duschte ich also ausgiebig und versuchte, den Stress des gestrigen Tages hinter mich zu lassen. Eine Gesichtsmaske und einen Kaffee später fühlte ich mich wie ein neuer Mensch und war somit bereit, in den Samstag zu starten.

Meine Eltern hatten mich heute zum Brunch eingeladen, daher verzichtete ich vorsichtshalber auf ein Frühstück - so wie ich die beiden kannte, würde es wieder an nichts fehlen. Mein Magen rumorte schon voller Vorfreude, als ich daran dachte. Schnell schlüpfte ich also in meine Schuhe und zog eine Übergangsjacke an. Draußen schien zwar die Sonne, doch ich vertraute dem warm aussehenden Schein nicht - meistens war es immer kühler als angenommen, gerade kurz vor Herbstanfang.

Leise vor mich her summend trat ich aus meiner Wohnung und schloss die Tür ab, als die neben mir ebenfalls aufgerissen wurde. Panisch drehte ich mich um, in heller Erwartung an Gabriel und seinen düsteren Blick. Wohlmöglich hätte er mich einfach ignoriert und wäre weiter seines Weges gegangen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Doch ich sorgte mich umsonst - mehr oder weniger. Statt grüner Augen blickten mir warme Braune entgegen, welche zu einer hübschen Blondine in den Zwanzigern gehörten. So leise wie möglich zog sie die Tür hinter sich zu und versuchte, sowohl Schuhe, als auch Jacke und Handtasche zu tragen. Als sie mich bemerkte, legte sich ein sanfter Rotschimmer auf ihre Wangen.

Ah, ich verstehe. Der berühmte "Walk of Shame" trug sich direkt vor meinen Augen zu und ich konnte nicht umhin, als zu starren. Offensichtlich war es ihr peinlich dabei erwischt zu werden, von solch einer nächtlichen Begegnung abzuhauen. Das wäre es dir auch, Eve! Um es dem Mädchen nicht noch unangenehmer zu machen, versuchte ich ein leichtes Lächeln aufzubringen. Schließlich war nichts verwerfliches daran, dass Frauen auch ihren Spaß haben durften. Willkommen im 21.Jahrhundert! Erleichtert schenkte sie mir ebenfalls ein Lächeln, bevor sie in ihre Schuhe schlüpfte und einen schnellen Abgang hinlegte. Für Smalltalk war sie also doch nicht bereit. Ich stand noch etwas perplex im Hausflur und starrte an Gabs Tür. Hatte er nach unserer gestrigen Begegnung nichts besseres zu tun gehabt, als wieder ein Mädel abzuschleppen? Wo lernte er die alle kennen? Zugegebenermaßen musste es für ihn nicht wirklich schwer sein, jemanden zu finden. Selbst der kurze Blick von gestern hatte mir gezeigt, wie gutaussehend er geworden war. Sein freches Bad Boy Verhalten unterstrich dies nur und von der Kleidung musste ich gar nicht erst anfangen. Gabriel Thiel sah nach Gefahr und Abenteuern aus und da konnte kaum ein Mädchen widerstehen. Wie sieht es mit dir aus, Eve?

Meine innere Stimme ignorierend begab ich mich ebenfalls auf dem Weg nach unten. Leider konnte ich nicht umhin, als an die Schönheit von eben zu denken. War es nur Zufall oder hatte Gabriel ein bestimmtes Beuteschema entwickelt? Gleich bei unserer ersten Begegnung auf dem Balkon hatte er mich mit Mel verwechselt und angeboten, noch für ein Schäferstündchen rüberzukommen - es war offensichtlich, was er damit gemeint hatte. Mel hatte blonde Haare gehabt. Das Mädchen von eben war ebenfalls Blond gewesen. Frustriert stöhnte ich leise auf. Warum machte ich mir eigentlich Gedanken darüber, auf welche Frauen er stand? Schließlich konnte es mir doch egal sein, oder nicht. Es war ja nicht so, als hätte ich irgendeinen Anspruch auf ihn, nur weil wir fast unser ganzes bisheriges Leben befreundet gewesen waren. Wenn er sich mit diversen Frauen treffen wollte, konnte er dies ruhig tun - ich würde mich da raushalten. Laut Miriam war dies momentan auch die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Schlussendlich wollte ich mich weder aufzwingen, noch ihn bedrängen. Auch wenn es mehr wehtat, als angenommen - ich musste es akzeptieren, wenn Gabriel mich nicht mehr in seinem Leben haben wollte.

Damals wie HeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt