𝟟 - Vergangenheit und Gegenwart

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Ich war aufgewühlt. So aufgewühlt, dass nicht mal der Gedanke des Schaumbades und einer entspannten Netflix-Serie in meinen Kopf kam. Wie wäre das in solch einer Situation auch möglich gewesen? Alles andere als belustigt lachte ich trocken auf. Ich lief seit bestimmt einer halben Stunde in meiner Wohnung hin und her und lauschte der lautstarken Rockmusik von nebenan. Ob es andere Nachbarn nicht auch störte, wenn Gabriel sich so benahm? Schließlich konnten nicht nur meine Wände so unerträglich dünn sein. Es kam mir beinahe vor, als hätte er einen Lautsprecher direkt in mein Zimmer gestellt. Vor allem fragte ich mich aber, was er damit zu erreichen versuchte. Auch wenn laute Musik schon immer half, die eigenen Gedanken auszublenden, wäre mir damit momentan nicht geholfen. Ich konnte nicht umhin, als mir immer wieder sein Gesicht vor Augen zu rufen. Dieser kalte, eisige Blick, der mich eben so verunsichert und fast abgeschreckt hatte. War dies nun seine Masche? Mich damit wegzuschubsen? Gab musste sich doch bewusst sein, dass das Ignorieren nicht lange funktionieren würde. Schließlich wohnten wir nebeneinander - da bekam man zwangsweise mit, wie der andere lebte. Kurz blitzte das laute Gestöhne der vergangenen Nacht in meinen Kopf auf, wodurch ich diesen sofort schüttelte, als könnte ich die Erinnerung daran hinauswerfen.

Was sollte ich nur tun? Ich hatte zwar befürchtet, dass das Wiedersehen nicht einfach wird, doch so eine Abfuhr hatte ich nicht erwartet. Es kam fast so rüber, als würde er...mich hassen. Verabscheuen. Nie wieder sehen wollen.

Schwer schluckte ich. Bevor sich auch nur annähernd wieder Tränen bilden konnten, schnappte ich mir mein Handy vom Wohnzimmertisch und rief die einzige Person an, die mir jetzt helfen konnte: meine beste Freundin.

Miriam hatte zwar schon zwei Freundinnen zu Besuch, scheuchte diese aber sofort davon, als ich ihr die Geschehnisse mitteilte. In weniger als einer halben Stunde stand sie bereits vor meiner Tür und schaute fragend zu Gabs Wohnung rüber. Zu mehr als einem hilflosen Schulterzucken war ich nicht in der Lage, da ich auch keine Antwort auf sein Verhalten fand. "Sein Musikgeschmack hat sich schon mal nicht verändert." sagte sie und seufzte theatralisch. "Ich habe uns Wein mitgebracht. Das kann man jetzt wirklich nicht nüchtern durchstehen." Sie stellte die dunkelgrüne Glasflasche auf den Wohnzimmertisch ab und machte es sich auf der Couch bequem. "Da gebe ich dir ausnahmsweise mal Recht." teilte ich ihr mit, bevor ich auch schon zwei Gläser aus dem nahegelegenen Schränkchen holte und mich zu ihr gesellte. "Tut mir Leid, dass ich deinen Abend unterbrochen habe." Miriam zog sofort ihre Augenbrauen zusammen. "Süße, das ist doch total nebensächlich. Das hier ist definitiv ein Notfall." merkte sie an und füllte unsere Gläser mit der dunkelroten Flüssigkeit. Mit einem schmalen Lächeln stieß ich mit ihr an und trank einen vorsichtigen Schluck. Trockener Wein schmeckte zwar etwas bitterer, doch er schenkte mir nicht so schnell Kopfschmerzen am nächsten Morgen - alles hatte sein Für und Wider.

Einige Sekunden war es still, bis ich ein Seufzen nicht verhindern konnte. "Du hättest ihn sehen sollen, Mir. Er war so...". Tatsächlich fehlten mir die Worte, um Gabriel zu beschreiben. Oder besser gesagt, sein heutiges Ich zu beschreiben - der Unterschied zu damals war schon gravierend. "Anders?" half sie mir auf die Sprünge, bevor ich einen weiteren Schluck Wein nahm. "Ja. Er hat mich angesehen, als wäre ich sein Feind - als wären wir nie befreundet gewesen. Das ist nicht der Gabriel von früher."

Miriam nahm eine gemütlichere Position auf der Couch ein und schenkte mir einen nachdenklichen Blick. "Du hast dich doch auch verändert, Eve."

"Inwiefern?"

"London hat deinem Stock im Arsch nicht gut getan, so viel kann ich sagen." lachte sie, was mich ebenfalls ansteckte. Empört schlug ich ihr gegen den Oberarm. "Stimmt doch gar nicht!"

"Komm schon: Vor ein paar Jahren warst du etwas wilder drauf als jetzt. Du hast selbst deine hübschen bunten Haare abgeschrieben. Dabei haben dir die immer so gut gestanden." Also ist es ihr doch aufgefallen.

Damals wie HeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt