𝟛𝟡 - Reue

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Ich fühlte mich wie auf Autopilot. Meine Gedanken kreisten um sich selbst, wiederholten die gestrige Clubnacht und die darauffolgenden Szenen in Endlosschleife. Während mein Herz wild zu schlagen anfing und mein Atem vor Schock stockte, lösten sich Tom und Miriam voneinander und lächelten sanft. Doch in diesem Moment konnte ich mich nicht für sie freuen, konnte nicht mal richtig reagieren als sie endlich meine Anwesenheit bemerkten. Mein Gesicht musste Bände sprechen - Miriam kam direkt auf mich zu. "Hey, alles klar? Wir haben uns vertragen, du musst nicht so entsetzt dreinschauen." Es war offensichtlich, dass es witzig sein sollte, doch mir war momentan nicht zum Lachen zumute.

Ich habe Gabriel geküsst.

Diese Erkenntnis und die passende Erinnerung dazu ließen mein Innerstes beinahe durchdrehen. Automatisch legte ich geradezu gedankenverloren meine Fingerspitzen an die Lippen, als könnte ich dessen Berührung noch immer spüren. Jetzt wurde mir auch bewusst, warum sich Gab so anders verhalten hatte! Schließlich konnte er sich noch genaustens an die gestrige Nacht - und den Kuss - erinnern. Warum hatte er es verschwiegen? Warum hatte er gelogen, als ich nachgefragt hatte, ob etwas geschehen war? Ich hatte gleich das Gefühl gehabt, dass er mir etwas verschwiegen hatte - jetzt kannte ich den Grund dafür.

"Also alles wieder Friede, Freude, Eierkuchen?" ertönte sogleich seine Stimme und ließ mich automatisch zusammenfahren. Miriam bemerkte das Zucken natürlich, da sie direkt vor mir stand und mich inzwischen zur Genüge kannte. Sie sah mich mit erhobener Augenbraue an und hinterfragte lautlos mein Verhalten, doch ich konnte in diesem Moment nicht antworten. Ja, es war alles in Ordnung, ich hatte nur meinen besten Freund geküsst und alles durcheinander gebracht? Das konnte ich nicht sagen, zumal Gab inzwischen ebenfalls den Raum betrat und Tom spielerisch gegen die Schulter schlug. Blinzelnd betrachtete ich ihn und versuchte, die Geschehnisse abermals zu rekonstruieren. Ich wusste nicht mehr genau, was nach dem Kuss geschah, doch anscheinend hatte er nicht die Flucht ergriffen. Schließlich landeten wir zusammen in meinem Bett und hatten dort übernachtet. Entweder hatte er es als alkoholisierte Tat und einen Fehler angesehen und dementsprechend als solches ignoriert, oder wir haben tatsächlich darüber gesprochen und mir fehlten nur die restlichen Erinnerungen dazu. Um dies herauszufinden, gab es leider nur einen einzigen Weg: Ich musste mit ihm darüber reden. Auch wenn dies die logische Konsequenz daraus war, sträubte sich alles in mir dagegen. Es war unsagbar peinlich, erschreckend und könnte diese gerade wieder aufgebaute Freundschaft grundlegend verändern. Was hatte ich nur getan?

Erst, als mich zwei grüne Smaragde empfingen, bemerkte ich mein Starren. Peinlich berührt wandte ich meinen Blick ab, räusperte mich und versuchte ein erfreutes Lächeln ins Gesicht zu zaubern. "Freut mich, dass ihr euch wieder vertragen habt." sagte ich zu meiner besten Freundin, die ihre Augen inzwischen nur skeptisch zusammengekniffen hatte. "Was ist los?" ignorierte sie meine Aussage von eben und stemmte die Hände auf die Hüften. Ich vergaß leider viel zu oft, dass ich ihr nichts vormachen konnte. "Nichts, alles gut." fügte ich schnell hinzu und wank grinsend ab. Auch wenn meine schauspielerischen Fähigkeiten nicht die besten waren, so ließ sie es dieses Mal durchgehen. Wohlmöglich lag es daran, dass ihr eigenes Problem gerade eben erst gelöst worden war und sie somit den Kopf voll hatte - ich konnte es ihr nicht verdenken.

"Ich weiß, ihr Mädels wollt alles noch mal durchkauen," begann Tom und stellte sich mit Gabriel in unsere Konstellation, "aber ich habe heute noch Anrecht auf extrem heißen Versöhnungssex."

Miriam schlug ihrem Freund empört gegen den Oberarm, wurde jedoch tatsächlich etwas rot um die Nase. Auch ohne direkte Antwort wussten wir, wie diese lauten würde. Während die beiden in kleine Schäkereien verfielen, konzentrierte ich meinen Blick auf den überaus spannenden Boden...ich sollte echt mal wieder staubsaugen.

"Okay, wir hauen dann mal ab." ertönte es endlich, sodass wir zu viert den Flur betraten. Ich folgte meinen Freunden nur schwerfällig, da ich noch immer nicht wusste, wie ich mich zu verhalten hatte. Mit einer kleinen Panikattacke stellte ich fest, dass Gabriel etwas unschlüssig dastand und offenbar selbst überlegte, wie die nächten Schritte aussahen. Sollte er nun rüber in seine eigene Wohnung oder hierbleiben? An anderer Stelle hätte ich mich jetzt sicherlich gefreut und vorgeschlagen, einen entspannten Filmabend zu verbringen. Doch in dieser Situation, mit den wiedergekehrten Erinnerungen und dem...Kuss...

Damals wie HeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt