ZUSATZ: Ohne Anzug geht's nicht (Gabriel)

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Samstag, 16.Dezember, Kneipe

"Das ist jetzt nicht dein Ernst! Was machst du hier?" wurde ich wenig freundlich von Sasha begrüßt, welche just in diesem Moment durch die Kneipentür eintrat. Ihre Haare hatte sie ordentlich unter einer dicken Wolldecke versteckt, sodass keine lose Strähne mehr zu sehen war. "Ähm, arbeiten?" antwortete ich bemüht lässig, obwohl mein Innerstes eher einem wirren Knoten ähnelte. Es war Samstagnachmittag, exakt eine Woche nach dem Weihnachtsmarkt und eigentlich kein offizieller Arbeitstag für mich. Allerdings gab es keinen Ort, an dem ich mich lieber vor meinen eigenen Gedanken und Entscheidungen versteckte als hier. Das wusste auch Sasha, daher schüttelte sie nur ungläubig den Kopf, bevor sie beim näher treten schon Jacke und Mütze abwarf. "Du bist heute nicht eingeteilt, falls du das vergessen haben solltest." erwiderte sie spitz, wodurch ich nur leicht meine Augen verdrehen konnte. Als würde ich vergessen, für meine heutige Anwesenheit nicht bezahlt zu werden. "Und wie mir scheint, hast du etwas anderes auch noch vergessen. Oder warte, besser gesagt: verdrängt." Ihr anklagender Blick ließen die unterdrückten Schuldgefühle wieder emporsteigen, die ich bislang sorgsam heruntergeschluckt hatte. Sie wusste leider genau, warum ich mich hier versteckte. "Ich habe mich doch selbst ausgeladen, Sasha." sprach ich das Thema endlich an und seufzte schwer. "Außerdem ist es seit dem Weihnachtsmarkt echt komisch zwischen uns. Ich weiß nicht, wie..."

"...du damit umgehen sollst?" unterbrach sie mich und schnalzte missbilligend mit der Zunge. Zwar hatten wir uns auch etwas verkracht an dem Abend, allerdings war dies wieder schnell vergessen. Schließlich hatte ich ja gewusst, dass mein Gefühlspensum einfach übergelaufen und die Wut nur noch hochgekocht war. Sasha konnte ebenso schnell aufbrausend sein, auch wenn man es ihr auf dem ersten Blick wohl nicht zutrauen würde. Aus diesem Grund verstand sie jedoch mein Verhalten und hatte sich entschuldigt, sich so aufgedrängt zu haben. Was sie allerdings schon wieder vergessen hatte, schließlich konnte sie es nicht sein lassen, nun wieder ihren Senf dazuzugeben. "Wie wäre es damit, ihr endlich mal deine Gefühle zu gestehen, hm? Da wartet ein wunderhübsches Mädel auf dich und was machst du? Sitzt hier in einer dunklen Kneipe und schmollst!"

Auch wenn ihre Worte hart klangen, waren sie definitiv nicht so gemeint. Ich wusste ja, dass sie gewissermaßen Recht hatte. "Erstens: Ich schmolle nicht. Niemals." sagte ich und bemühte mich, ernst zu bleiben, auch als sich Sasha eines der Handtücher schnappte und nach mir warf. "Zweitens weiß sie, dass ich eifersüchtig war oder zumindest ahnt sie es. Von dort ist es nicht schwer darauf zu kommen, dass ich in sie verknallt bin - vielleicht denkt sie das auch schon längst." Es endlich laut ausgesprochen zu haben fühlte sich komisch und gleichzeitig befreiend an, aber dies würde ich Sasha nicht auf die Nase binden. Und auch wenn etwas Überraschung in ihrem Blick lag, tat ich so, als wäre nichts gewesen und sprach weiter. Ich wollte jetzt definitiv keine Szene von ihr, nur weil ich es zum ersten Mal laut ausgesprochen habe. "Und drittens fehlt das Allerwichtigste: Ich habe keinen Anzug. Ich passe so doch null zu den ganzen Büro-Freaks."

Sasha schnaubte nur belustigt. "Ich glaube eher, dass die dich als Freak bezeichnen würden, mein Lieber." merkte sie an und schielte auffällig auf mein T-Shirt, welches einen Alien-Kopf mit der Aufschrift Humans aren't real zeigte. Mein Mittelfinger sollte Antwort genug sein.

"Außerdem habe ich das Problem schon für dich gelöst." grinste Sasha und ließ mich beunruhigt die Stirn runzeln. "Was hast du angestellt?" hakte ich sofort nach, während mir die ungeheuersten Ideen durch den Kopf spukten. Was, wenn sie Eve selbst schon über meine Gefühle informiert hatte? Was, wenn sie jetzt auf dem Weg hierher war? Ich hätte doch lieber in meiner Wohnung bleiben sollen.

Wie aufs Stichwort wurde erneut die Tür geöffnet und mein Körper verwandelte sich zu Eis. Ich traute mich kaum, den Kopf zu drehen oder gar in die Richtung zu schielen, doch die Neugierde zwang mich dazu. Sashas Grinsen wurde breiter, als sie den Neuankömmling begrüßte.

Damals wie HeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt