Den Tag darauf packte ich in aller Gemütlichkeit meine Koffer aus und verbrachte die restliche Freizeit mit meinen Eltern auf der Couch oder im Garten. Auch wenn wir viel Kontakt hatten während meiner Abwesenheit, gab es dennoch immer Dinge, über die wir reden konnten. Dads aktuellstes Lieblingsthema, mal abgesehen von meinem neuen Job, war natürlich die Wohnungssuche. Selbstverständlich war er stolz auf mich und das, was ich geschafft hatte - dennoch wäre es schön, wenn ich selbstständig und erwachsen eine eigene Wohnung beziehen würde. Fast wäre es zu einem Streit gekommen, da meine Mutter einer völlig anderen Ansicht war: wenn ich noch ein paar Jahre bei ihnen bleiben wollen würde, hätte sie am Wenigsten ein Problem damit. Nun, das wollte ich aber wieder nicht. Wer wollte schon bis 30 im Hotel Mama wohnen? Ich versprach also, mich um eine eigene Wohnung zu bemühen. Aufgrund der jahrelangen WG-Erfahrung hatte ich genug davon, mir mein Heim mit Fremden zu teilen. Natürlich lernte man so am besten neue Leute kennen, doch nicht immer ging es rosig aus - ein gutes Beispiel ist Stella. Zudem wollte ich mich erstmal auf meinen neuen Job konzentrieren und einen guten Eindruck machen.
Am Montag stand ich dementsprechend extra früh auf, duschte und frühstückte ausgiebig und kam überpünktlich bei dem großen Gebäude meines Arbeitgebers an. Da sich die Berliner Abendpost direkt am Kurfürstendamm befand, war die Anbindung ziemlich gut und ich konnte den Standort bestens erreichen. Die erste Nervosität bekämpfend lief ich also zum Empfang und ließ mich von der netten Dame im engen Kostüm in den 10.Stock verweisen. Der Fahrstuhl besaß einen bodentiefen Spiegel, sodass ich mein Outfit zurechtzupfen konnte: meine dunkelblaue Bluse steckte in einem schwarzen Bleistiftrock, der zwar meine schmale Gestalt unterstrich, aber wenigstens bis zu den Knien reichte. Die Haare ließ ich offen, da ich keine Ahnung hatte, was ich mit ihnen anfangen sollte. Leider war ich noch nie wirklich kreativ darin gewesen, diese zu stylen - mal abgesehen von meinem damaligen Farbwechsel beließ ich sie immer so, wie sie waren. Bevor ich also noch weitere Makel finden konnte, die wohl keiner Person auffallen würden, ertönte ein kurzes Geräusch und die Türen des Aufzuges öffneten sich. Wie von der Tarantel gestochen machte ich einen schnellen Satz und hüpfte regelrecht aus dem metallenen Fahrgestell, um ja nicht die richtige Etage zu verpassen. Inzwischen hasste ich nichts mehr, als Unpünktlichkeit.
"Hi."
Perplex drehte ich mich in die Richtung, aus der die Frauenstimme kam. Mir gegenüber stand eine Frau mittleren Alters, welche mir freundlich die Hand reichte. "Ich bin Sarah Wedel, die Assistenz der Geschäftsführung. Wir haben miteinander telefoniert." stellte sie sich noch mal vor und lächelte lieblich. Ihre roten Haare leuchteten im künstlichen Licht des Ganges und ihre braunen Augen wirkten aufgeweckt und verschmitzt. "Oh, hi, ja. Ich bin Evelyn Simmons, aber Eve reicht auch aus." Merkte man mir an, dass ich nervös war? Ach, quatsch! Du stammelst nur herum, als würdest du gerade einen Vortrag vor deiner Schulklasse halten. Selbst wenn es Sarah aufgefallen war, ließ sie es sich nicht anmerken. Lediglich ihr Lächeln wurde ein Stück breiter als sonst, was mich in meiner Befürchtung nur bestätigte. "Komm, ich zeig dir deinen Arbeitsplatz. Die Grafik sitzt direkt beim Marketing, da der Austausch dort ziemlich wichtig ist." erklärte sie und führte mich den Gang hinunter. Interessiert stellte ich fest, dass die meisten inneren Wände ebenso wie die Außenfassade aus Glas bestanden - manche Bereiche waren zwar mit einer milchigen Folie überzogen, doch weitestgehend konnte man in die dahinter liegenden Büros schauen. Damit der Chef alles im Blick hat.
Wir liefen ein Stück weiter, bis sie in einen großen Raum mit mehreren Schreibtischen ging. Die meisten Mitarbeiter saßen sich direkt gegenüber, sodass man seinen Tischnachbarn immer direkt im Blick hatte. Interessiert ließ ich meinen Blick über die vereinzelten Personen schweifen; insgesamt zählte ich 12 Plätze, wobei die meisten momentan nicht besetzt waren. Entweder arbeiteten nicht so viele in dieser Abteilung, oder diese Firma hielt nicht viel von geregelten Arbeitszeiten.
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Damals wie Heute
Romance𝐄𝐯𝐞𝐥𝐲𝐧 & 𝐆𝐚𝐛𝐫𝐢𝐞𝐥. Einst unzertrennlich, bis das Leben die besten Freunde auseinander riss. Nach einem heftigen Streit entschließt sich Evelyn, für ihr Studium ihre Heimatstadt zu verlassen und die Geschehnisse hinter sich zu lassen. Do...