-Jocelyn-
Als ich aufwachte, war Valentin nicht mehr da. Ich runzelte die Stirn. Normalerweise wurde ich meistens von ihm wachgeküsst. Oder auch nicht. Aber für gewöhnlich war er immer da, wenn ich aufwachte. Ich sah mich um. Nicht mal einen Zettel hatte er geschrieben. „Valentin?“, fragte ich besorgt. Ich bekam keine Antwort. Ich setzte mich auf. Auf einmal öffnete sich die Tür. Ich warf mir ein Handtuch um und eilte hinunter. Unten standen Valentin und Maryse sich gegenüber. Sofort wurde ich eifersüchtig, obwohl Maryse verheiratet war und ich Valentin vertraute. Maryse schlug ihm lachend auf den Oberarm. „Morgen, mein Engel!“, begrüßte Valentin mich lächelnd. „Wo warst du?“, wollte ich misstrauisch wissen. Valentins Haare waren noch verwuschelter als sonst. „Du brauchst doch ein Kleid für unsere Hochzeit!“, sagte er lachend und gab mir einen Kuss. „Was?“ Maryse grinste nur und sah mich an. „Zieh dir was an. Wir gehen ein Kleid kaufen!“ Jathan kam auf einmal angetappt. „‘Pa!“, rief er mit seiner süßen Kleinkindstimme und schoss auf ihn zu. Valentin lachte und fing ihn auf. „Na, mein Kleiner?“ Er strich ihm über den Kopf, woraufhin Jathan sich sofort zu entspannen schien. „Dieses kleine Papakind.“, seufzte ich genervt. Valentin lachte leise. „Na los. Du willst doch auch ein Kleid haben.“ Ich schüttelte mich und sagte trotz meiner Kleiderphobie: „Lieber im Kleid zur Hochzeit als in einer deiner schlecht sitzenden Hosen.“ Valentin löste sich von Jathan und sah mich finster an. „Ey, meine Hosen sind klasse!“ Maryse neben ihm lachte sich absolut schlapp. Valentin grinste sie an. Dieses vielsagende Grinsen gefiel mir überhaupt nicht. Offenbar musste ich dringend mal ein Wörtchen mit Maryse reden…
Etwas später waren wir schon auf dem Weg zum Brautmodengeschäft. Ich räusperte mich unbehaglich, sodass ihr Blick sofort zu mir schoss. „Also, Mary…“, begann ich nervös. Sie lächelte nur leicht. „Ja?“, fragte sie. In ihren blauen Augen schimmerte kurz etwas auf, allerdings so kurz, dass ich mir nicht sicher war, es überhaupt gesehen zu haben. Ich räusperte mich nochmal. „Hattest du mal was mit Valentin?“ Sie starrte mich an. „Was? Nein!“ Sie lachte kurz auf. „Nein! Schon klar, Valentin ist heiß, aber nicht mein Typ. Wieso fragst du mich das?“ Ich nickte langsam. „Weil ihr euch so komisch angeguckt habt.“ Sie lächelte. „Ach ja… das ist wegen Jathan und Alexander. Sie spielen so schön miteinander. Genau wie Michael und Robert, als sie noch klein waren. Vielleicht werden die zwei auch Parabatai.“ Ich musste lächeln. „Das wäre echt süß.“ Wir betraten den Brautladen. „Also…such dir eines aus. Was denkst du?“ Ich seufzte, als ich mich umsah. Alle Kleider waren in den Maßen von 90-60-90 geschneidert. „Die sind ja alle schön… aber guck mich doch mal an! Die Kleider sind alle für Frauen!“ Maryse klatschte in die Hände. „Wow. Kleider für Frauen. Das gibt’s echt nur hier.“ Ich deutete auf meinen schmächtigen Körper. „Guck mich doch mal an! Ich sehe aus wie ein Brett!“ Maryse machte eine wegwerfende Handbewegung. "Du kannst die doch alle nochmal umändern lassen!" Ich seufzte und lief durch die engen Gassen zwischen den imposanten, pömpösen und auch schlichten und allesamt goldenen Kleidern durch.
Schließlich entschied ich mich für ein bodenlanges, orange-goldenes Kleid mit Korsage und weit ausladenem Rock. Es war wunderschön und auf dem grünen Saum des Rockes kleine Eherunen, die Glück und ewige Liebe versprachen. Maryse war absolut begeistert. Ich sah aus wie eine Prinzessin im 16. Jahrhundert. Nur mein Korsett rutschte immer wieder runter. "Wir müssen dich nur noch messen, Kleine!", sagte die Verkäuferin eifrig. Ich seufzte und ließ mich von ihr messen. Dann bezahlte ich die Leihgebühren für die Umschneiderung und ging dann mit Maryse und dem schweren Kleid in einer Schutzhülle verpackt nach Hause zu Valentin und Jathan. Es war sehr still, also hielt Jathan vermutlich gerade sein Mittagsnickerchen. Ich schlich mich rein und sah Valentin ein Buch lesend auf dem Sofa. Jathan lag auf seinem Oberkörper und schlief auf dem Bauch, den Kopf auf Valentins Brust. Ich musste einen Moment lang grinsen. "Hey.", begrüßte ich ihn leise und gab meinem Verlobten einen Kuss auf den Kopf. "Hey.", flüsterte er und legte das Buch weg. Ich grinste und flüsterte zurück: "Wir brauchen langsam einen Termin, solange mir das Kleid noch passt." Er musste lachen und sagte nur trocken: "Gib mir zehn Minuten zum Umziehen." Ich riss die Augen auf. "Was? Wie meinst du das?" Er lächelte nur leicht und hob Jathan vorsichtig von seiner Brust. "Die Stillen Brüder wissen Bescheid. Gehen wir?" Er legte Jathan ins Bett und grinste mich an. Dann ging er sich umziehen. Hochzeiten liefen immer sehr groß ab. Man lud so viele Leute ein, wie man kannte. Es war normal, früh zu heiraten, und ebenso normal, früh zu sterben. Ich ließ mir also von Maryse ins Kleid helfen und sah mich im Spiegel an. Dann kam Valentin runter, in einer Militäruniform, die ihm ausgezeichnet stand. Mitten auf der Treppe blieb er stehen und starrte mich an. Sofort wurde ich rot und senkte den Blick. Er lachte leise und lief auf mich zu, um mich an seine Brust zu ziehen. "Du siehst wunderschön aus, mein Engel...", sagte er leise und küsste mich kurz und sanft. Ich konnte einfach nur lächeln und ließ mich von ihm in die Stadt der Stille führen, an deren Eingang mich beinahe der gesamte Kreis erwartete. Als erstes sah ich Lucian, der mich anlächelte. Ich schluckte und grinste zurück. Dann wurden wir von allen in die Arme geschlossen und betraten schließlich zu zweit die Stadt der Stille. Dort verlas ein Stiller Bruder den Eheschwur, den sowohl Valentin als ich mehr oder weniger sicher wiederholten. Daraufhin reichte der Stille Bruder mir eine Stele und ich zeichnete Valentin vorsichtig die Eherunen. Dann gab ich Valentin die Stele und schloss die Augen, als er sanft die Stele auf meinem Arm ansetzte. Sofort spürte ich, dass sich etwas in mir veränderte. Auf einmal schien es, als würde die Welt heller werden, als Valentin meine Haut berührte. Am liebsten würde ich mich ihm sofort hingeben, ihn anbeten, so wie wir Nephilim eigentlich Raziel verehrten. Dann war er fertig und ich sah an dem Leuchten in seinen Augen, dass es ihm ebenso ging wie mir. Er blinzelte mich an, schlug dann fest die Arme um mich und küsste mich hemmungslos. Sofort schienen die Stillen Brüder zu verschwimmen und Valentin war das einzige, was mich hielt. Was zählte. Ich keuchte auf und schlug die Arme um seinen Hals.Ich wusste nicht, nach wie langer Zeit wir uns voneinander lösten. Ich glaube auch, das spielte keine Rolle mehr. Das einzige, was für mich noch zählte, war die Zeit mit Valentin. Er schluckte und sah mich an. Dann sah er mich an. "Du machst mich noch wahnsinnig, Jocelyn.", brachte er atemlos hervor.