Fünfunddreißig

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-Jocelyn-

Valentin und ich brachten Jathan in letzter Zeit ziemlich oft zu Maryse und Robert, die mittlerweile verheiratet waren. Aber genau das brachte uns zu häufigen Diskussionen. "Warum sind wir eigentlich noch nicht verheiratet?", fing ich an. Valentin sah mich nur an. "Weil du noch kein Kleid hast.", sagte er nüchtern. "Und weil du wieder schwanger bist." Da hatte er recht. Ich war wieder schwanger. "Wir können gerne heiraten, wenn das Kind da ist, aber wenn du schwanger bist, trau ich dir eine Hochzeit nicht zu. Erst recht nicht die Hochzeitsnacht." Ich seufzte. "Valentin... Sex ist für das Kind nicht schlecht!" Er sah mich nur an. "Darum geht's auch gar nicht!" Ich stemmte die Hände in die Hüften. "Worum dann? Ich kann nicht doppelt schwanger werden!" Er zog die Augenbrauen hoch. "Ach nein?" Ich schüttelte den Kopf. "Keine Ahnung, wie du darauf kommst!", keifte ich. Im nächsten Moment keuchte ich auf und legte mir eine Hand auf den Bauch. "Alles okay?", fragte er mich plötzlich besorgt. "Ich glaub... ich glaub, das war ne Wehe...", brachte ich hervor. Das war unmöglich! Ich war doch erst im vierten Monat!" Valentin schüttelte den Kopf. "Bestimmt nur ein Tritt..." Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich kenne den Unterschied zwischen einem Tritt und einer Wehe..." Ich hatte schreckliche Angst. Das war eine Wehe gewesen! Das konnte doch unmöglich sein! Valentin sah mich an. "Soll ich einen Stillen Bruder holen?" Ich nickte nur. Er kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. "Ich bin gleich zurück. Geh hoch, leg dich ins Bett. Es ist besser, wenn du nicht stehst, glaube ich." Ich nickte und schmiegte mich kurz an ihn. Dann ließ er mich los und rannte in die Stille Stadt. Ich atmete tief durch und fuhr mir durch die Haare. Ich hielt mir den Bauch. "Bitte, Kleines...bitte, lass dir noch Zeit... Komm schon..." Als Antwort bekam ich nur noch eine Wehe. Ich verzog das Gesicht. Dann sah ich auf, in das Gesicht eines Stillen Bruders. "Bruder Zachariah... bitte..." Jocelyn Morgenstern..., hörte ich seine Stimme in meinem Kopf. Ich schluckte. Dieser Ton klang nicht gut. Dieses Kind ist schwer krank. Es wird nicht überleben können. Ich öffnete meinen Mund und flüsterte: "Kann ich mich kurz von ihm verabschieden, bitte?" Bruder Zachariah neigte verständnisvoll den Kopf und verließ mein Schlafzimmer. Ich legte die Hand an meinen Bauch und blinzelte die Tränen aus meinen Augen. "Hey, Baby....Ich hoffe...du weißt, dass... Mama, Papa... und Jathan dich ganz doll...lieb haben und... dich ganz doll vermissen werden....Aber....du bist nicht alleine....Raziel passt...auf dich auf...Bitte...warte auf uns...Wir werden uns...wiedersehen...Ich hab dich lieb...", schluchzte ich verzweifelt, während mir ungehemmt Tränen über die Wangen liefen. Auf einmal hörte ich Valentins Stimme. "Jocelyn? Kann ich rein?", fragte er sanft. Ich nickte und brachte ein heiseres "ja" zustande. Er öffnete die Tür. Seine Gesichtszüge waren hart und kühl. Er kam zu mir und legte leicht seinen Kopf auf meinen Bauch. Wie er es auch oft bei Jathan getan hatte, wenn er getreten hatte. "Es tut mir leid, hörst du?", flüsterte er heiser. "Du kommst an einen besseren Ort. Wir sehen uns dort." Die letzten Worte konnte ich kaum verstehen; seine Stimme zitterte und war leise. "Ave atque vale, mein Kind..." Als ich diese Worte hörte, war es vorbei. Ich wollte nur noch sterben. Mein Kind war tot. Verloren. Einfach...weg. 

Valentin hob den Kopf von meinem Bauch und sah mich an. Ich sah ihn nur verschwommen. Ich biss die Lippen aufeinander und unterdrückte ein Schluchzen. Er löste sich von mir und setzte sich an meine Seite. Ich schluchzte auf, als er mich an seine Brust zog. Dürfen wir beginnen?, fragte die gehauchte Stimme von Bruder Zachariah. Ich nickte nur und drückte mein Gesicht an Valentins Brust. Er hielt mich ganz fest im Arm und strich über meine Haare. Gelegentlich wischte er über meine Wangen. Jedoch half das nicht, meine Tränen zu stillen.

Einige Minuten später hielt ich den kleinen Jungen in meinen Armen. Man konnte ihn eindeutig als Baby erkennen, aber er war total bleich, dass er fast durchscheinend wirkte. "Jocelyn. Lass ihn gehen.", sagte die kalte Stimme Valentins neben mir. Ich schluckte und gab den Stillen Brüdern das Kind. Mein Kind. Jathans Bruder. Ich war offiziell fertig mit der Welt.

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