Kapitel 20 - Der ewig blaue Himmel

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Kakuzu hielt die erste Wache. Sie hatten sich mit kaltem Wasser gewaschen und kein Feuer im Kamin entzündet. So praktisch das Dunkelpulver der Diebe auch war, jetzt waren vermutlich zu viele Soldaten unterwegs und sie wollten kein Risiko eingehen. Kerzenlicht flackerte über Shoutas Gesicht, der nahe der Tür lag, unter der Decke zusammengerollt.

Keine Brandglocken, keine Schreie. Die Stille war beinahe unheimlich und Kakuzus Gedanken kehrten unwillkürlich nach Arashi zurück. War es Brandstiftung gewesen? Sicher kein Zufall, dass nur der verarmte Norden niedergebrannt war.

Shouta hustete im Schlaf. Kakuzu fiel sein Buch ein, das er noch in der Manteltasche trug. Er zog es aus der Tasche und betrachtete es: Es war abgegriffen und sicher älter als Shouta, aber noch in gutem Zustand. Kakuzu schlug es interessiert auf, aber konnte die Schrift nicht entziffern. Er hatte Shouta häufig darin lesen sehen.

Shouta bekam einen Hustenanfall. Einen Moment befürchtete Kakuzu, er würde sich übergeben, doch der Anfall ging vorüber. Shouta stöhnte leise und setzte sich auf. Seine tränenden Augen leuchteten zu Kakuzu herüber.

„Du versuchst, in meinem Buch zu lesen?"

„Schlaf weiter."

Shouta stand auf, wickelte sich in die Decke und setzte sich an den Tisch. Er zog die Beine an seinen Körper. Im Kerzenlicht sah er leichenblass und müde aus.

„Wenn ich mich jetzt hinlege, fängt es wieder an", sagte er mit kratziger Stimme.

„Verstehe."

„Du kannst schlafen, wenn du willst."
„Ich bin nicht müde", log Kakuzu.

Shouta schloss die Augen und Kakuzu dachte schon, er wäre im Sitzen eingeschlafen. Dann sagte er: „Danke, dass du das Buch eingepackt hast."

„Was steht darin?", fragte Kakuzu. Er konnte den Titel nicht lesen. Shouta lächelte schwach.

„Märchen. Das Einzige, was mir von meinem Clan geblieben ist."

„Das ist nicht viel."

Kakuzu bemühte sich, mitfühlend zu klingen und reichte ihm das Buch.

„Eigentlich kenne ich den Clan gar nicht", sagte Shouta. „Ich kannte nur meine Mutter."

Er drehte das Buch in seinen Händen, als sähe er es zum ersten Mal, und strich liebevoll über den Einband.

„Es ist auch das Einzige, was ich lesen kann."

Kakuzu betrachtete ihn. Er sah so traurig aus. Anders als in Arashi. In dieser Nacht gab es keine Angst und keinen Alkohol.

„Ich vermisse meine Mutter nicht", fuhr Shouta leise fort, „aber ich vermisse unsere Sprache. Sadao wollte, dass ich so spreche wie die Leute hier. Jetzt habe ich nicht mal mehr einen Akzent, außer ich bemühe mich."

„Ist das Buch in dieser Sprache geschrieben?", fragte Kakuzu.

„Ja, in der der Nomadenclans. Meine Muttersprache, die ich auch gesprochen habe, als ich nach Orora kam."

Shouta klang jetzt kehliger. Er betonte das ch aus ich wie das aus auch. Dieser Akzent passte zu Shouta, fand Kakuzu. Ein wenig ungeschliffen, aber charmant.

„Ist deine Sprache sehr verschieden von unserer?"

„Nein, es ist ein wenig wie mit Áras Sprache. Anders, aber wenn ich langsam genug reden würde, würdest du das meiste verstehen."

Kakuzu hatte das Gefühl, noch etwas sagen zu müssen, aber er wusste nicht was oder wie, also schwieg er. Shouta seufzte tief und ließ den Kopf hängen.

Nur wer frei ist, ist ein KönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt