Kapitel 26:

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„Komm mit mir." Er nahm sanft meine Hand und schaute mich Ernst an. „Ich...ich...äh." Stotterte ich. Er trat noch einen Schritt näher zu mir und stand nun dicht vor mir, was mein Herz höher schlagen ließ. Dann legte er seine andere Hand an meine Wange und streichelte diese mit einer Zärtlichkeit, so als wäre ich aus dünnem, zerbrechlichen Glas.
„Was ist los, Liv? Vertraust du mir?" Ich blickte lange und nachdenklich in das tiefe, elfenhafte Grün seiner Augen. Dann holte ich Luft und schaute zu Boden.
„Ich möchte dir wirklich gerne vertrauen. Es ist nur...Ich weiß im Prinzip gar nichts über dich...Wovon träumst du? Was willst du in deinem Leben erreichen?..."
Komm sprech es endlich aus. Diese Fragen lagen mir schon eine ganze Weile auf der Zunge.

„Und warum arbeitest du für jemanden, den du hasst? Ich meine...ich hab deine Blicke gesehen...Warum für Lesharo, einen Drogendealer? Hast du keine Familie? Warum lebst du nicht bei deiner Familie?..."
Erst nachdem ich die Fragen ausgesprochen hatte, fiel mir auf das ich ihn wirklich überhaupt nicht kannte. Ich wusste nichts über ihn. Nicht einmal banale Dinge wie sein Lieblingsessen. Ich hatte im Prinzip eine Woche lang bei völlig fremden Personen gewohnt.

Seine Hände ließen mich plötzlich blitzschnell los und er trat mit schmerzerfüllten Augen fluchtartig einen Schritt zurück.
„Es reicht!" Schrie Lee völlig außer Fassung. Ich zuckte zusammen. Seine Augen funkelten nun wütend. Hatte ich einen wunden Punkt getroffen? Was war mit seiner Familie? Sie sind doch wohl nicht alle tot?
„T-tut mir leid. I-Ich wollte nicht..." stotterte ich unbeholfen und schaute ihn entschuldigend  an. Schnell drehte ich meinen Kopf weg und wollte wieder rein gehen. Ich wusste nicht was ich sonst tun sollte. Er wirkte ziemlich sauer. Man bin ich dumm.

„Nein warte, mir tut es leid...ich wollte dich nicht anschreien. Meine Familie ist...kompliziert. Aber du hast recht. Ich kann nicht von dir erwarten, dass du mir vertraust, ohne dir Vertrauen zu schenken..." flüsterte er dann plötzlich. „Komm mit mir, ich will dir etwas zeigen. Und versprochen, ich werde versuchen darüber zu reden!" Er streckte mir seine große Hand entgegen und ich nahm sie. Die Bedeutung dieser Berührung ließ kleine Stromschläge durch mich hindurch zucken. Spannung lag in der Luft als wir uns lange und innig ansahen. Seine Augen wanderten über meine Lippen. Dann aber zog er mich an der Hand hinter sich her zu seinem Auto.

Nachdem wir einige Minuten durch die Stadt gefahren waren, hielt er an einem großen Parkhaus, das in der Nacht völlig leer war. Wieder faltete er sanft seine Hand um meine und führte mich in das Parkhaus. Als er über das Geländer kletterte, war jeder Schritt, jeder Griff, jede Bewegung so präzise gesetzt, als hätte er das schon tausende Male gemacht. Er wusste genau was er tat und das ließ ihn unglaublich attraktiv wirken.

Ich folgte ihm etwas unbeholfener entlang der leeren Parkplätze, immer weiter nach oben.
Ich nahm plötzlich alles viel deutlicher wahr:
Es herrschte Totenstille, bis auf den flüsternden Wind, der durch die Etagen des Parkhauses zog und Lee's und meine hallenden Schritte. Immer mal wieder roch es nach Abgasen und Benzin von der Autobahn in der Nähe, aber so schnell wie der Geruch kam, wurde er auch schon wieder vom Winde fort geweht. Zudem war es ziemlich dunkel, nur einzelne leuchtende Notausgangs-Schilder tauchten die Gänge in grünliches Licht. Man konnte dennoch alles gut sehen, da durch die offenen Wände der Mond in die grauen Beton Etagen hineinstrahlte.

Lee öffnete eine der Türen die zum Dach führten. Ein heller Lichtstrahl wanderte über den Boden. Draußen war das Leuchten des Mondes viel stärker und somit war es, verglichen mit dem sehr düsteren Parkhausinneren, hier fast schon blendend hell. Ich kniff kurz meine Augen zusammen, aber nach kurzer Zeit hatten sie sich auch schon an das Licht gewöhnt. Endlich konnte ich die Umgebung mustern.

Bad Boy. Good lips. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt