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Mistral

Zurück in Delminum, unserem Schloss, mache ich mich umgehend auf die Suche nach Isra. Innerlich zerreißt es mich. Zum einen habe ich ein schlechtes Gewissen, ich sollte meinem Bruder sagen, was ich über Calandra herausgefunden habe, andererseits weiß ich genau wie er reagieren wird, und diese Reaktion kann ich nicht wirklich gebrauchen. Zumal sie mir auch nicht weiterhilft. Außerdem nagt Verzweiflung an mir. Calandra scheint jetzt so unerreichbar für mich und dabei muss ich mir eingestehen, ihr schon längst verfallen zu sein! Warum werde immer nur ich verletzt? Gefühle sind mir sehr wichtig, denn durch sie spüre ich, am Leben zu sein. Gleichzeitig machen sie mich schwach und immer wieder werde ich verletzt.

Endlich finde ich Isra. In ihrer Wolfsgestalt liegt sie auf dem Schemel vor meinem Bett. „Endlich habe ich dich gefunden!" Müde hebt sie ihren Kopf, aber alsbald dass sie mich erkennt beginne ihre Augen erfreut zu strahlen. Ihre sanfte Stimme erklingt in meinem Kopf: „Hallo Mistral. Wie geht es dir?" Ich kann ihr nichts verheimlichen und setze mich neben sie. Ich beginne sie zu streicheln, das beruhigte mich schon immer. Und dann sprudelt alles aus mir heraus: „Oh Gott Isra. Du hast ja keine Ahnung. Mir geht es... ich weiß es nicht würde meine Gefühle wohl am besten beschreiben."

Ich versuche meine Gedanken zu ordnen um Isra schildern zu können, was mich beschäftigt. „Ich habe heute wieder Calandra getroffen und wollte endlich wissen was sie ist. Ich habe sie danach gefragt und..." Ich lasse meinen Kopf hängen. In Gedanken vervollständigt Isra meinem Satz: „ sie ist ein Engel!" Ich nicke.  Abrupt setzt sich Isra hin und ihr Blick nimmt einen wütenden Ausdruck an. „Was soll ich jetzt bloß tun? Mein Herz schlägt längst nur für sie!" Ein paar Tränen laufen mir über die Wangen und tropfen hinab auf Isras Kopf. „Mistral... das oberste Gesetz..." Ich nicke, ich weiß es ja selbst. Es scheint hoffnungslos auszusehen.

Plötzlich werde ich von einer unbändigen Wut ergriffen. Ich stehe auf und bekomme das Gefühl, das sich die Wände auf mich zu bewegen. Ich bekomme kaum Luft und atme immer hektischer. Das ist mir alles zu viel. Isra sitzt geschockt auf dem Schemel und beobachtet mich, bereit einzugreifen, falls ich mich nicht beruhige. Und dann wird mir alles zu viel, ich weiß auch nicht mehr weiter und bekomme meine Wut nicht mehr unter Kontrolle. Ich schmeiße den alten Schreibtisch um, der mir von meiner Mutter geblieben ist. Er fällt krachend zu Boden. Ich reiße die Schubladen auf und schmeiße sämtliche Blätter um mich. Isra bellt und knurrt mich an, in Gedanken fleht sie mich an aufzuhören, doch ich kann nicht. „Dieses dumme Gesetz!" schreie ich meinen Frust in den Raum. „Dieses oberste Gesetz zerstört so vieles und ist doch schon längst überholt!" Einen Schrank nach dem anderen nehmen ich mir vor, bis ich die Schritte meines Bruders höre. Angezogen von dem Lärm steht er im Türrahmen und mustert mich. Schwer atmend drehe ich mich zu ihm. „Was ist los?" fragt er mich, ich höre Besorgnis aber auch Wut und ein kleines bisschen Enttäuschung aus seiner Stimme heraus.


„Niam, wir müssen reden!" ,sagt Mistral, während er zurück zu seinem Bett geht und sich darauf niederlässt. „Das sehe ich auch so." Isra schleicht sich winselnd und mit eingezogener Rute- dennoch bereit ihren Seelenpartner zu beschützen, wenn es darauf ankommt- zu Mistral und legt sich unter seine Füße, während Niam sich neben ihn auf das Bett setzt. „Es tut mir leid, dass ich dich neulich in dem Restaurant sitzen gelassen habe, aber es war mir einfach zu viel." „Ich kann deine Reaktion verstehen vermutlich hätte ich genauso reagiert." „Nein Mistral, das hättest du nicht. Du bist so völlig anders als ich. Du lässt deine Gefühle zu und offenbarst, dass du ein Herz hast. Genau das macht mir Angst, denn so hat Mutter ihr Leben verloren. Ich will einfach nicht, dass dir dasselbe passiert, wie ihr. Ich habe sie verloren, ich kann nicht auch noch dich verlieren.", beginnt Niam und Mistral sieht, wie sich Tränen in dessen Augen bilden. Beide haben den plötzlichen und für sie unvorhersehbaren Tod ihrer Mutter nie ganz überwunden. „Im Prinzip ist nur das oberste Gesetz an allem Schuld.", beginnt Mistral aus dem Nichts mit einem völlig anderen Thema. Niam wischt sich über die Augen und schaut blinzelnd zu seinem kleineren Bruder. „Was genau meinst du damit?"

„Bei unserem Gespräch in dem Restaurant hatte ich dir von dem Mädchen erzählt.", beginnt Mistral stockend zu erzählen. Niam nickt, als er sich daran erinnert, was Mistral ihm an jenem Tag erzählt hatte. „Ich habe heute mit eben jenem besagtem Mädchen geredet und... also es hat sich herausgestellt, dass ich mein Herz an ein scheinbar unerreichbares Mädchen verloren habe. Sie ist ein Engel." Niam verkrampft sich und erstarrt. Langsam dreht er sich zu Mistral: „Das darf nicht wahr sein oder? Das ist gerade ein Witz?" Dieser schüttelt verneinend den Kopf: „Warum reagierst du so? Ich weiß, das oberste Gesetz verbietet jeglichen Kontakt zu den anderen Wesen beziehungsweise jegliche Art von Gefühlen für das andere Wesen. Aber gerade du hast dich doch nie um Regeln gescherrt." Niam nickt langsam und doch spürt Mistral dass etwas nicht stimmt. „Es gibt ein großes Geheimnis,", beginnt Niam sein komisches Verhalten zu erklären. „Aufgrund dieses Geheimnisses, ist das Oberste Gesetz entstanden." „Was meinst du damit? Welches Geheimnis?" „Ich werde dir zeigen, was ich meine, aber dafür müssen wir einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit machen und das Archiv der Oberdämonen aufsuchen um in deren Chroniken nachzulesen, was das große Geheimnis ist." Mistral nickt und zusammen teeportieren sie sich in das Archiv.

Das Archiv ist eine Art Bibliothek. Sie liegt im Zentrum von Banjul doch nur den Reich- und Hochgeborenen ist ein Zutritt gewährt. Von außen wirkt das Gebäude zwar sehr alt, jedoch wirkt es im Inneren sehr modern. Vergoldete Tafeln hängen an den Buchregalen und weisen die Buchstaben des Alphabetes auf. Die Brüder nennen ihren Nachnamen und werden sofort zum gewünschten Buch geführt. Die Chroniken der Oberdämonen. Das Kapitel, dass Mistral lesen soll ist teilweise eine Erzählung, teilweise Dokumentation jedoch auch Strichpunkt artige Notizen. Mistral schlägt das Buch auf und beginnt zu lesen.

Zwischen Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt