Zwischen Himmel und Hölle

15.

Calandra

Es ist 2:27 Uhr und ich liege immer noch wach in meinem Bett. Ich starre an die Zimmerdecke und denke nach.

Ich denke an Mistral und muss lächeln. Wie schön es wäre wenn es sich bestätigen würde, dass er tatsächlich ein Engel ist. Eine halbe Bestätigung habe ich ja schon, da meine Mutter mir erklärt hatte, dass man an dem Blick eines Wesen erkennt, was es ist. Ich bin darin kein Profi, aber Mistrals Blick ist weder zornig, noch wütend. Eher in sich gekehrt, ein bisschen neugierig aber auch voller Trauer. Ich wüsste wirklich zu gerne, warum sein Blick von dieser tiefen Trauer befallen ist. Wenn ich genauer an unsere Treffen zurückdenke, muss ich schmunzeln, denn da wirkte sein Blick ganz und gar nicht traurig, sondern sehr fröhlich und gelöst.

Kann es sein...? Nein, bestimmt nicht. Wobei, vielleicht ja doch. Ich greife zu meinem Handy und gehe auf den Chat mit ihm. Ohne daran zu denken wie spät es ist, schreibe ich ihn an. Nur ein paar Sekunden später fällt mir auf, wie spät es tatsächlich ist und ich schlage mir vor die Stirn.

Bis es bing macht. Das ist der Ton, denn ich für Nachrichten eingestellt hatte. Ich schaue irritiert auf mein Handy und Mistrals Name leuchtet mir entgegen. Er ist noch wach! Und er hat mir mit einem „Hey, so spät noch wach?", geantwortet. Was soll ich ihm schreiben? Die Wahrheit? Oder warum ich nicht schlafen kann? „Ja ich bin noch wach. In letzter Zeit beschäftigen mich ein paar Fragen. Nein, sehr viele Fragen und auf keine Einzige bekomme oder finde ich Antworten." Es dauert ein paar Minuten ehe ich eine Antwort von ihm bekomme. „Das klingt nach sehr vielen schlaflosen Nächten. Kann ich dir vielleicht bei der ein oder anderen Frage mit einer Antwort helfen?" Diese Reaktion macht mich gerade unheimlich glücklich. Hilft er mir, weil ich ihm wichtig bin? Oder hilft er mir nur, um nett zu sein? Schon wieder neue Fragen, auf die ich momentan keine Antworten bekomme.

„Ich habe schon vor längerer Zeit erfahren, dass ich eine Schwester habe.", beginne ich ihm zu schreiben. „Ich weiß weder, wie sie aussieht, noch wie sie heißt. (Meine Eltern haben sich noch von meiner Geburt getrennt und meine Schwester lebt bei meinem Vater) Ich weiß bloß, dass sie 5 Jahre älter ist als ich.", tippe ich weiter. „Und in den letzten Tagen ist mein Wunsch bzw. der Drang sie zu finden immens gewachsen. Ich weiß bloß nicht, wo ich anfangen soll sie zu suchen." Während Mistral eine Antwort tippt, wandern meine Gedanken zurück zu meiner Schwester.

Ich könnte versuchen das Mädchen zu finden, mit dem ich auf dem Times Square zusammengestoßen bin. Irgendetwas an ihr hat mich extrem abgelenkt. Und plötzlich weiß ich was es ist. Es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Es war ihre Haarfarbe! Dieses Rot, dass in der Sonne so hell wie ein Rubin strahlt und sich unvergesslich in das Gehirn einbrennt. Dasselbe Rot, dass auch die Haarfarbe meiner Mutter ist. Warum bin ich nicht schon viel früher über diese Tatsache gestolpert? Aber kann ich deshalb sagen, dass sie meine Schwester ist? Vielleicht hat sie braunes Haar, oder blondes so wie ich? Wie soll ich sie nur jemals finden?

Wieder ertönt das bing von meinem Handy. „Okay, das ist wirklich krass. Gibt es vielleicht einen Ort, der deinen Eltern viel bedeutet hat? Vielleicht kannst du sie dort finden?", lautet seine Antwort. Und das ist eine geniale Idee. Was wäre, wenn dieses Mädchen wirklich meine Schwester ist und vielleicht ebenfalls nach mir auf der Suche ist? Aber wie wahrscheinlich ist es, sie am selben Ort wiederzutreffen? Und dann könnte so ein besonderer Ort in Amphypolis oder in Delminum sein. Ich kann ja nicht beide Welten absuchen! Und was wenn es doch der Times Square ist? Aber ich kann dort ja nicht stundenlang oder tagelang warten. „Danke, das ist eine super Idee, ich werde morgen mal meine Mutter danach fragen. Gute Nacht.", antworte ich noch schnell Mistral, bevor ich beschließe, morgen erneut den Times Square aufzusuchen. Vielleicht treffe ich sie dort ja.