Noch immer denkt sie jeden Tag den Patienten. Wie verrückt mochte sie sein, wenn sie so verrückt nach einem verrückten war? Hatte sie ihn doch noch nie gesehen. Nichts über ihn gehört.
Ein weiterer Tag. Haare zum Zopf, weißes Shirt und Jeans. Schon fast Routine, wo sie doch erst seid zwei Wochen da war. Sie entschied sich, bei der Essensausgabe dabei zu sein. War sie doch dabei gewesen, als der scheiß Pfleger es dem Patienten zu rief. Darf er ja nicht aus seiner Zelle. Wie die anderen. Eingesperrt, auf engstem Raum. Ohne einem Zellennachbarn. Im Gang als einziger Irrer. Und auch wie ein Irrer behandelt. Ein stück Dreck, welches nichts Wert zu sein scheint. War er aber ein Mensch wie jeder andere. Konnte hier drin doch auch nichts tun. So allein. Eingesperrt, im Suff seiner Selbst.
Es kribbelte in ihr, als ihr die Tante aus der Küche mitteilte, dass sie jetzt mit der anderen Pflegerin zusammen das Essen austeilen könne. Sie lächelte. Versteckte es gleich. Sollte sie doch niemand in solch einem Moment sehen. Was sollen die Pfleger denken? Es gab immermal wieder Patienten, die nicht im Aufenthaltsraum zusammen mit den anderen essen wollten. Manche durften auch nicht. Waren wegen ihrer ''Anfälle'' ans Bett gefesselt. Oder hatten sich daneben benommen und hatten desshalb, wie ein Lust-gesteuerter-Teenie, Hausarrest. Vielmehr, Zellenarrest. Es dauerte bis sie alle Patienten versorgt hatten. Dann endlich. Sie kamen am Gang an. Zu den Zellen 10A-25C.
Schwer pustete die Pflegerin. Sie war übergewichtig. Dümpelte hin und her. Laufen fiel ihr sichtlich schwer. War doch die Arbeit leichter, weil sie jetzt bei ihr war. Sie war eine kleine, dicke, mittleren Alters oder sogar über 50, fast 60. Der weiße Kittel zu eng. Fettrollen am Hals, Hüfte und Bauch waren zu sehen. Ihr Hintern war riesig. Sie schien aber nett zu sein. Sie hatte sie beobachtet. Sie studiert. War sie eine Person, die nach Schluss in den nächsten Supermarkt rennt und sich haufenweise Schokoriegel und Chipstüten holt. Diese gleich noch auf dem Parkplatz und auf dem Weg nach Hause in sich hinein stopft. Hunger war es nicht. Eher die Sucht, etwas zu essen. Sie hatte faule Zähne. Wesshalb sie nie lachte oder lächelte. Ihre Haare waren gefärbt. Vor langer Zeit. Der Ansatz kommt durch und graue Haare ziehren ihre kurzen Locken.Der Gang war dunkel. War einer der Röhrenlampen im Arsch. Eine andere flackerte. Als hätte sie einen Epileptischen Anfall. Es zuckte auf. Blieb kurz an. Zuckte sechs mal und ging wieder aus. Zufall? Fast wie in einem Horrorfilm. Es war ruhig. Das quietschen des Servierwagens, auf dem die Tabletts standen, war laut zu hören. Auch das schwere Atmen der Pflegerin. Als bekäme sie gleich einen Herzanfall. ''Warum funktionieren die Dinger nicht?'' Dabei deutete sie auf die weiteren Leuchten. Die Antwort wirkte wie raus gequält. ''Gehen immer mal wieder kaputt. Keine Wartung. Nutzlos. Nur für den einen.'' Klingt logisch. Aber die Nettigkeit der fetten Sau verflog sofort wieder. Wollte sie damit sagen, er sei es nicht Wert? War nur hinter der dicken Tür mit der Stahlklappe. Hatte aber doch Licht von außen verdient. Ihr wurde klar, dass sie ihn ganze Zeit in schutz nimmt. Wozu? Und wieso tat sie es? Es gab doch keine Entschuldigung, für das, wesshalb er hier saß und eingesperrt wurde. Tat er ihr etwa leid?
Es war soweit. Es kribbelte so sehr. sie war so Nervös. Wie ein kleines Mädchen, dass ihren ersten Schultag hat. Oder zum ersten mal auf's Töpfchen. Sie zitterte. Sie hoffte die Pflegerin bekommt nichts mit. Sie kramte nach dem Schlüsselbund in ihrer Tasche. War die Kitteltasche doch eigentlich nicht so groß. Sie zog ihn herraus. Suchte den richtigen Schlüssel zur Zelle. Es passierte in Zeitlupe. So war es auch. Sie hätte ihr am liebsten den Schlüsselbund aus der Hand gerissen und sie bei Seite geschupst. Wunschdenken. Sie musste sich gedulden. Leider. Das Licht machte sie noch nervöser. Endlich, der richtige Schlüssel. Sie hielt den kleinen, silbernen Schlüssel in ihren dicken Wurstfingern. Er glänzte und war nicht so abgenutzt wie die anderen. Hieß es dann, dass er noch nicht lange hier war, oder, dass er selten mal etwas von außen mitbekommt? Der Patient tat ihr wieder leid. Aber es war ihr klar, dass er ohne weiteres nie aus seiner Zelle raus durfte. Gab es ja einen Grund dafür. Mach schon. Immer wieder wiederholte sie diesen Satz, in ihrem Gedächtnis. Der Schlüssel steckte. Er drehte sich im Schloss und die kleine Luke, an der Türe, klappte auf. Licht schien in den dunklen Flur. Es kam aus der Zelle. Zelle 18B. Der Name des Patienten kam ihr zurück in den Sinn, Jack Norn, so ungewöhnlich wie der Name war, so ungewöhnlich waren ihre Gefühle, die sie in diesem Augenblick verspührte.
Ein Telefon klingelte. War es das der dicken Pflegerin. ''Ein Moment, bitte'' hatte sie hinein gesprochen. ''Mach du das. Das letzte Tablett. Achte auf die Pillen. Die muss er nehmen!'' Pillen? Sie durfte es machen. Sie hätte ihre Organe an die Wand sprengen können, vor freude. Sie packte es. Es wurde dunkel. Der Patient stand wohl vor der Luke. Essen fassen. Sie stellt auf der Klappe ab. Versuchte etwas zu sehen. Die Luke war auf der höhe ihres Solarplexus'. Er hatte einen alten, zerfledderten Weihnachtpulli, mit Rentier motiven an. Zu dieser Zeit? Er war total verwaschen, dreckig und einige Fäden waren lose. Ihr wurde mulmig zumute. Hatte sie sich zuviel versprochen? Wasser. Es hallte durch den ganzen Flur. Eine sanfte aber starke Stimme sprach aus der Zelle herraus. Sie war so verwundert, nervös und hin und weg von seiner Stimme, dass sie es fast nicht mitbekam, als er ein weiters mal nach etwas Wasser, für die Pillen fragte. Vor Schreck warf sie die Flasche mit ihrem Ellenbogen vom Wagen herrunter. Sie hob sie auf. Als sie sich wieder der Luke zuwandte, hatte er bereist das Tablett weggestellt. Shit. Wollte sie doch wissen wie er aussieht. Sie hielt die Flasche vor die Luke, hier. Blitzschnell. So schnell konnte keiner sehen, griff er nach der Flasche. Angstmoment. Er hatte ihre weichen Hände mit im griff. Große Hände. Rau. Abgekaute Fingernägel.
Die Pflegerin kam um die Ecke. Sah das Geschehen und schritt ein. Schmetterte mit voller Wucht die Luke zu. Er zog seine Hand schnell weg. Doch klemmte sein Pullover trotzdem zwischen Tür und Luke ein. Ein schrei. ''Komm, das geht nicht. Er darf nicht rausgreifen.'' Die Pflegrin schob den Wagen, mit ihr, vor sich her. ''Geh, geh, geh!'' Sie hatte ihn nicht gesehen. Spührte aber seine Hand noch auf ihrer. Große, raue Hände. Stark, dennoch leicht. Jetzt musste sie einen Weg finden ihn zu sehen.Sie dachte an seinen Pullover. Er war ihm wichtig. So wichtig, dass er schreien musste als dieser einklemmte. Sie drehte sich noch oft nach hinten um. In Gedanken. Als würde er plötzlich im Gang stehen und sie beobachten. Nichts. Nächstes mal bestimmt. Sie musste es solange versuchen bis ihre Gier nach dem Patienten in Zelle 18B besänftigt wurde.

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Der Patient
HorrorDie Welt ist ein mieser Dreckshaufen. Zumindest für unsere Protagonistin. Als sie ein Praktikum in einer Psychatrie beginnt merkt sie schnell, einer der Patienten ist anders als die anderen. Als sie endlich aus ihrer beschissenen Familie flieht und...