Kapitel 1

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John pov

Ich nehme die Post mit, die Mrs Hudson auf die zweite Treppenstufe gelegt hat, wie sie es immer tut, und gehe nach oben. "Hey, Sherl." sage ich. "Nope, immer noch nicht." sagt Sherlock und sieht von seinen Notizen auf. Seit Wochen spreche ich Sherlock aus Spaß mit verschiedenen Spitznamen an. Aber er bemerkt es einfach immer! Und er sagt mir immer wieder, dass ich es nicht tun soll.

"Hattest du einen schönen Tag? Was hast du so gemacht?" frage ich und setze mich an den Küchentisch. "Lestrade hat mich gelangweilt, also habe ich angefangen zu experimentieren." "Also ein ganz normaler Tag." schmunzle ich. Ich beginne die Post durchzugehen. Sherlocks Briefe werfe ich ihm einfach hin. Er schnappt sie sich eh problemlos aus der Luft und legt sie auf einen Stapel. Zwar muss ich mich eh um den Großteil seiner Post selbst kümmern, da es ihm zu langweilig und gewöhnlich ist, aber sie ihm zu geben, kann zumindest nicht schaden.

Ein Brief, welcher mit der Hand beschriftet wurde, weckt meine Aufmerksamkeit. "Sherlock, kannst du..." Sherlock wirft mir sein Taschenmesser hin. Mit Leichtigkeit schnappe ich es mir aus der Luft und bedanke mich. Mittlerweile sind wir ein so eingespieltes Team, dass  keiner mehr die Würfe des anderen verpasst. Ich klappe das Messer auf und öffne damit den Umschlag. Ein Papierbogen und eine Antwortkarte befinden sich in dem weißen Umschlag.

Ich entfalte den Brief und beginne zu lesen:

Sehr geehrter Dr John Watson,
nun ist es bereits Jahre her, dass viele von uns - leider aber nicht genug - aus dem Afghanistan-Krieg zurückgekehrt sind. Um alte Bekannte zu treffen und die Verstorbenen zu ehren, wollen wir uns treffen. Ein ganzes Wochenende lang wollen wir in Erinnerungen schwelgen, sehen, was aus den anderen geworden ist und feiern, was wir erreicht haben. Ich hoffe, Sie kommen und ich würde mich auch freuen, wenn Sie eine Begleitung mitbringen, wenn Sie eine haben. Wir alle würden uns sicher freuen, Teile der Leben der anderen kennenzulernen. Datum und Treffpunkt stehen am Ende des Briefs. Schicken Sie mir bitte eine Antwortkarte, ob Sie kommen können und ob Sie jemanden mitbringen.
Mit freundlichen Grüßen,
Marcus Stewart
PS: Bitte bringen Sie Ihre Militäruniform mit.

"I-Ich gehe nach oben." stottere ich. Ich stehe auf, stolpere dabei über meine eigenen Füße und gehe schnellstmöglich nach oben, wo ich mich in meinem Zimmer einschließe. Seufzend lasse ich mich auf mein Bett fallen und raufe mir die Haare. Es wäre eine dumme Idee hinzugehen. Aber nicht hinzugehen wäre genauso schlimm.

Ich weiß, dieses Treffen wird Erinnerungen, Gefühle und Gedanken hochholen und ich weiß, dass ich es vielleicht nicht verkraften werde, aber ich will sehen, was aus meinen Freunden von damals geworden ist. Zumindest aus denen, die ich nicht habe sterben sehen.

Ich zucke heftig zusammen, als es an meiner Tür klopft. "John? Geht es dir gut?" höre ich Sherlock fragen. "Was hast du am Wochenende in zwei Monaten vor?" frage ich durch die verschlossene Tür. "Am Wochenende in... was? John, was ist los?" "Ich bräuchte eine Begleitung zu einem Militärtreffen. Interessiert?" "Ich meine... Also wenn du es wirklich willst, dann komme ich gerne mit dir." "Danke..." murmle ich.

"John, gib mir deine Waffe." sagt Sherlock. "Was?" frage ich verwirrt. "Gib mir deine Waffe. Ich bin dir keine Hilfe, wenn du psychisch belastet bist, das weiß ich - dazu fehlt mir einfach die Empathie. Aber ich kann dich zumindest davon abhalten, dass du dir eine Pistole in den Mund steckst." Ich gehe zur Tür und schließe auf. Sherlock betritt mein Zimmer. Er geht zu meiner Kommode, öffnet die Schublade und nimmt meine Waffe heraus. Dann geht er zu meinem Nachtschrank, wo er die Schachtel mit meinen Schlaftabletten ebenfalls an sich nimmt. "Zur Sicherheit." sagt er.

"Ich will mich nicht umbringen." erwidere ich seufzend. "Das habe ich auch immer gedacht. Und dann bin ich von einem Dach gesprungen. Es reicht, dass du mich beerdigen musstest. Ich will es nicht mit dir tun müssen." Ich gehe auf ihn zu und umarme ihn. Sofort versteift er sich. Schnell lasse ich ihn wieder los. "Vermutlich ist es dir egal, aber ich sag es trotzdem. Ich hab dich verdammt lieb, Sherlock Holmes. Du bist mein bester Freund." "Ich... Du bist auch meiner. Auch wenn du der Einzige bist, aber..." "Versau es nicht gleich wieder." lache ich. Sherlock verlässt mit den Tabletten und der Waffe den Raum und ich drücke hinter ihm die Tür ins Schloss. 

~*~*~

Ich öffne meine Kommode. Ein Wochenende. Was soll schon passieren? Ich lege zwei Hemden und sicherheitshalber auch zwei T-Shirts in meine Tasche. Dann knie ich mich vor meinem Bett auf den Boden und ziehe einen Koffer darunter hervor. Ich wollte meine Uniform nicht tagtäglich sehen müssen, weswegen ich sie nicht mit bei meinen anderen Sachen aufbewahre. Letzte Woche hatte ich die Uniform kurz an, um zu überprüfen, ob sie mir überhaupt noch passt. Damit habe ich wohl auch Sherlock komplett aus der Bahn geworfen.

Als ich in der Uniform runter ins Wohnzimmer kam und ihn gefragt habe, ob ich so rausgehen kann, ist ihm der Mund offen stehen geblieben und er hat mich für eine gute Minute einfach nur angestarrt. Es war wie in einer von diesen schlechten Liebesschnulzen, wo allen Mädchen der Mund offen stehen bleibt, sobald der heiße Typ an ihnen vorbei geht. Zumindest hat Sherlock so reagiert. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich einen heißen Typen abgeben würde.

Ich packe die Uniform in meine Tasche, greife dann meine Erkennungsmarken aus einer Schale auf dem Nachttisch. "John?" Ich drehe mich um. Sherlock steht in der Tür, in der Hand seinen Schädel, der sonst immer auf dem Kaminsims liegt. "Was gibt's?" "Ist es schräg, wenn ich ihn mitnehme?" "Du bist sowieso irgendwie schräg, nimm ihn einfach mit." lächle ich. Sherlock nickt und geht wieder nach unten. Zum einen verstehe ich nicht, warum ich Sherlock so sehr mag, da er wirklich oft gruslig oder extrem seltsam ist, aber andererseits kann ich auch nicht verstehen, warum so viele Leute ihn nicht mögen. Ich weiß nicht, was ich ohne diesen Mann tun würde.

Nachdem er von diesem blöden Dach gesprungen ist, haben alle auf mich aufgepasst. Greg hat regelmäßig angerufen, Mycroft hat oft vorbei geschaut, um angeblich zu sehen, was ich mit Sherlocks Sachen mache, Mrs Hudson hat mir jeden Morgen und Abend Essen gebracht - zwar habe ich es fast nie gegessen, aber sie hat es trotzdem getan - und Molly war auch öfter mal bei uns und hat schlechte Witze gemacht, die meine Situation eigentlich nur verschlimmert haben. Aber sie hat es gut gemeint.

Dann habe ich Mary kennengelernt. Zu Anfang lief es gut, aber als Sherlock dann zurückkam hat es irgendwie nicht mehr funktioniert. Ich habe angefangen, die Baker Street, aus der ich nach einer Weile ausgezogen war, zu vermissen. Und ich hing mehr an ihm, als an ihr. Sherlock ist einfach einer - nein, der wichtigste Mensch in meinem Leben.

Als ich meine Tasche zu Ende gepackt habe, bringe ich sie nach unten. Dann gehe ich nach Sherlock sehen. Ich lehne mich in den Türrahmen und sehe den Lockenkopf an. Er sitzt neben einem Haufen Klamotten und einer leeren Reisetasche auf seinem Bett. "Packst du denn gar nicht?" "Du hast deine Militäruniform. Ich weiß nicht, was ich anziehen soll." "Zieh einen Anzug an. Du hast immer einen Anzug an. Oder ein Bettlaken. Oder siehst aus, wie ein Penner." "Also einfach einen Anzug." "Du kannst auch Jeans und T-Shirt anziehen. Zieh an, was dir gefällt und Hosen beinhaltet." lächle ich. "Also muss ich auch Unterwäsche anziehen?"

Perplex sehe ich ihn an. "Trägst du gerade etwa keine Unterwäsche?" frage ich dann unsicher. Sherlock sieht mich kurz schweigend an. Dann zieht er seinen Hosenbund nach vorne und schaut in seine Hose. "Doch, tue ich." "Du merkst dir jedes kleine Detail bei jedem Menschen und weißt nicht, ob du Unterwäsche trägst?!" Er nickt, was mich zum Lachen bringt. 

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