Es ist nicht schwer in die Hölle zu kommen, es ist nicht schwer es zu vermeiden. Es sind nicht die einfachen Sünden, die deinen Weg ebnen, kein Glücksspiel, kein Diebstahl. Es sind die Sünden, die Leben zerstören und beenden, Vergewaltigung, Mord und Folter. Eine solch schreckliche Tat, dass sie deine Seele verflucht und zeichnet, auf dass sie das Tor zum Himmel niemals mehr passieren dürfe und verstoßen in die Dunkelheit sinkt. Einmal verurteilt, gibt es nichts was deine Seele noch zu retten vermag. Nach dem Tod erwartet dich unumgänglich, die ewige Verdammnis. ... So sagt man zumindest. Ich selbst habe zu lange nach einer Lösung gesucht, aber allein, wie ich es viele Jahrhunderte war, vermochte ich nichts zu erreichen, was ich mir unerfreulicher Weise, eines Tages eingestehen musste.Kehren wir aber zu Markus zurück, unserem gutmütigen Helden, der mit seinen Taten - gewollt, oder nicht - soeben seine Geliebte getötet und daraufhin selbst, sein eigenes Leben verloren hatte. Da ist das Schicksal launisch. Mal ist es ein Unfall und mal ist es Mord. Kann der Natur, den Göttern, oder was auch immer, ja auch egal sein, ob du im Himmel wachst, oder in der Hölle schmorst. Markus hatte leider das kürzeste aller Streichhölzer gezogen und musste zur Hölle fahren. Was er jedoch nicht wusste, dass auch wenn sein Schicksal nun unabwendbar, bestimmt war - sein Aufenthalt in diesem Gefängnis, welches irgendwann seine Heimat werden würde - fürs Erste nur ein langer, gefährlicher Ausflug, ein Besuch blieb.
Die Todesangst welche Markus seit dem verklingen seines Herzschlags gepackt hatte, riss nicht ab. Hinter ihm die Leere, vor ihm das Ungewisse. Eine Wand, an welcher er zerschellen würde, eine erneute, ausweglose Situation, aus der er sich nicht retten konnte. Nicht ohne ein Wunder. Wieder akzeptierte er gezwungenermaßen sein Schicksal, schloss die Augen und hoffte, dass auch dies nicht das Ende sein würde. Ein merkwürdiger Schmerz. Mit dem Geräusch zerberstender Knochen, schlug Markus auf dem Boden auf und ganz kurz, war es so schlimm wie erwartet. So etwas unangenehmes, zerreißendes hatte er noch nie verspürt. Selbst wenn er den Sturz überlebt hatte, hätten ihn die Schmerzen ausknocken müssen. Wieso war er noch immer bei Bewusstsein? Wo war er? Markus Glieder wurden mit einmal ganz warm und dann ... langsam, immer und immer kälter. Er öffnete die Augen und schnappte nach Luft. Es gelang ihm nicht und panisch, wie ein Fisch auf dem Trocknen, verzog er Mund und Nase, und versuchte erneut ein oder auszuatmen, bis er bemerkte, dass er kein Verlangen mehr danach hatte, dass er nicht schlucken, nicht blinzeln musste, dass er wach war und keine Schmerzen mehr hatte und dass er zu schwach war, um sich zu bewegen. Zerkleinerte Knochenfragmente, nicht in seinem Körper, unter seinem Gesicht. Totes, stinkendes Fleisch. Wie Markus feststellte, roch es eigentlich kaum noch, sicher war es längst vertrocknet. Immerhin konnte Markus solch feine Gerüche noch wahrnehmen. Nein, falsch - einige Meter vor seinem Gesicht, türmten sich Innereien übereinander - dieser Geruch musste bestialisch sein, so stark, dass man ihn wahrnehmen konnte auch ohne ihn einzuatmen. Angewidert, aber ohne körperlich dazu in der Lage zu sein sich zu übergeben, blieb Markus liegen. Mehrere Stunden vergingen, zumindest fühlte es sich so an. Markus wurde nicht langweilig, er wurde nicht müde, jedoch wurde der leichte Gestank nach totem, fauligem Fleisch, mit der Zeit unerträglich. Bald schon hielt Markus es nicht mehr aus. Er nahm all seine Kraft zusammen und drehte sich mit einem Ruck auf den Rücken, wo er erneut, erschöpft, liegen blieb. Er blickte in den schwarzen Himmel, dann, plötzlich, kamen seine Erinnerungen zurück. Die Erinnerungen an den langen Fall, den Unfall, die Flucht, Elli. Elli war tot. So wie er? Plötzlich sah Markus wie sich in seinem Augenwinkel etwas bewegte. Ein Mensch. Er erkannte die Silhouette einer Frau, welche sich fernab von seinem Kopf über das Leichenmeer schleppte. Konnte das sein? "Elli!", wollte er rufen, aber seine Kraft reichte nicht einmal für ein Flüstern. Er wollte aufstehen, doch konnte nicht, wollte sich entschuldigen, doch durfte nicht, wollte weinen.
Die Frau war verschwunden und bald stellte Markus fest, dass egal wie lange er dort nun schon lag, sein Körper sich nicht zu erholen vermochte, dass er gefesselt und zu nichts in der Lage so liegen bleiben würde, bis ... Markus erschauderte. Seine schlimmste Vorstellung vom Tod war es gewesen, auf ewig in der Dunkelheit zu fristen, hilflos und allein. War dies sein Schicksal? Konnte all das real sein? "Wenn du den Teufel hintergehst, tritt ihm nicht auf den Schwanz." Diese Stimme, woher kam sie? Markus ließ seinen Blick streifen, doch trotz ihres nahen Klangs, konnte er die Quelle dieser Worte nicht ausfindig machen. "So schwach ist hier lange keiner mehr angekommen und doch, irgendwas lodert in dir was hier nicht hergehört." Plötzlich passierte etwas Eigenartiges. Kleine schwarze Rauchkristalle bildeten sich über Markus Gesicht und begannen netzartige Strukturen zu formen, aus welchen sich nach und nach, der Umriss einer Person erkennen ließ. Ein Mann, nicht viel älter als er, schaute aus schwarzen Pupillen, umringt von einer silbern schimmernden Regenbogenhaut und einer ebenfalls schwarzen Bindehaut, zögernd auf ihn herab. Sein Gesicht glitt aus schwarzem Rauch, hin zu weißer Asche, die sich vereinzelt ablöste und durch die Luft wirbelte. Sein Haar war wie Perlmutt, dass innere einer Muschel, weiß und glatt, mit kleinen Rillen über einem dunklen Ansatz. Er wirkte tot und doch gesund, er wirkte bedrohlich, lag auf seinen Lippen auch ein leichtes Lächeln. Seine Stimme war warm und kräftig, sein Erscheinen erleuchtend und schön, doch sah man ihm an, dass er kein Engel war. Der Fremd setzte seine Hand - er trug einen offenen, dunkelgrauen Mantel, mit eingearbeiteten schwarzen Lederfragmenten - auf seine Brust. Diese Geste hätte eine Vorstellung einleiten können, doch nein. Da war er wieder, der Rauch. An seiner Hand klebend, haftend, weder gasförmig noch flüssig, gezogen wie ein Faden und sich langsam auf Markus zubewegend. Er setzte auf. ... Wer bereits einmal eine Vollnarkose bekommen hatte, Injektiv, sodass er spüren konnte wie sich das Betäubungsmittel in der Blutbahn verteilt, kurz bevor man das Bewusstsein verliert, würde dieses Gefühl, dass sich nun durch Markus Körper zog, wenn auch nur bedingt, nachempfinden können. Die schwarze Masse, drang in seine Brust, in seine Venen und Adern ein und mit einmal hatte Markus wieder Kraft. Ich sage bewusst "Kraft", denn so nannte man es, das Elixier, das was in der Hölle am wertvollsten zu seien schien. Aber dazu später mehr. Markus war nicht nur von seiner motorischen Lähmung geheilt, auch waren seine Sinne belebter denn je. Seine Zunge, seine Augen wurden feucht und der nunmehr unaussprechliche Gestank, ließ ihn sich hustend und keuchend aufrichten und schütteln. Während dieser impulsiven Bewegung, glitt sein linker Arm, versehentlich durch den Körper seines Retters. Erneut wirbelten Rauchpartikel durch die Luft und während jene verstreuten verblichen, bildeten sich Neue und schlossen den hinterlassenen Riss in dessen Körper. War er nun hier, oder nicht? Überhaupt, wer war er und was wollte er? Helfen? Der Mann schaute Markus mit einem Lächeln an, dass erzwungener nicht hätte sein können. Er sah aus, als hätte er für ein Foto posiert und jemand hätte ihm gesagt, dass er damit fortan nicht mehr aufhören dürfe. Plötzlich jedoch wurde er ganz ernst. "Du bist kein Sünder, oder?" Sein Tonfall gab darüber Auskunft, dass er die Antwort zwar bereits kannte, jedoch noch nicht wusste, wie er sie finden sollte. Markus kam das gelegen, denn er selbst hatte genug Fragen. "Bin ich tot?" Wieder wusste der Fremde nicht was er von der Sache, der Frage, ja gar von Markus, halten sollte. "Vermutlich. Erstmal.", antwortete er mehr zu sich selbst. Ungenügend. Stutzig überdachte Markus seine nächste Frage und beließ es beim Nachhaken. "Was heißt erstmal?" Plötzlich begann der Fremde die Innentasche seines Mantels nach etwas abzusuchen und zog schließlich einen gläsernen Splitter, halb Scherbe, halb Eiszapfen, hervor.
Bevor Markus fragen konnte, was es mit dem Splitter auf sich hatte, steckte dieser bereits zur Hälfte zwischen seinen Rippen und ein kleines, aber besonders spürbares Stück in seinem Herz. Ungläubig kniff Markus die Augen zusammen. Wollte der Fremde ihn jetzt doch umbringen? Umbringen? Was ein Blödsinn, er war doch schon tot, oder? Blitzschnell hatte der Fremde ihm den Glassplitter in die Brust gestoßen. Selbst wenn er es gewusst hätte, hätte Markus ihn nicht aufhalten können und nun überkam ihn der Schmerz. Ein sichtbarer Schmerz. Seine Augen spielten ihm Streiche. Bunte Lichter und grelle Farben, tanzten umher und legten sich auf den Himmel und die Wolken. Selbst die Kadaver, welche den Boden übersäten, sahen plötzlich, beinah freundlich aus und am Horizont entbrannte eine weißstrahlende, nicht ganz so helle, aber dennoch heitere, irgendwie hoffnungsvolle Sonne. Das stechen ließ nach und als Markus hinunterblickte, erkannte er, dass sich im Glas des Splitters das Leben widerspiegelte. Nein, nicht sein Leben. In einem Moment sah er grüne Felder, dann das blaue Meer, Bienen, Blumen und hinter jeder Kante noch weitere wunderschöne Orte und Dinge. "Das muss genügen." Ruckartig zog der Fremde den Splitter wieder heraus und Markus sackte zusammen. Noch immer gefesselt von den Bildern, die ihm das Glas gezeigt hatte, blickte er nach oben und bemerkte, dass der Splitter nun ein ganzes Stück kürzer war. Markus tastete nach der Einstichwunde. War etwa ein Stück abgebrochen und steckte noch in seinem Herzen? Und wenn ja, war das schlimm? Der Fremde erahnte was Markus durch den Kopf ging. Erklärend streckte er ihm den Splitter entgegen. "Es ist geschmolzen, aber so ist das mit Lebensglas, ich hoffe du warst es wert." "Lebensglas?" Immer noch nichts was für Markus irgendeinen Sinn ergab und der Mann zeigte auch keinerlei Anzeichen einer baldigen Verbesserung in seiner zaghaften Wortwahl. Im Gegenteil. Langsam schienen ihm die Fragen, welche ihn meistens nur nachäfften und simplizierte Erklärungen forderten, gehörig auf die Nerven zu gehen. "Damit du dich nicht an diese trostlose Welt gewöhnen musst.", erwiderte er letztlich. Nachdem er den Splitter wieder in seinen Mantel geschoben hatte, begann der Fremde sich aufmerksam umzusehen. Markus hingegen grübelte noch immer über die gefallenen Worte und starrte leicht wundersam auf das Loch in seiner Brust, welches sich nun ebenfalls, langsam zu schließen schien. "Du musst hier weg." Der Ton des Fremden hatte sich verändert. Überrascht schaute Markus auf. "Einer, nein es sind zwei. Egal, wir bleiben hier auf jeden Fall nicht mehr lange allein." Markus konnte nicht anders, aber vielleicht stellte er diesmal nur eine Ja-/Nein-Frage. "Redest du von anderen Toten?", meldete er sich vorsichtig zu Wort.
Zum ersten Mal ging der Fremde genauer auf seine Frage ein, auch wenn Markus viele Begriffe in solch einem Kontext noch nie gehört hatte und die Antwort ihn dennoch übermäßig beunruhigte. "Es sind Seelensammler. Sie jagen Unregistrierte und Vogelfreie, um Blutkraft aus ihren Seelen zu gewinnen und ihre Körper in Aas zu verwandeln. Besonders du solltest ihnen aus dem Weg gehen." Was das auch immer alles zu bedeuten hatte, es verhieß nichts Gutes. "Sie sind bald hier." Der Fremde deutete mit der Hand in Richtung einer Ruine, welche Markus bisher nicht aufgefallen war. Genau in diesem Moment flog ein grünes Blatt an Markus Kopf vorbei und er bemerkte, dass ein leichter Wind wehte. Gab es also doch Luft? Er sah sich um. Ruinen, tote Bäume, tote Körper, gab es überall, nur das ihr Anblick, seit dem Effekt des Splitters, erträglicher geworden war. Nachdem dieser aus seinem Herzen entfernt wurde, waren die Farben zwar etwas verblasst, jedoch immer noch gut genug sichtbar, um dem Umfeld einen etwas freundlicheren Touch zu verleihen. Außerdem gab es einige Illusionen die sich in die Realität gemischt, in die Umgebung eingegliedert hatten, jedoch ab und an, transparent zu flackern schienen. Das Blatt, war eine dieser Illusionen, die Sonne sicher auch, doch der Wind, der nun immer stärker zu wehen begann, schien real zu sein. "Was soll ich jetzt tun?", fragte Markus, sich eingestehend, dass er verloren, ohne Plan und Ziel, auf des Fremden Hilfe angewiesen war. Dieser schien nun selbst beunruhigt zu sein und starrte ungeduldig in jene Richtung, in welche er eben noch mit dem Finger gezeigt hatte. "Ich weiß nicht, wohin du jetzt am besten solltest, doch mein Körper ist nicht hier. Ich bin nur ein Trugbild und kann dir jetzt weder helfen noch dich schützen." Plötzlich veränderte sich seine Mine. Abrupt und mit aufeinandergepressten Lippen, drehte er sich zu Markus. "Renn. So schnell und weit dich deine Beine tragen. Renn los!" Eine Sekunde lang stand Markus wie angewurzelt da, dann tat er wie ihm befohlen und ließ den Fremden hinter sich zurück.
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Nyctophilia ✶ Regeln der Hölle
Fantasy✚ Totgeglaubte leben länger ✚ Eine Reise in die Hölle und zurück, vom Beginn der Ewigkeit, bis ans Ende der Zeit. Magie, Macht und Liebe wo man keine Liebe vermutet.