Maria und ich sind nun seit einer Woche bei meinen Eltern auf dem Gestüt. In der gesamten Woche habe ich sie nur sieben Mal gesehen. Und zwar abends beim Essen. Sie schläft bei Jason im Zimmer und die zwei sind auf den Beinen, bevor ich es überhaupt aus dem Bett schaffe. Den ganzen Tag folgt Maria meinem Bruder auf Schritt und Tritt und ich habe die beiden noch nie glücklicher gesehen. Ich finde es auch überhaupt nicht schlimm, dass sie mich null beachtet. Ich bin einfach nur froh, dass das sehnsüchtige Gejammer ein Ende hat, denn das war wirklich unerträglich, als wir beide im Flieger hierher saßen. Die ganze Zeit hat sie sich Gedanken über das Wiedersehen gemacht. Und letztendlich war es wie in einem verdammten Film. Jason stand mit einem Schild am Ausgang, auf dem ihr Name mit einem Herz stand. Ich hatte das Bedürfnis zu brechen, denn das ist sogar mir zu kitschig. Sie lief auf ihn zu, hat dabei sogar ihre Tasche fallen lassen und ist ihm in die Arme gesprungen. Umstehende Leute haben das mit Lauten der Verzückung kommentiert während ich daneben stand. Kugelrund und grün vor Übelkeit, weil die Landung wieder alles andere als erträglich für meinen Magen war.
Ich helfe meiner Mom bei den restlichen Planungen. Percy ist natürlich auch mitgekommen und hilft ebenfalls. Er sieht sogar hier und da Dinge, die meiner Mom vorher gar nicht aufgefallen sind. Zum Beispiel, dass wir einen Stuhl zu wenig im VIP Bereich stehen haben. So etwas fast schon belangloses wäre uns niemals ausgefallen. Aber Percy hat einen Blick auf den Sitzplan geworfen und als er sich anschließend die Tische angesehen hat, wusste er es schon. Ein verdammter Stuhl.
Ich bin meiner Mutter leider keine große Hilfe gewesen, da ich mich gefühlt alle fünf Minuten setzen und ausruhen musste. Über den Hof fahre ich mittlerweile mit einem Golfcar, weil ich sonst niemals ankommen würde. Wer will es mir verübeln? Ich sehe aus, als hätte ich die Salatschüssel eines Riesen verschluckt. Seit zwei Tagen sind die Zwillinge allerdings sehr ruhig und bewegen sich nicht mehr ganz so viel, was mir ein klein wenig Sorgen bereitet. Mom meint aber, dass sie vermutlich einfach langsam eine Größe erreichen, mit der sie nicht mehr viel Platz und Bewegungsfreiheit haben. Mein Bauchumfang sagt das was anderes.Percy schließt den Reißverschluss meines roten Kleides, das ich für heute tragen werde. Die Parade wird sogar im Fernsehen übertragen und als Ehrengast muss ich natürlich perfekt aussehen. "Wie sehe ich aus?", frage ich und drehe mich. "Wunderschön.", strahlt Percy und reicht mir meine flachen roten Schuhe, die perfekt zum Kleid passen. Meine Haare sind zu einem schlichten Dutt hochgesteckt und in meinen Ohren glitzern kleine Ohrstecker. Meine Finger sind mit meinem Verlobungs- und Ehering geschmückt und ich fühle mich wirklich schön. "Dann lass uns jetzt gehen, die meisten Gäste sind schon da." Gemeinsam gehen wir runter und steigen auf dem Vorplatz in das Golfcar. Richard und die anderen Bodyguards folgen uns auf Schritt und Tritt. Das Gestüt ist voller Menschen, die von überall herkommen. Auf der großen Wiese sind Verkaufsstände aufgebaut. Nicht nur für Essen und Trinken sondern auch für Pferdebedarf jeder Art. Am Paradeplatz ist ein großes Zelt aufgebaut, in dem sich der VIP Bereich befindet und auf der großen Tribüne ist schon so gut wie jeder Platz besetzt. Auch um den Platz herum stehen sehr viele Menschen. Dieses Jahr ist das erste Jahr, in dem ich nur im VIP Bereich zu finden bin. All die Jahre zuvor habe ich selbst am Programm Teilgenommen. Egal ob zu Pferd oder in einer Kutsche.
Ich steige aus dem Golfcar und gehe in das Zelt hinein. Sofort sind alle Blicke auf mich gerichtet und die meisten Gespräche verstummen. Einer nach dem anderen kommt zu mir, um mich zu begrüßen, mich zu beglückwünschen oder mir Honig ums Maul zu schmieren. Jeder von Ihnen verbeugt sich bei der Begrüßung und mittlerweile ist es mir auch nicht mehr so unangenehm. Auch Lukes Eltern erscheinen. Sie verbeugen sich und lächeln schmierig. "Es ist uns eine Ehre, Königin Charlotte.", säuselt Lukes Vater. "Es ist schön, Sie wiederzusehen.", erwidere ich zwar höflich, jedoch viel distanzierter als bei den anderen Leuten, die zu mir kamen. "Mein Glückwunsch zur Schwangerschaft. Und wie schön Ihr ausseht.", sagt Lukes Mutter, die ein so falsches Lächeln auf den Lippen trägt, dass ich ihr gern eine Kopfnuss geben möchte. Ja, eine Kopfnuss. Einfach, weil das so überhaupt gar nicht königlich ist. "Luke ist heute leider nicht mit uns gekommen. Ihm ist noch immer das Herz schwer, Ihr versteht sicher.", redet sie weiter und bringt damit den Antrag zur Sprache, den ich abgelehnt habe. Ich lächle weiterhin. "Nun, Sie werden sicher verstehen, dass dies ein Thema ist, welches mir nicht sonderlich gefällt. Luke hat es nicht verdient, dass ich seinen Antrag annehme, da er große Fehler gemacht hat. Nicht nur er, wenn ich das mal anmerken darf. Sie wollten mich schließlich nicht in Ihrer Familie haben. Ich war ja nur das Mädchen vom Gestüt. Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen. Bitte entschuldigen Sie mich." Ich lächle so zuckersüß, wie ich es nur kann und lasse die beiden mit bleichen Gesichtern stehen. Ich entdecke Maria auf ihrem Platz neben meiner Mutter und gehe zu ihnen. "Ach, da bist du ja, mein Schatz.", strahlt Mom. Ich setze mich neben Maria. "Was hast du denen gesagt?", fragt Maria und deutet auf Lukes Eltern, die noch immer aussehen, als hätte sie eine wirklich schlechte Nachricht erhalten. "Sie wollten mir weismachen, Luke säße traurig daheim, weil ich ihn abblitzen ließ. Da habe ich ihnen einfach gesagt, dass er das verdient hat und die mich ja schließlich auch nicht in ihrer Familie haben wollten." Maria grinst breit. "So kenne ich meine beste Freundin. Das nenne ich Eier." Ich schmunzle. "Alle waren so aufgeregt und haben dauernd gefragt, wann du endlich kommst. Das ist alles so neu für mich.", sagt Mama und sieht sich um. Die Leute haben sich wieder beruhigt und führen ihre Gespräche fort. "Man gewöhnt sich dran.", seufze ich. Ein Kellner kommt zu mir und bietet mir ein Glas Orangensaft als Ersatz für den Champagner an. Im selben Moment tritt mein Vater mit einem Mikrofon auf den Platz und eröffnet mit ein paar Worten die Parade.
Zurückgelehnt genieße ich die Show. Noch nie konnte ich sie mir Live von vorne bis hinten ansehen. Es ist toll, mal unter den Zuschauern zu sein und nicht unter Dauerstrom stehend über das Gestüt zu rennen, Pferde fertig zu machen und das Showprogramm durchzuziehen. Alles was ich heute tun muss, ist essen, trinken, Händ schütteln und zufrieden sein. Mehr nicht. Und das alles mit Maria und Mom an meiner Seite. Irgendwann traue ich mich sogar, in Begleitung der Securitys, das Zelt zu verlassen. Ich Schlendere über die Wiese, um mir die Verkaufsstände anzusehen. Die Besucher wirken erfreut und teilweise überfordert, mich zu sehen. Einige schreien vor Freude los, andere geraten in Panik, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Ich bleibe an einem Stand stehen, wo es Pferdesachen gibt. Schabracken, Decken, Halfter, Gamaschen, das volle Programm. "Hat dein Pferd nicht genug Zeug zum anziehen?", fragt Maria schmunzelnd. "Natürlich hat er das. Aber er ist das Pferd einer Königin und sollte auch so behandelt werden. Ich wette er hasst mich, wenn ich ihm nicht wenigstens ein paar Tüten Leckerlis aus der Heimat mitbringen." Meine Freundin schüttelt lachend den Kopf. "Du spinnst." Ich sehe mir dir Sachen an, kaufe am Ende aber tatsächlich nur zwei Tüten Leckerlis für Mystik. Aber dann fällt mir etwas ins Auge, was gut zu Wanda passen könnte. Dieses Pferd besitzt genau drei Schabracken. Eine weiße fürs Turnier und zwei graue für das tägliche Training. Lucian ist eben nicht so der Sammler. "Was hälst du davon?", frage ich Maria und zeige auf eine Schabracke in der Farbe Bordeaux. "Schick. Aber hat Mystic die Farbe nicht schon?", "Nicht für Mystic. Für Wanda.", erkläre ich und gehe zu der Schabracke. "Für Wanda? Klar wäre das schick. Aber meinst du Lucian würde ihr das anziehen?" Ich nicke. Rot ist eine neutrale Farbe, also passt es zur Stute und zum männlichen Reiter. "Entschuldigen Sie bitte.", spreche ich die Verkäuferin an. Sie wird rot und stammelt unbeholfen verschiedene Anreden. Ich sehe darüber hinweg, um sie nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen. "Haben Sie dazu auch Gamaschen und Bandagen?", frage ich. "Aber natürlich. Kommen Sie.", sagt sie und winkt mich zu sich. Ich folge ihr in einen Wagen, der hier auf dem Platz als Lager für ihren Stand dient. "Ich habe die Bandagen, Gamaschen, Abschwitzdecke, Halfter, Fliegenohren und Hufglocken.", erklärt sie und holt alles aus einem Regal. Maria schnaubt. "Der Gaul wird gar nicht mehr weiß sein." Ich kichere. "Sie trägt ja auch nicht alles gleichzeitig." Ich überlege, was davon ich mitnehmen werde. "Ich würde bitte einmal alles nehmen. Die Schabracke in Dressur, Gamaschen vorne L und hinten XL, Bandagen Full, Halfter WB. Glocken in XL. Die Decke in 165.", sage ich. Die Augen der Verkäuferin strahlen, während sie alles auf einen Haufen legt. Das ist eine Menge Geld aber ich bin mir sicher, dass Lucian sich freuen wird. "Du bist verrückt. Aber warum Bandagen und Gamaschen?", frag Maria. "Weil Lucian lieber Gamaschen dran macht. Er ist zu Faul für Bandagen. Aber ich mag lieber Bandagen und wenn ich da bin, mach ich die dann eben dran.", "Reich muss man sein.", murmelt Maria. Ich lache auf. "Als ob du arm bist." Sie grinst mich an. Ich reiche der Frau meine Kreditkarte und bitte Percy, das ganze Zeug zum Haus zu bringen. Wir gehen weiter über die Wiese, essen und trinken etwas und gehen dann zurück zum Zelt, da die Pause bald vorbei ist und die Parade weiter gehen wird.Am späten Abend sitze ich in meinem Zimmer versuche Lucian anzurufen. Nachdem es einige Male geklingelt hat, geht er endlich ran und sein Gesicht erscheint auf dem Display meines Tablets. "Hallo, schöne Frau.", begrüßt er mich. Ich lache. "Hallo, schöner Mann. Wie geht's dir?", frage ich ihn. "Ausgezeichnet. Ein wenig müde, weil ich ohne dich schlecht schlafe aber es geht schon. Und dir?" Müde trifft es, denn im nächsten Moment gähnt er ausgiebig. "Ganz gut. Der Tag war unfassbar anstrengend aber ich hab ihn überstanden. Ich habe übrigens was für dich.", begeistert stehe ich vom Bett auf und gehe zu den Tüten mit den Pferdesachen. "Da bin ich aber gespannt.", höre ich Lucians Stimme. Ich hole nacheinander die Teile aus der Tüte und zeige sie ihm. "Die Farbe ist super. Sobald wir wieder Zuhause sind, probieren wir das an Wanda aus. Welche Größe hast du für die Decke genommen?" Ich sehe auf das Schild in der Decke. "165.", antworte ich ihm. "Ah gut. Hatte Sorge, die könnte zu kurz sein. Wanda ist ja doch ziemlich groß und lang.", "Das weiß ich doch.", grinse ich und verstaue die Sachen wieder. Ich bin froh, dass er sich wirklich darüber freut. Lucian kann man keine Geschenke machen. Er hat alles. Aber das hier war wirklich eine gute Idee. "Ich habe tatsächlich die Eltern von Luke gesehen. Wollten mir den Hintern pundern und haben ordentlich geschleimt. Ich habe sie aber abblitzen lassen.", erzähle ich. Mein Mann schnaubt. "Haben sie wirklich erwartet, du hättest alles vergessen?", "Weiß nicht. Sie wollten mir weismachen, Luke leide unter meiner Abfuhr und wäre deswegen heute nicht mitgekommen. Wers glaubt." Ich gehe zurück zum Bett und lege mich ächzend hin. "Alles in Ordnung?", fragt Lucian besorgt. "Ja. Ich kriege nur Rückenschmerzen vom vielen Sitzen und Laufen. Und mein Bauch spannt gerade etwas. Mal sehen, ob ich morgen bei der zweiten Show den ganzen Tag draußen sein werde. Vielleicht schaue ich mir auch nur eine Hälfte an und gehe dann zurück zum Haus. Ist doch ziemlich anstrengend." Lucians besorgter Gesichtsausdruck macht mich verrückt. Er überträgt seine Besorgnis auf mich. "Lass uns über etwas anderes reden. Lenk mich ein bisschen ab.", bitte ich ihn. Er lächelt und beginnt von seinem Tag zu erzählen. Wir reden ewig und letztendlich so lange, dass ich beim Telefonieren einschlafe. Wie jeden Abend in den letzten Tagen.
![](https://img.wattpad.com/cover/177937610-288-k220603.jpg)
DU LIEST GERADE
Sei meine Königin
RomanceCharlotte O'Brien ist eine einfache junge Frau, die später einmal das Gestüt ihres Vaters übernehmen möchte. Es war immer mehr oder weniger ihr Traum, in seine Fußstapfen zu treten, doch dann lernt sie Lucian kennen und alles stellt sich auf den Kop...