Kapitel 46

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Lucian

Ich lasse Charlotte alleine, damit ich ein paar Sachen für sie holen kann. Es gibt genug Leute, die das für mich erledigen können, aber ich wollte es selbst tun. Wollte mich einen Moment lang normal fühlen und die Sachen selbst holen. Außerdem weiß ich vermutlich besser, was sie braucht. Oder auch nicht, denn ich habe keinen Schimmer was für Klamotten ich holen soll. Es ist sehr früh am Morgen. Ich habe es bisher also noch nicht hinter mich bringen können, meiner Familie und Carol Bescheid zu geben, dass Lotti im Krankenhaus ist. Obwohl meine Mutter immer alles weiß, also kann es durchaus sein, dass sie bereits Bescheid weiß. "So ein Scheiße.", murmle ich und stehe mit der noch immer leeren Tasche vor Lottis Klamotten. Seufzend greife ich nach meine. Handy und wähle Percys Nummer. "Majestät. Einen guten Morgen wünsche ich.", meldet er sich. Es ist erst sechs Uhr, weiß der Geier wieso der Mann so hellwach und gut gelaunt ist. "Guten Morgen. Ich brauche deine Hilfe, Percy, würdest du rauf kommen?", bitte ich ihn. "Aber natürlich, Majestät." Ich lege auf und stelle die Tasche auf die Sitzbank. Als es klopft, rufe ich laut, dass er hereinkommen kann. Er öffnet die Tür und sieht sich suchend nach mir um. Er wirft einen besorgten Blick auf das Bett, als ihm der Blutfleck auffällt. "Charlotte ist im Krankenhaus. Sie hatte in der Nacht Blutungen und Krämpfe.", erkläre ich und spüre plötzlich diese unfassbare Müdigkeit. "Könntest du vielleicht ein paar Sachen für sie packen? Ich habe keinen Schimmer, was sie im Krankenhaus braucht.", sage ich. "Aber natürlich, Majestät. Wie lange wird sie dort bleiben?" Er nimmt sich die Tasche und sieht sich den Inhalt von Lottis Fächern an. "Wenigstens die nächsten zwei Tage. Wie lange genau steht nicht fest.", sage ich. Er nickt und zögert kurz. "Geht es ihr gut?", fragt er vorsichtig, als sei er sich nicht sicher, ob ihm diese Frage zusteht. "Ich denke ja. Jedenfalls hat sie die Kinder nicht verloren. Wir waren schnell genug im Krankenhaus. Aber der Arzt sagt dauernd, dass sie noch nicht ganz überm Berg ist, deshalb muss ich einfach hoffen, dass sie die Kinder nicht verliert. Ich weiß nicht, ob sie noch meine Charlotte sein wird, wenn sie wieder eine Fehlgeburt hat." Er nickt verständnisvoll, dann lächelt er aufmunternd. "Wollt Ihr mir vielleicht helfen? Das könnte ablenken." Keine schlechte Idee. "Sie braucht etwas bequemes. Etwa eine Leggings oder Jogginghose. Und Pullover und Tshirts.", erklärt er mir. Macht Sinn. Wieso sollte sie Jeans und Bluse anziehen. Da hätte ich selbst drauf kommen können. Ich suche ein paar Kleidungsstücke heraus und lege noch zwei Pullover von mir mit in die Tasche. "Ein paar Schuhe braucht sie noch. Ich habe sie barfuß und im Nachthemd ins Krankenhaus gebracht." Percy geht zum Schuhschrank und reicht mir ein Paar Turnschuhe und Latschen. Dann gehen wir ins Bad und packen Waschzeug, Zahnbürste, Handtücher und Bademantel ein. Dann noch Handy, Ladekabel, Tablet und das Buch, das sie gerade liest. Royal Passion. Was für eine Ironie. "Ich muss eine rauchen.", seufze ich und gehe zur Garderobe, wo unsere Jacken hängen und hole eine Schachtel Zigaretten heraus. Ich gehe raus auf den Balkon und zünde die Kippe an, ehe ich daran ziehe und seufzend den Rauch auspuste. Percy stellt sich neben mich. "Wolltet ihr Kinder? Du und dein Ex?", frage ich ihn. Man merkt ihm nicht an, dass er schwul ist. Das soll keinesfalls feindlich klingen, ich habe nichts gegen Homosexualität. Aber vielen merkt man die Neigung an aber Percy auf keinen Fall. Wenn ich nicht wüsste, dass er schwul ist, hätte ich ihn niemals als persönlichen Assistenten für meine zukünftige Ehefrau genehmigt. "Ja.", sagt er und zündet sich nun auch eine Zigarette an. "War fest geplant. Wir wollten ein Mädchen und einen Jungen adoptieren. Aber dann hat er mich betrogen und die Sache war gegessen. Wir sind seit dem College zusammen gewesen." Er schnaubt. "Was für ein Scheiß.", murmle ich. Percy schmunzelt. "Habe mir Könige immer anders vorgestellt." Nun muss ich auch lachen. "Für gewöhnlich sind sie auch anders. Ich bin einfach jung und habe schon viel Scheiße gebaut. Andere Könige sind älter und haben sich meist an die Regeln gehalten. Ich nicht. Ich war feiern, habe an illegalen Autorennen teilgenommen, habe eine Menge Frauen abgeschleppt und noch genug anderen Scheiß gemacht. Habe sogar Gras geraucht und einmal hätte ich fast sogar gekokst. Einfach weil ich das Geld dafür hatte und Spaß wollte. Aber irgendwann kommt dann doch die Vernunft." Ich ziehe wieder an meiner Zigarette. "Ja, ich kenne so einige Schlagzeilen. Kennt Charlotte die auch?" Ich zucke mit den Schultern. "Keine Ahnung, haben bisher noch nicht sehr intensiv über meine Vergangenheit gesprochen. Als ich sie kennengelernt habe, hatte ich mich schon ganz gut im Griff. Mal davon abgesehen, dass ich sie eigentlich auch nur abgeschleppt habe." Percy hebt überrascht die Augenbrauen. "Naja, für mich hatte das alles schon seinen Sinn. Habe es geplant. Habe ihr schöne Augen gemacht. Dachte erst sie wäre zu brav und wäre zu schüchtern, sich auf mich einzulassen. Aber dann schlägt sie mir plötzlich vor, dass wir doch gemeinsam auf dem Heuboden übernachten könnten, damit ich das Reiterhofferienfeeling voll und ganz erlebe." Ich lache leise. "Da war für mich klar, dass das meine Chance ist. Und ich habe sie genutzt. Hatte erst ein schlechtes Gewissen, weil ich genau wusste, dass ich einen Tag später wieder abreise und ich den Tag gar nicht abwarten konnte, weil mir dann peinliche Begnungen und Situationen mit ihr ersparen könnte. Ich war ein Arschloch. Aber dann bin ich morgens aufgewacht und sie lag in meinem Arm. Es war so anders als sonst. Ich hatte nicht wie sonst immer das Bedürfnis abzuhauen oder sie wegzuschicken. Sie lag einfach da und ich wollte sie nicht mehr loslassen. Habe es plötzlich bedauert, dass ich bald weg sein werde und habe mir selbst geschworen, dass ich sie wiedersehen werde. Deswegen habe ich sie zu meinem Ball eingeladen. Und ich habe ihr eine Kette geschenkt. Der Abschied fiel mir schwer. Zu schwer. Konnte es kaum erwarten, dass sie mich hier besuchen kommt. Und dann war sie hier. So voller Leben und so fröhlich. Hat mich zum Lachen gebracht und hat mich gut fühlen lassen. Ich wusste, dass ich sie liebe. Aber sie hat dauernd von ihrer Zukunft auf dem Gestüt ihrer Eltern geredet und da war für mich klar, dass sie nicht bei mir bleiben will. Wir haben beide aneinander vorbeigeredet. Und dann hat sie an meinem Geburtstag unser Kind verloren, als ich um Elizas Hand anhalten wollte. Gott  was für eine Scheiß." Wieder ziehe ich an meiner Zigarette. "Aber wir haben das hingekriegt. Wenn sie jetzt aber unsere Kinder verliert, verliere ich sie auch. Da bin ich mir sicher." Ich ziehe ein letztes Mal, dann drücke ich die Zigarette aus. Percy stößt Luft aus. "Eure Geschichte ist verwirrend. Aber am Ende ist sie schön. Ihr müsst zusammenhalten, dann werdet ihr auch das hier schaffen." Ich nicke. "Danke. Ich finde wir sollten die Förmlichkeiten lassen. Pedro besteht immer auf dieses Majestät und Hoheit Ding aber wenn du willst, kannst du mich duzen." Percy lächelt. "Danke. Auch wenn es sich komisch anfühlen wird. Ich denke aber bei offiziellen und öffentlichen Angelegenheiten bleiben wir beim Förmlichen." Ich nicke. Wird wohl besser sein. "Okay, ich muss jetzt langsam mal meiner Familie Bescheid geben. Kannst du mit Pedro sprechen? Er soll alle Termine für heute absagen. Ich weiß zwar, dass sie wichtig sind aber meine Frau und meine Kinder sind gerade wichtiger." Percy nickt und tippt auf seinem Handy herum. Vermutlich macht er sich Notizen. Ich gehe wieder rein und schnappe mir die Tasche für Lotti. Dann gehen Percy und ich aus dem Zimmer. Mittlerweile ist es sieben und weil jeder von uns Termine hat, finde ich meine Eltern und Carol im Esszimmer. Als ich hereinkomme, sieht Vater mich mit gerunzelter Stirn an. "Willst du so zum Frühstück mit dem-", "Nein, ich werde meine Termine heute alle absagen.", unterbreche ich ihn. "Was ist passiert?", fragt meine Mutter. "Charlotte hatte in der Nacht Blutungen. Ich habe sie mit Richard ins Krankenhaus gebracht." Carol fällt das Messer aus der Hand, mit dem sie ihr Brötchen schmieren wollte. "Es geht ihr so weit gut, sie hatte keine Fehlgeburt. Jedenfalls noch nicht." Ich setze mich und erkläre ihnen alles. Was passiert ist, was der Arzt gesagt hat. "Ich werde wieder zu ihr fahren, damit sie nicht alleine ist. Drückt uns die Daumen." Sie nicken niedergeschlagen. Ich stehe auf, greife mir die Tasche und laufe raus zum Auto, das schon die ganze Zeit auf mich wartet. Die Lasten eines Königs sind schwer. Aber die Lasten eines werdenden Vaters sind viel schwerer. Die Probleme eines Königs sind nichts im Vergleich zu der Angst um Charlotte und die Kinder. Aber der Arzt sagt immer wieder, dass es gut aussieht, also müssen wir einfach daran glauben.

Zurück im Krankenhaus ist es fast acht. Lotti hebt müde den Kopf, als ich ihr Zimmer betrete. "Wie geht's dir? Alles gut?", frage ich. Sie nickt. Erleichtert stelle ich die Tasche ab. "Wie war dein Termin?", fragt sie. "Ich habe alles abgesagt. War nur Zuhause und habe dir Sachen geholt. Oh und deiner Mom und meinen Eltern habe ich auch Bescheid gegeben." Sie streckt ihre Hand aus und ich ergreife sie. "Geht es dir auch wirklich gut? Du siehst fertig aus.", "Du auch.", erwidert sie leise. Da hat sie wohl recht. Einen Blick in den Spiegel habe ich heute absichtlich gemieden. "Erzählst du mir eine Geschichte? Das lenkt mich ab." Kurz überlege ich, dann lächle ich zaghaft. "Wusstest du, dass ich es geplant habe, dich zu verführen?" Sie hebt fragend die Augenbrauen. "Naja, ich fand dich heiß und habe extra bis zum Ende meines Urlaubs gewartet, damit wir uns danach nicht noch oft begegnen und ich wollte vermeiden, dass du mir danach am Arm hängst und dir vielleicht Hoffnung auf mehr machst." Schockiert klappt ihr der Mund auf. "Ich habe absolut nicht damit gerechnet, dass ich mich nach dieser Nacht so unsterblich in dich verlieben würde. Ich wollte eigentlich nur Spaß." Lotti schnaubt und ich muss lachen. "Ich war also nur eine von vielen ja?", fragt sie gespielt wütend. "Bis dahin ja. Habe in diesem Urlaub sogar noch mit zwei anderen geschlafen. Weiß die Namen gar nicht mehr." Ich kratze mir verlegen am Hinterkopf. Erneut klappt ihr der Mund auf. "Ist das dein ernst? Und ich dachte, ich wäre wirklich was besonderes.", sagt sie, muss aber lachen. "Naja, habe immer versucht, jeder mit der ich geschlafen habe, das Gefühl zu geben, sie sei was besonderes. Aber letztendlich wollte ich danach nichts mehr mit ihr zu tun haben. Nur bei dir war das anders." Ungläubig schüttelt sie den Kopf, doch das Lachen weicht nicht aus ihrem Gesicht. "Freut mich, dass ich bleibenden Eindruck hinterlassen habe. Obwohl es mich wirklich interessieren würde, mit wem du noch was hattest." Ich grinse verlegen. "Die Liste ist lang. Aber seit du und ich das erste mal miteinander geschlafen haben, hatte ich keine andere mehr. Ich wollte niemanden außer dich. Obwohl ich dich vor unserer Nacht schon gern hatte. Immerhin habe ich dich vorher schon zu meinem Ball eingeladen. Das muss ja was heißen.", "Besser ist das auch.", kichert sie. Ich will weiter reden, doch wir werden vom Arzt unterbrochen. "Guten Morgen, Majestät, Miss O'Brien.", "Guten Morgen.", erwidern wir gleichzeitig. "Ich würde gerne noch einmal den Bauch abtasten und einen Ultraschall machen. Blut nehmen wir auch noch einmal ab." Lotti nickt und ein Wagen mit dem Ultraschallgerät wird in das Zimmer geschoben. Lotti schiebt die Decke beiseite und zieht ihr Nachthemd hoch, damit der Bauch frei liegt. Wenn man weiß, dass Lotti schwanger ist, kann man den Kleinen Bauch schon erkennen. Außenstehende würden das aber vermutlich als zu vieles Essen ansehen. Der Arzt setzt sich auf die Bettkante und tastet vorsichtig den Bauch ab. Charlotte verzieht das Gesicht und sofort nimmt er seine Hände weg. "Ist das unangenehm?" Sie nickt. "In Ordnung. Schauen wir einfach mal nach." Er drückt etwas Gel auf das Gerät, dann drückt er es vorsichtig auf Lottis Bauch und sieht den Bildschirm an. "Ich glaube das hat sich hier alles ein wenig beruhigt.", murmelt er und ändert noch einmal die Position. Er runzelt die Stirn. "Was?", frage ich besorgt. Er schüttelt den Kopf. "Nein, schon gut, war ein Irrtum von mir. Es sieht alles gut aus. Schauen Sie." Er zeigt auf den Bildschirm und ich erkenne fast das gleiche wie bei unserem Besuch bei Lottis Ärztin. Nur dass die zwei schon ein klein wenig gewachsen sind. Wenn auch nur minimal und für meine Augen vermutlich gar nicht erkennbar. "In Ordnung, wir warten noch die Blutergebnisse ab. Aber eigentlich würde ich sagen, dass alles gut ist. Oder haben Sie noch einmal geblutet?" Lotti schüttelt den Kopf. Sie sieht aus, als würde sie gleich wieder einschlafen. Aber wer verübelt es ihr? Es war eine harte Nacht. "Gut. Dann sind wir erstmal fertig." Er reicht Lotti ein paar Tücher, damit sie ihren Bauch sauber machen kann, doch ich nehme sie ihm ab und übernehme das. "Siehst du, es ist alles gut.", flüstere ich. Sie nickt. "Ich möchte trotzdem, dass Sie noch zur Beobachtung bleiben. Ich bin mir jetzt zwar zu neunzig Prozent sicher, dass nichts mehr vorfallen wird, aber sicher ist sicher." Wir nicken beide. Dann ist das eben so. Unsere Kinder haben Vorrang. "Dann wünsche ich noch einen ruhigen Tag." Der Arzt und die Schwestern ziehen sich zurück. Und auch wenn wir recht gute Nachrichten erhalten haben, will die Sorge einfach nicht verschwinden.

Sei meine KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt