Kapitel 16

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Müde schwinge ich meine Beine aus dem Bett und stehe auf, um zur Tür zu gehen. Ich öffne sie einen Spalt und schon wird sie gänzlich aufgerissen und Janet kommt hinein stolziert. "Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich. Nun aber schnell, wir haben nicht viel Zeit." Verstört beobachte ich die dabei, wie sie einen Kleidersack über die Rückenlehne des Sessel legt und ein paar Schuhe davor stellt. "Was?", frage ich verwirrt und sehe zur Uhr. Oh je, es ist bereits zehn. "Schnell mit dir unter die Dusche. Haare bitte auch waschen. Und Zähne putzen nicht vergessen.", trällert die Frau munter, was mich allerdings nicht sehr motiviert. "Wieso die Eile?", murmle ich. "In zwei Stunden musst du im Wagen sitzen, denn dann geht es los zum großen Pferderennen. Und da sollten wir auf keinen Fall zu spät kommen." Mit diesen Worten schiebt sie mich Richtung Badezimmer. Ergeben seufze ich und schließe die Badtür hinter mir, ehe ich mich ausziehe und unter die Dusche steige, die mich dann Gott sei Dank auch etwas wacher macht. Keine Ahnung wieso ich überhaupt so lange geschlafen habe, das mache ich sonst nie.
Nach der Dusche und dem Putzen meiner Zähne gehe ich in einen kuscheligen Bademantel gehüllt zurück ins Zimmer. Janet deutet auf einen Stuhl, der schon bereit steht, also setze ich mich und warte ab. Geoffrey, der Mann der mich auch für den Geburtstagsball des Prinzen hübsch gemacht hat, föhnt nun meine Haare während seine Assistentin bereits mit meinem Make-up beschäftigt ist. "Janet?", frage ich leise und fummel nervös mit den Fingern am Gürtel meines Bademantels herum. "Königin Marlene hat da gestern ein paar Dinge zu mir gesagt." Janet nickt wissend. "Eliza mag ein liebes Mädchen und aus gutem Hause sein, aber sie ist gewiss nicht geeignet, neben Lucian zu stehen und ein Land zu regieren. Auch wenn sie vielleicht den Eindruck macht. Ihre Nerven sind dünn wie Spinnfäden. Du hingegen wärst dazu durchaus in der Lage. Auch wenn du vom Leben am Hofe nicht viel weißt. Du lernst sehr schnell und das beeindruckt die Königin." Sie lächelt und betrachtet mein Gesicht, als Geoffreys Assistentin zur Seite geht. "Das sieht sehr hübsch aus. Perfekt für den heutigen Tag." Sie schreibt etwas auf ihren Schreibblock und setzt sich in einen der Sessel. "Verstehe ich das richtig? Königin Marlene möchte, dass Lucian mich heiratet?", "Exakt. Und das alles muss ganz natürlich von statten gehen. Prinz Lucian soll nicht wissen, dass die Königin mit seiner Wahl nicht zufrieden ist. Du musst ihn überzeugen, dass du die bessere Wahl bist. Bring ihn dazu, dass er um deine Hand anhält. Deine gescheiterte Schwangerschaft ist auch Thema. Sollte herauskommen, dass du mit dem Kind des Prinzen schwanger warst, wird es einen riesigen Skandal geben. Außer ihr zwei seid verlobt und werdet heiraten." Ich schüttle den Kopf. "Was ist, wenn ich das gar nicht möchte?", frage ich trotzig. "Man sieht dir an, wie sehr du das möchtest, meine Liebe. Leugnen kannst du es nicht." Ich schlucke schwer und senke den Blick. "Ich möchte, dass Lucian mich aus Liebe heiratet. Und nicht wegen eines möglichen Skandals.", "Bist du so dumm oder tust du nur so?" Entsetzt sehe ich Janet an, die nun ihren Blick zur Seite gelegt hat und ihre Mandelförmigen braunen Augen auf mich gerichtet hat. "Der Prinz ist Hals über Kopf in dich verliebt und wollte einer anderen Frau einen Antrag machen, weil er dachte, dass du ihn nicht willst. Ihr habt ein Kind gezeugt. Ein Kind, das ihr beide geliebt hättet, wenn es nicht so schlimm gekommen wäre. Ist dir bewusst, was hier passiert? Seit du hier bist, steht alles Kopf. Prinz Lucian weiß nicht mehr wo ihm der Kopf steht und heiratet aus der Not heraus eine Frau die er kaum kennt. Obwohl du da bist und zusiehst. Die Frau die er liebt." Ich schüttle energisch den Kopf. "Lucian liebt mich nicht. Wir sind Freunde, mehr nicht. Und deshalb werde ich ihn nicht dazu bringen, die Verlobung mit Eliza abzusagen und mich zu heiraten. Ich bin nicht die richtige." Janet seufzt und auch Geoffrey lässt einen niedergeschlagenen Ton über seine Lippen kommen. "Du liebst ihn, Chérie, wieso wehrst du dich so sehr?", fragt er leise. "Vielleicht weil ich Angst habe, zurückgewiesen zu werden.", antworte ich leise. Er seufzt, dann lässt er von meinen Haaren ab und setzt mir einen großen rot-weißen Hut schräg auf den Kopf. "Du siehst bezaubernd aus. Wenn du jetzt noch dein bezauberndes Lächeln herauslässt, dann bist du perfekt." Statt ihm die Ehre zu erweisen, belasse ich es bei meinem neutralen Blick und stehe vom Stuhl auf. "Na schön, dann wollen wir dich mal in dein Kleid stecken." Janet öffnet den Kleidersack und holt ein passendes rotes Kleid heraus, das sehr figurbetont zu sein scheint. Mit Janets Hilfe steige ich hinein und betrachte mich dann im Spiegel. Es ist eng, schließt kurz über meinen Knien ab und hat an der Seite einen kleinen Schlitz. Am Rücken ist ein langer silberner Reißverschluss der bis zum Po runter geht. Als ich mein Gesicht betrachte, fühle ich mich niedergeschlagen. Es ist hübsch geschminkt, doch auch das Make-up kann mir kein glückliches Gesicht zaubern. Ich sehe traurig aus. Kaputt und niedergeschlagen. "Die Königin will Nerven wie Drahtseile? Wieso will sie dann mich an der Seite ihres Sohnes? Ich bin ein menschliches Wrack.", "Du hast ein Kind verloren, Charlotte. Das ist etwas völlig anderes. Du hast Muttergefühle entwickelt und wurdest dann so sehr verletzt, als du dein Baby verloren hast. Das nimmt dir niemand übel.", "Deshalb werde ich hier auch noch toleriert, oder? Weil alle Mitleid haben. Und weil die Königen Pläne mit mir hat. Normalerweise hätte ich nach dem Ball nach Hause fliegen müssen." Janet schüttelt energisch den Kopf. "So ist das nicht. Du bist zu einer Freundin der Familie geworden. Maria und Collin mögen dich sehr gerne und der König und die Königin ebenso. Lucian liebt dich und würde dich niemals vor die Tür setzen. Er hat dir ja sogar einen Job angeboten." Richtig, einen Job. Das heißt doch nicht, dass er mich hier haben will. Ich mache sehr gute Arbeit und das weiß er, also will er natürlich, dass ich seine Pferde reite. "Du brauchst ein bisschen mehr Selbstbewusstsein.", lächelt Janet, dann geht sie zur Tür und öffnet sie. "Komm, wir müssen zum Auto." Seufzend sehe ich noch ein letztes mal in den Spiegel, dann folge ich ihr hinaus aus dem Zimmer. In den hohen Schuhen habe ich große Mühe, mit ihr mitzuhalten, doch es gelingt mir besser als gedacht. Ein Angestellter öffnet mir die Autotür und ich lasse mich vorsichtig auf den Sitz gleiten. "Da bist du ja endlich. Schick siehst du aus.", strahlt Maria und Collin nickt zustimmend. "Lucian, Eliza, Mutter und Vater sind bereits los, wir müssen uns etwas beeilen.", murmelt er anschließend und schaut auf seine Uhr. "Ich muss mit euch reden.", sage ich mit fester Stimme, mein Gesichtsausdruck bleibt weiterhin neutral und gleichgültig. "Schieß los.", lächelt Maria. "Königin Marlene ist wohl unzufrieden mit Eliza und will, dass ich Lucian heirate." Collin beginnt zu grinsen. "Klar will sie das, du bist ja auch um Längen besser für ihn." Ich schüttle den Kopf. "Ich möchte Abreisen. Heute noch. Und ohne dass irgendjemand etwas merkt. Ich bin nicht in der Lage ein Land zu regieren. Ich bin hergekommen, weil Lucian mich zu seinem Geburtstag eingeladen hat, mehr nicht. Wenn das Rennen vorbei ist, möchte ich nach Hause. Er hat seine Wahl getroffen und mit dieser muss er leben. Ebenso wie alle anderen." Entsetzte Gesichter starren mich an. "Dein ernst? Charly, sei doch vernünftig. Er hat Eliza gewählt, weil er sich sicher war, dass du ihn nicht wollen würdest. Er liebt dich und das alles ist ein riesen Missverständnis.", versucht Collin zu erklären, aber ich schüttle den Kopf. "Habt ihr die Möglichkeit, irgendwen zu beauftragen, dass jemand meine Koffer packt und ich direkt nach dem Rennen zum Flughafen gebracht werde? Bitte." Die zwei sehen einander an und seufzen. "Bist du dir sicher? Du könntest hier ein wundervolles Leben haben, Charly. An Lucians Seite.", sagt Maria leise. "Die Trauer ist zu groß. Ich kann das jetzt noch nicht. Eliza aber schon, deshalb ist sie im Moment die bessere Wahl." Ich lehne mich zurück, lege meine Hände auf meinen Bauch und unterdrücke die aufsteigenden Tränen. Ich bemerke, dass die zwei miteinander tuscheln, doch ich höre nicht hin und ignoriere sie, während ich aus dem Fenster sehe und hoffe, dass der Tag bald vorbei ist.

Als wir aus dem Auto steigen, sind bereits viele Reporter vor Ort, die unbedingt Interviews mit Collin und Maria wollen, doch auch mir werden Fragen zugerufen, welche ich jedoch nicht beantworte, da einer der Bodyguards mich an ihnen vorbei schiebt. Alle wollen wissen, wie ich zu Prinz Lucian stehe, ob ich mit seiner Brautwahl einverstanden bin, wie tief unsere Freundschaft ist, wenn ich doch sogar seine Pferde reiten darf. Mit ausdrucksloser Miene gehe ich an allen vorbei, ignoriere alles und jeden, bis wir in dem abgesperrten VIP Bereichen angekommen sind und ich aufatmen kann. Collin mustert mich besorgt, aber ich schüttle den Kopf, als auch schon Lucian und Eliza neben uns auftauchen. "Da seid ihr ja. Wir haben uns schon gefragt, wo ihr wohl bleibt. Charlotte, ist alles in Ordnung? Du siehst ein wenig blass um die Nase aus." Elizas roter Mund verzieht sich besorgt, ihre Augen mustern mich aufmerksam. Nun sieht auch Lucian mich an, der bisher mit Maria gesprochen hat. "Mir geht es gut.", lächle ich, doch sein Blick sagt mir, dass er mir kein Wort glaubt. Eliza hingegen lächelt erleichtert. "Vielleicht brauchst du einfach ein wenig mehr Sonne.", strahlt sie mich an. "Lucian, wollen wir zu unseren Plätzen gehen? Es geht sicher bald los.", "Geh schonmal vor. Ich möchte noch kurz mit Charlotte reden. Ich bin gleich da." Sie nickt strahlend, dann geht sie zusammen mit Maria und Collin los, während Lucian bei mir stehen bleibt. "Willst du mir erzählen was los ist?", "Es ist nichts.", antworte ich ihm. "Natürlich nicht. Deshalb wurde ich auch benachrichtigt, dass man deine Sachen zum Flughafen gebracht hat und zu welcher Zeit ein Flug für dich gebucht wurde." Entsetzt sehe ich ihn an. Wieso weiß er davon? Collin sollte doch dafür sorgen, dass es niemand erfährt. "Ich bin der zukünftige König, Lotti. Denkst du meine Angestellten haben Geheimnisse vor mir? In meinem Schloss geschieht nichts ohne mein Wissen." Natürlich nicht. Murrend drehe ich mich von ihm weg. "Wieso willst du nach Hause?", "Das fragst du mich ernsthaft? Der Plan war, dass ich nach dem Ball nach Hause fliege. Und der Ball ist längst vorbei.", "Also möchtest du nicht länger bleiben?", fragt er und seine Stimme nimmt einen niedergeschlagenen Ton an, der mir beinahe das Herz bricht. Seine Augen blicken tief in die meinen und wieder einmal verliere ich mich in ihnen. Im Hintergrund höre ich das schrille Klingeln des Startes und zucke zusammen, weil es mich in die Realität zurückholt. Auch Lucian löst nun verlegen den Blick von mir und seufzt. "Reisende soll man nicht aufhalten.", "Richtig.", erwidere ich krächzend. Viel lieber möchte ich bei ihm bleiben und von ihm hören, dass er mich liebt. Doch das wird er niemals sagen. Er darf es nicht sagen. Königin Marlene will vielleicht keinen Skandal wegen meines Kindes aber sie wird einen wegen der umentschiedenen Verlobung haben, wenn Lucian mich anstatt Eliza bittet, seine Frau zu werden. "Es tut mir Leid, dass dein Aufenthalt bei mir so schief gelaufen ist. Ich wollte, dass du hier eine schöne Zeit hast und vielleicht sogar hier bleibst. Ich hatte gehofft, dass du vielleicht die neue Bereiterin meiner Pferde sein könntest." Die neue Bereiterin. Klar, was auch sonst? "Es tut mir Leid. Ich habe Pflichten und meine Arbeit Zuhause wird mich von allemdem, was hier passiert ist, ablenken. Ich möchte nicht für dich arbeiten, Lucian. Und das weißt du auch." Ich drehe mich um und gehe auf die Bodyguards zu, die etwas entfernt von uns stehen. "Wäre es möglich, dass einer von Ihnen mich zum Flughafen bringt? Meine Sachen sind bereits dort." Der linke von beiden sieht über meine Schulter hinweg zu Lucian, dann sieht er mich wieder an und nickt. "Ich werde Sie bringen, Miss O'Brien. Folgen Sie mir." Ohne noch einmal zurück zu schauen, gehe ich zum Auto und steige hinten ein. Wäre ich noch länger in seiner Gegenwart geblieben, hätte ich meine Meinung vielleicht geändert und um ihn gekämpft. Und das sollte ich nicht tun.

Sei meine KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt