Kapitel 35

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Ich sitze ganz allein beim Frühstück. Lucian habe ich weder wie versprochen beim Dinner gesehen noch ist er nachts zurück gekommen. Gegen acht wurde ich von Pedro geweckt, der mir dann erzählte, dass Lucian in meiner Suite geschlafen hat und gerade beim Frühstücken ist. Ich wollte aufstehen und zu ihm gehen, doch man brachte mir mein Frühstück hier her und Pedro bat mich, Lucian noch ein wenig Zeit zu geben, versicherte mir aber, dass es ihm gut gehe. Ich seufze und beiße von meinem Brötchen ab, welches ich mir Erdbeermarmelade bestrichen habe. Eines der Dienstmädchen ist gerade dabei das Bett zu machen und ich nehme mir vor, es morgen früh selber zu machen. "Pedro?", frage ich seufzend. Der junge Mann sieht von seinem Tablet auf, von dem er mir gerade den heutigen Terminplan vorliest und hält inne. "Wäre es möglich, heute sämtliche Termine zu verschieben? Ich denke, dass ich heute etwas Zeit für mich brauche.", sage ich und lege das angebissene Brötchen weg. Mir ist der Hunger vergangen. "Ähm..." Pedro räuspert sich verlegen. "Aber die Krönung ist bereits in einer Woche und es gibt viel zu tun. Außerdem haben Sie den Termin beim Brautausstatter, denn Ihr Kleid für die Hochzeit muss dringend geplant werden. Es bleibt nicht viel Zeit." Ich schüttle den Kopf. "Ich möchte bitte heute nichts weiter auf dem Plan haben.", bitte ich ihn und sehe auf. Wieder räuspert er sich verlegen. "Wäre es in Ordnung, wenn ich das mit Prinz Lucian abspreche, Miss Charlotte? Er hat mich gebeten, ihn darüber zu benachrichtigen, wenn sich Ihre Pläne ändern." Ich seufze. "Schon gut. Aber wenn Lucian es nicht gutheißt, werde ich heute dennoch nur das tun, wonach mir der Sinn steht." Ich gehe ins Ankleidezimmer und ziehe mich an. Eine enge, helle Jeans und eine weiße Bluse. Als ich zurückkomme, steht Predro noch immer unbeholfen neben dem Sessel, in dem ich bis eben noch saß. "Ich werde jetzt meine Mutter suchen. Nur falls das wichtig sein sollte." Pedro sieht mich noch immer entgeistert an. Offensichtlich kommt es nicht häufig vor, dass jemand alle Pläne über den Haufen schmeißt und sein eigenes Ding macht. Vielleicht ist das auch ein Fehler aber ich brauche ein Gespräch von Tochter zu Mutter. Dringend.
Ich gehe durch das Schloss bis zur Suite, die meiner Familie zugeteilt wurde. Da es noch recht früh ist, hoffe ich, dass sie noch dort sind und frühstücken. Und ich habe Glück. Als ich klopfe und die Stimme meiner Mom höre, die mich hereinbittet, atme ich erleichtert auf. Ich öffne die Tür und trete ein. "Guten Morgen, Spätzchen.", lächelt Papa. Jason winkt nur kurz, da er den Mund voll hat und Mom mustert mich skeptisch. Sie sieht es mir sofort an, dass etwas nicht stimmt. "Guten Morgen. Habt ihr gut geschlafen?", frage ich und zwinge mich zu einem Lächeln. "Wie ein König.", grinst Dad und ich muss lachen. Aber dann wende ich mich Mom zu. "Mama? Hast du kurz Zeit?" Sie mustert mich eindringlich, erst dann nickt sie. "Aber natürlich. Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?" Ich nicke und bin dankbar, dass sie sofort verstanden hat, dass ich mit ihr allein reden möchte. Dass ich eine Mutter-Tochter-Zeit brauche. Sie isst das letzte Stück ihres Brötchens auf, trinkt noch einen Schluck Kaffee und wischt sich dann den Mund mit einer Serviette ab, ehe sie aufsteht und wir die Suite verlassen. Wir gehen durch den Hinterausgang direkt nach draußen in den Garten und schweigen eine Weile, bis wir am Brunnen ankommen und uns auf den Rand setzen. Ich betrachte den kleinen Baum, den Lucian für unserer verlorenes Kind gepflanzt habe und frage mich, wieso er mir nicht eher Bescheid gegeben hat. Ich wollte dabei sein. "Was ist los?", fragt Mom sanft. Ich wende den Blick vom Bäumchen ab und sehe auf meine Hände, die in meinem Schoß liegen. "Ich bin mit meiner Periode überfällig und habe deshalb gestern einen Schwangerschaftstest gemacht." Moms Augen weiten sich. "Aber er war negativ.", füge ich schnell hinzu. Ich streiche mir die Haare zurück und seufze. "Allerdings scheint das nicht das Ergebnis gewesen zu sein, das Lucian sich erhofft hat. Er war unglücklich und ist geflüchtet. Er kam die ganze Nacht nicht zurück und sein Assistent Pedro hat mir dann beim Frühstück mitgeteilt, dass er in meiner alten Suite übernachtet hat und nun dort alleine frühstücken möchte. Er weicht mir aus, Mom. Und das nur wegen eines negativen Schwangerschaftstests." Ich fahre mir verzweifelt mit den Händen über mein Gesicht. "Du bist noch nicht bereit, richtig?", fragt Mom sanft und nimmt meine Hand. Ich schüttle den Kopf, zucke dann aber mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Lucian und ich kennen uns noch gar nicht so lange und sind erst seit ein paar Wochen verlobt. Es ist zu früh. Oder?" Meine Mutter lässt nachdenklich den Blick in die Ferne schweifen. "Wieso war er denn so traurig über das Ergebnis? Hat er einen Grund genannt?" Ich halte inne. Darf ich Mom vom Zustand des Königs erzählen. Niemand außer der Familie weiß es. Das ganze Land denkt, er tritt einfach nur so zurück und überlässt seinem Sohn ohne triftigen Grund die Krone. Sicherlich werden sie sich denken, dass es einen Grund gibt. Wieso sollte jemand ohne Grund zurücktreten und den Thron seinem Sohn überlassen? Ich weiß nicht, ob es mir verboten ist, darüber zu reden. Aber meine Mutter wird wohl kaum zur Presse rennen und allen erzählen, dass der König krank ist. "Der König wünscht sich, noch Großvater zu werden.", flüstere ich und schon schießen mir die Tränen in die Augen. Mom schnappt nach Luft. "Soll das heißen, er..." Weiter spricht sie nicht und als ich nicke, schluckt sie schwer. "Er ist krank. Deshalb wird Lucian nächste Woche gekrönt. Er hat Lucian gegenüber erwähnt, dass er sich freuen würde, wenn er noch Großvater werden würde. Ich weiß nicht wie schlimm es genau ist aber man kann wohl davon ausgehen, dass dem König nicht mehr allzu viel Zeit bleibt. Deshalb will Lucian unbedingt, dass wir ein Kind bekommen. Aber ich weiß einfach nicht, ob ich das kann. Ob ich bereit bin. Ich habe Angst, dass ich keine gute Mutter bin, weil ich den Schmerz des Verlustes nicht überwinden kann und deshalb mein Baby nicht genug liebe." Sofort schüttelt Mom den Kopf. "Du wärst eine wundervolle Mutter. Dir muss nur bewusst sein, dass du nicht eine Mutter wie jede andere sein würdest. Du bist dann eine Königin und dein Kind eventuell Thronerbe oder Prinzessin. Es wird sicher auf einem Internat zur Schule gehen und es wird Nannys haben. Deine Kinder wachsen nicht so auf wie du und Jason. Aber trotzdem wärst du eine perfekte Mama, meine Süße. Und sicherlich ist es traurig, wenn ihr den Wunsch des Königs nicht erfüllen könnt, aber letztendlich bist du die jenige, die sagt, wann sie so weit ist. Du hast recht, ihr seid noch nicht lange zusammen. Aber ihr seid auch kein gewöhnliches Paar. Das darfst du dabei nicht vergessen. Ihr heiratet sehr früh und ich hoffe sehr, dass du deine Entscheidung niemals bereuen wirst. Königin zu werden, ist ein großer Schritt und ich weiß, dass du diesen Weg nicht gewählt hast, weil du gerne Königin sein möchtest. Im Gegenteil. Du willst nur mit Lucian zusammen sein und nimmst dafür all das in Kauf, beginnst ein völlig neues und anderes Leben. Eines in dem du ständig in Bluse oder Kleid und Absatzschuhen den Tag verbringst anstatt in Reithose und Stiefeln. Du opferst schon sehr viel und deshalb verstehe ich, wenn du sagst, dass du mit Kindern noch warten möchtest. Lucian wird das akzeptieren müssen. Auch der König wird das akzeptieren müssen, sogar das ganze Land. Und dennoch sollst du wissen, dass sich alle darüber freuen werden, wenn ihr zwei ein Kind erwartet. Unabhängig davon ob es, wie die Tradition besagt, in der Hochzeitsnacht entsteht oder nicht. Ihr Zwei seid die Zukunft dieses Landes und könnt selbst entscheiden, wann es Nachkommen geben wird. Es liegt in eurer Hand. Abgesehen davon wäre ich auch eine stolze Oma. Auch wenn ich der Meinung bin, dass ich noch zu jung bin, um Oma zu werden." Ich lächle etwas, dann nehme ich eine Bewegung wahr und entdecke Marlene, die langsam zu uns kommt. "Guten Morgen. Störe ich euch?", fragt sie und lächelt sanft. "Nein, natürlich nicht.", antworte ich und zwinge mich ebenfalls zu lächeln. Die Königin setzt sich neben mich und nun sitze ich zwischen meiner Mutter und meiner zukünftigen Schwiegermutter. Komischerweise beruhigt mich das. "Ich habe ein paar Dinge aufgeschnappt und dachte, dass ich mit dir darüber reden sollte.", sagt Marlene sanft. Ich sehe sie fragend an. "Sobald du Königin bist, wirst du merken, dass dir absolut nichts entgehen wird, was im Schloss passiert. Und mit den Jahren wirst du ein Feingefühl dafür entwickeln, solche Dinge zu bemerken." Ich erröte. "Lucian ist ein Sturkopf und suhlt sich manchmal viel zu gerne in Selbstmitleid. Aber nimm ihm seine Reaktion nicht übel. Er hängt sehr an seinem Vater und möchte ihm an liebsten all seine Wünsche erfüllen. Und dass er das nicht kann, macht ihm zu schaffen. Manchmal scheitert er schon an kleinen Wünschen, die Frederick in einem Nebensatz fallen lässt, ohne dabei die Absicht zu haben, dass ihm jemand diesen Wunsch erfüllt. Es sind oft belanglose Dinge, aber Lucian nimmt alles sehr ernst, was sein Vater von sich gibt. Und wenn er sagt, dass er gern noch Großvater werden würde, nimmt Lucian es so auf, als müsse er schnell dafür sorgen, dass er das auch wird. Dabei redet Frederick in solchen Momenten nur davon, dass er gern noch länger leben würde. Nicht davon, dass Lucian sofort loslaufen und für Enkelkinder sorgen soll. Aber er liebt seinen Vater und möchte, dass er wunschlos glücklich ist. Deshalb ist die Situation etwas schwierig." Sie seufzt und sieht mich traurig lächelnd an. "Lucian wird sich schon wieder einkriegen. Auch wenn ich mich natürlich über Enkel freuen würde. Du sollst nur wissen, dass wir dich nicht drängen. Außer Lucian vielleicht aber der weiß gerade nicht, wo ihm der Kopf steht." Ich sehe wieder runter auf meine Hände. "Wir heiraten bald. Eine Schwangerschaft wäre jetzt ein Skandal.", murmle ich. "Ach papalapapp. Carwonas Bevölkerung verehrt die Königsfamilie. Sicherlich wäre dann die Tradition nicht befolgt aber das war schon durch deine erste Schwangerschaft abgehakt. Lucian entschied sich, mit offenen Karten zu spielen und hat der Öffentlichkeit preisgegeben, dass du mit eurem Kind schwanger warst. Schon zu diesem Zeitpunkt war die Tradition hinfällig. Und das Volk hat wie reagiert?" Ich verziehe das Gesicht. "Sie haben mit uns getrauert und hatten Verständnis.", seufze ich. "Na siehst du. Und wenn ihr jetzt ein Kind bekommt, weil ihr den Wunsch habt, dass König Frederick noch seinen Enkel kennenlernt, dann nimmt euch das niemand übel. Ebenso wie es euch niemand übel nimmt, wenn ihr länger wartet und nicht in eurer Hochzeitsnacht übereinander herfallt wie es Lucians Vorfahren taten." Ich erröte bei ihrer Ausdrucksweise und muss etwas schmunzeln. "Was ratet ihr mir? Bleibe ich standhaft und warte oder gehe ich auf Lucians Wunsch ein?", frage ich wieder ernster. "Das ist etwas, wo wir dir keinen Rat geben können, Spätzchen. Du musst auf dein Herz hören. Und vielleicht redest du noch einmal mit Lucian. Ihr solltet das gemeinsam entscheiden. Obwohl letztendlich du die jenige bist, die es entscheidet. Es liegt in deiner Hand. Lass dir von niemandem einreden, was richtig und falsch ist.", sagt Mom und Marlene nickt zustimmend. "Danke. Ihr habt mir sehr geholfen." Meine Mama küsst meine Wange und Marlene drückt meine Hand. "Wie steht es um Frederick?", frage ich. Marlene seufzt. "Nun ja, es ist gut, dass nächste Woche die Krönung ist. Er wird schwächer. Die ganze Verantwortung und der Stress tun ihm nicht gut und machen es schlimmer. Wir werden nach der Krönung eine Woche Urlaub machen, damit er sich erholen kann.", "Wie lange geben ihm die Ärzte?", frage ich vorsichtig. "Das ist schwer zu sagen. Vielleicht ein Jahr, allerhöchstens zwei. Mehr auf keinen Fall. Schon gar nicht, wenn er weiterhin so lebt wie er es tut. Aber da Lucian schon sehr selbstständig ist und genau weiß, was als König auf ihn zukommt, kann Frederick sich nach der Krönung vollkommen zurückziehen und sich um seine Gesundheit kümmern. Das ist schon mal viel Wert." Ein, allerhöchstens zwei Jahre. Dann wird er sein Enkelkind vielleicht wirklich nicht kennenlernen, wenn wir warten. Ich schlucke schwer. Am besten ich gehe etwas ausreiten, dabei kann ich immer am besten nachdenken.

Sei meine KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt