Kapitel 2

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Nachdem wir Mystic in seine Box gebracht haben, gehen wir nebeneinander zum Wohnhaus. Weder der Transporter noch die schwarzen Autos stehen noch auf dem Vorplatz und es ist alles still auf dem Hof. Prinz Lucian geht die kurze Treppe hinauf und öffnet die Tür, ehe er zur Seite tritt und sie mir aufhält, damit ich reingehen kann. "Oh, danke.", sage ich verlegen und gehe ins Haus. Ich ziehe meine Schuhe aus und schlüpfe in meine Hausschuhe. "Möchten Sie auch welche? Wir haben extra Hausschuhe für unsere Gäste.", "Ja, vielen Dank.", erwidert er. Ich nehme ein paar Hausschuhe aus dem Schrank und stelle sie ihm hin. Er schlüpft hinein, dann folgt er mir in das große Esszimmer, wo die Bodyguards des Prinzen, der Fahrer des Transporters, mein Bruder und meine Eltern bereits am gedeckten Tisch sitzen und sich angeregt unterhalten. Als die Leute des Prinzen ihn entdecken, stehen sie sofort von ihren Stühlen auf und meine Mutter sieht sie ganz verblüfft an, bis sie bemerkt, dass wir gerade den Raum betreten und will auch von ihrem Stuhl aufspringen. "Oh nein, bitte nicht, Mrs. O'Brien. Wegen mir brauchen Sie nicht aufzustehen. Schließlich bin ich hier der Gast. Sehen Sie mich einfach als einen gewöhnlichen Urlauber." Sie errötet. "Nennen Sie mich doch Carol, eure Hoheit. Und bitte setzen Sie sich doch, das Abendessen wird sicher gleich fertig sein.", "Vielen Dank, Carol. Und für diese Woche reicht Lucian. Lassen wir doch die Förmlichkeiten. Duzen Sie mich ruhig, ich möchte in dieser Woche ein einfacher Mann sein.", "Alles klar, ich bin Jason.", grinst mein Bruder, der neben Lucian sitzt und reicht ihm die Hand. Ich lasse mich auf der anderen Seite neben ihm auf den Stuhl sinken, dann kommt auch schon Ana, unsere Haushälterin, mit dem Essen und stellt es auf den Tisch. "Vielen Dank, meine Liebe.", lächelt Mama Ana an, welche anschließend das Esszimmer verlässt. "Dann wünsche ich allen einen guten Appetit.", sagt mein Vater feierlich, dann schlagen auch schon alle zu und füllen sich ihre Teller. "Es schmeckt ausgezeichnet, Carol.", lobt Lician sie, doch mein Bruder liefert ihm sofort eine Antwort. "Nah, danke nicht Mom, sie ist eine grauenhafte Köchin. Deshalb haben wir ja Ana.", "Jason!", ruft meine Mutter entsetzt und Lucian lacht. "Das ist doch nichts schlimmes. Meine Mutter ist auch keine sehr gute Köchin.", witzelt der Prinz neben mir und alle lachen ein klein wenig. Es ist eigenartig, so etwas vom Prinzen über die Königin sagen zu hören, doch in diesem Moment wirkt er tatsächlich wie ein normaler junger Mann, der Urlaub auf einem Reiterhof machen möchte. Als plötzlich mein Handy klingelt, entschuldige ich mich und entferne mich vom Tisch, um den Anruf entgegen zu nehmen. "O'Brien.", melde ich mich. "Ich bins. Offensichtlich hast du meine Nummer gelöscht.", höre ich seine vertraute Stimme an anderen Ende. Luke, mein Exfreund, was er allerdings erst seit knapp einer Woche ist. Ich seufze. "Ja, das habe ich. Und ich frage mich, wieso dich das wundert.", erwidere ich emotionslos. Luke und ich waren fast zwei Jahre zusammen, als er meinte, mit meiner vermeintlich besten Freundin das Bett teilen zu müssen. Er ist der Sohn eines spießigen Herzogs und bildet sich eine Menge darauf ein. "Wie auch immer. Was willst du?", frage ich, bevor er etwas erwidern kann. "Ich wollte hören, wie es dir geht." Schnaubend laufe ich langsam durch den Flur. "Mein Freund vögelt meine beste Freundin, was glaubst du denn, wie es mir geht?", "Lotti, wir-", "Nein, Luke, spar's dir. Ich will weder von dir noch von Mila je wieder etwas hören, verstanden? Lasst mich beide einfach in Ruhe. Abgesehen davon weißt du ganz genau, dass es gerade sehr ungünstig ist, mich anzurufen, denn wir haben heute Besuch." Ich betone das letzt Wort sehr deutlich und Luke flucht leise. "Shit, das habe ich ganz vergessen. Ich drücke dir die Daumen, dass du Mystic behalten kannst, Lotti. Es tut mir alles so Leid. Ich liebe dich, bitte vergiss das nicht." Er legt auf und ich schnaube erneut. So ein Vollidiot.
Schnell stecke ich mein Handy zurück in die Tasche, nachdem ich es nun auf lautlos gestellt habe, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Nichts ist schlimmer als vom Essen aufzustehen, während der Kronprinz mit am Tisch sitzt.
"Wer war das, Schatz?", fragt Dad besorgt, als er mein verärgerte Gesicht bemerkt. "Luke.", antworte ich lediglich und schneide ein Stück von meinem Rinderfielet ab. "Wieso ruft dieser Spinner dich bitte an?", fragt Jason mit einer Spur Wut in der Stimme. "Wollte wissen wie es mir geht. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er Mila vögelt.", den zweiten Satz sage ich ganz leise und zu mir selbst, während ich wütend mein Fleisch schneide, doch Lucian scheint mich gehört zu haben, denn er sieht mich besorgt an. "Entschuldigt, eure Hoheit, so etwas solltet Ihr nicht mitbekommen.", sage ich beschämt und ganz leise. "Lucian. Und keine Sorge, so etwas nehme ich dir ganz bestimmt nicht übel." Er lächelt mich aufmunternd an und ich muss auch ein wenig lächeln. Er ist wirklich unfassbar freundlich.
Nach dem Abendessen führe ich Prinz Lucian in unser Gästezimmer, welches Mom von Ana für ihn hat herrichten lassen. Normalerweise übernachten die Urlauber in einem extra Haus mit Ferienwohnungen, doch ich kann meine Mutter verstehen, dass sie den Prinzen nicht in eine Ferienwohnung stecken will. Und nun musste die arme Ana Überstunden machen, weil sie das Zimmer schlafbereit machen sollte.
"Hier ist es.", sage ich und öffne die Tür zum Gästezimmer. "Hinter dieser Tür befindet sich ein extra Bad mit Dusche und Badewanne. Der Schrank kann natürlich auch genutzt werden und wenn noch Wünsche offen sind, dann ist mein Zimmer gleich nebenan, das meines Bruders gegenüber und das meiner Eltern..." Ich halte inne. "Viel zu kompliziert das zu beschreiben, einfach bei mir klopfen, wenn etwas ist. Geht sowieso am schnellsten.", lächle ich. Das Schlafzimmer meiner Eltern ist nur über eine andere Treppe zu erreichen, es wäre viel zu umständlich, es Lucian zu erklären, zumal es für ihn eh einfacher ist, wenn er nur nach nebenan geht anstatt das ganze Haus zu durchqueren. "Also dann, gute Nacht.", flüstere ich verlegen. "Gute Nacht, Charlotte.", erwidert er, nimmt meine Hand und küsst sie. Errötend verlasse ich das Gästezimmer und schließe die Tür hinter mir. Doch statt dass ich nach nebenan in mein Zimmer gehe, gehe ich den Flur entlang zur Treppe, um nach unten zu gehen. Alles ist ruhig, Ana ist auch bereits nach Hause gegangen. Leise schlüpfe ich in meine Schuhe und gehe nach draußen. Die kalte Nachtluft umspielt meine Nase, als ich tief einatme. Der Anruf von Luke hat mich durcheinander gebracht. Die ganze Woche habe ich sämtliche Gedanken an ihn und meine beste Freundin verdrängt, um mich auf den Hof und auf meine Arbeit zu konzentrieren. Doch jetzt ruft er an und zerstört die dünne Mauer, die ich in den letzten paar Tagen versucht habe zu errichten. Sie bröckelt und ein Teil ist bereits eingestürzt. Stumm laufen mir die Tränen über die Wangen, bevor ich es verhindern kann.
Seufzend schließe ich den Reißverschluss meiner Strickjacke und gehe über den Vorplatz rüber zur alten Scheune, wo wir sämtliches Heu und Stroh lagern. Diese Scheune ist das einzige Gebäude auf diesen Gestüt, welches noch ganz alt ist. Alle anderen Gebäude, selbst die Ställe, wurden bereits renoviert und modernisiert. Ich klettere die Holzleiter hoch auf den Dachboden, wo eine mit Stroh bedeckte Fläche ist, auf der ich oft liege und nachdenke. Mein Bruder und ich lieben diesen Ort. Hier ist es still und man kann dem Alltag und den Sorgen für kurze Zeit entfliehen. Plötzlich höre ich, wie die Tür unten geöffnet wird und fahre hoch. "Charlotte? Ist alles in Ordnung? Ich sah dich hier hineingehen." Prinz Lucian. Ach du scheiße. "Ähm, ja, alles okay. Ich, äh, habe nur etwas nachsehen wollen.", antworte ich und will gerade zur Kante des Dachbodens gehen, als Lucian auch schon die Leiter hinaufsteigt. "Wirklich?" Er betritt den Dachboden und sieht sich lächelnd um. "Es ist schön hier. Darf ich dir etwas Gesellschaft leisten? Ich bin noch nicht wirklich müde.", "Aber natürlich.", sage ich schnell und setze mich wieder ins Stroh. Lucian setzt sich neben mich und lässt sich nach hinten fallen. "So etwas wollte ich schon immer mal machen. So etwas normales.", "Das stelle ich mir hart vor. Dass man solche Dinge nicht einfach machen kann, weil man gerade darauf Lust hat.", erwidere ich und lege mich ebenfalls ganz hin. "Nun ja, man hat eben eine Menge Verpflichtungen. Aber es hat durchaus auch seine Vorteile, der Kronprinz von Carwona zu sein." Er dreht seinen Kopf zu mir und zwinkert, woraufhin ich lächeln muss. "Normal zu sein, ist auch nicht immer leicht. Auch ich habe viele Verpflichtungen. Vor allem als Erbin von alldem.", sage ich grinsend und mache eine ausladende Geste mit der Hand. "Natürlich, ich verstehe schon.", lacht er. "Wie ist es in Carwona? Ich war leider noch nie dort. Die einzigen Male die ich mein Heimatland verlassen konnte, waren, um an Meisterschaften teilzunehmen. Aber um Urlaub zu machen oder einfach ein schönes Land zu besuchen, habe ich England noch nie verlassen.", "Es ist wunderschön. Eigentlich perfekt, wenn ich ehrlich bin. Im Sommer scheint oft die Sonne, im Winter schneit es und es liegt viel Schnee. Es ist zwar nicht so groß, aber dennoch ist es mein Königreich und ich liebe es. Hast du schon mal guten Carwonischen Wein getrunken? Es gibt nichts besseres. Die Weintrauben die dort angebaut werden, sind unglaublich lecker. Wie knackige Saftkugeln. Du solltest sie unbedingt probieren.", schwärmt er. Man kann hören, wie stolz er auf sein Land ist und das fasziniert mich. "Möchtest du mir erzählen, wieso du hergekommen bist?" Erschrocken drehe ich meinen Kopf zu ihm und starre ihm in seine blauen Augen. "Sieh mich jetzt nicht als zukünftigen König eines kleinen Landes. Sieh mich als normalen Urlauber vor, der dich gern hat. Vielleicht fällt es dir dann leichter." Ich schlucke schwer und sehe wieder an die Decke. "Vorhin beim Essen hat mich mein Exfreund angerufen. Wir haben uns vor einer Woche getrennt, weil ich ihm mit meiner besten Freundin erwischt habe. Hier auf dem Hof. Im Stall. Sie hat ein Pferd hier stehen und er war eigentlich hier, um mich zu besuchen. Frag nicht wie man vom Besuchen der Freundin zum Vögeln deren besten Freundin in dessen Stall kommt. Das wüsste ich selbst gerne. In drei Monaten wären wir zwei Jahre zusammen gewesen aber was soll's. Ich habe sofort Schluss gemacht. Sie kamen mir beide mit Ausreden, wie Es ist nicht so, wie du denkst oder Es ist nicht das, wonach es aussieht. Na sicher doch." Ich seufze und wische mir wütend eine einzelne Träne weg. "Er hat dich nicht verdient.", antwortet Lucian. Ich zucke mit den Schultern. "Mag schon sein. Aber wer hat denn wirklich jemanden verdient. Alle Menschen auf dieser Erde haben schon mal etwas getan, was sie nicht hätten tun sollen. Aber es gibt einfach Dinge, die man nicht verzeihen kann. Fremdgehen ist eines dieser Dinge." Meine Stimme klingt verbitterter als ich es beabsichtigt hatte, doch im nächsten Moment nimmt Lucian meine Hand und ich sehe ihn überrascht an. "Du hast recht. Ich wurde auch schon oft betrogen. Zwar nicht in Bezug auf Fremdgehen in einer Beziehung, aber ich hatte es schon sehr oft mit Mädchen und Frauen zu tun, die mein inneres nicht annähernd interessiert hat. Sie hatten es immer nur auf mein Äußeres abgesehen. Und die Tatsache, dass ich Kronprinz bin, hat die unehrlichen Frauen immer nur noch mehr angezogen. Niemand von ihnen hat sich für den Mann hinter diesem Titel interessiert. Keine von ihnen wollte mich wirklich wahrhaftig Kennenlernen. Sie wollten nur Prinzessin und anschließend Königin werden." Plötzlich fühle ich mich mit meinen Problemen armselig. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es ist, von der einen Verarsche zur anderen zu hangeln und innerlich nach und nach immer mehr zu merken, dass es aussichtslos ist und man früher oder später doch gezwungen ist, eine Frau zu heiraten, die es überhaupt nicht erst meint. Eine Frau, die man nicht liebt. Eine die er nicht liebt. Von der er nicht geliebt wird. "Das tut mir Leid.", sage ich ehrlich und sehe ihn traurig an. "Ach weißt du, man findet sich irgendwann damit ab. Die Ehe zwischen meinem Vater und meiner Mutter basiert auch nicht auf romantischen Gefühlen. Naja, doch schon, aber sie haben nicht aus Liebe geheiratet. Mit der Zeit ist daraus aber Liebe geworden, deshalb habe ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Sie sind glücklich miteinander und im Moment ist das das einzige, was ich mir auch für mich wünsche. Aber vielleicht gibt es ja doch jemanden, der es ernst mit mir meinen könnte." Er sieht mich an und ich drücke ganz leicht seine Hand. In diesem Moment ist er nicht Prinz Lucian. Er ist ein junger Mann, der mir sein Herz geöffnet hat.

Sei meine KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt