26 (Lesenacht: Kapitel 4/5)

5.9K 173 8
                                    


Seit zweieinhalb Jahren hatte niemand mehr mit mir hier gelegen. Und seit eben so langer Zeit hatte mich niemand mehr in seinen Armen gehalten, der es nicht nur deshalb tat, weil er mich kurz begrüßen oder sich verabschieden wollte.

Ich hatte das Gefühl, dass ich mich mit der vielen Arbeit im Klinikum von dem Alptraum mit meinem damaligen Freund versucht hatte abzulenken. Es hatte unfassbar lange gedauert, bis es mir endlich gelang.
Seitdem war ich vorsichtig geworden und hatte niemand männlichem mehr über den Weg getraut.

Nein, Moment mal. Was erzählte ich da?

Gestern! Gestern hat er mich in den Arm genommen. Vor dem Juwelier, als ich begonnen hatte zu zittern. Und zwar nicht nur für eine Sekunde.

Als ich an die Situation zurückdachte, begann mein Herz schneller zu schlagen und Nervosität stieg in mir auf.

Aber es hatte sich gut angefühlt.
Er hatte sich gut angefühlt.

Oh je!

Und jetzt lag er neben mir in meinem Bett. Er, der attraktive Kriminelle, der sein Gedächtnis verloren hatte und in meinem rosa Bademantel gedankenversunken mein Haustier kraulte, das normalerweise Menschen hasste.

Ich versuchte nicht hinzusehen und klammerte mich stattdessen an meine Teetasse.

Wie lieb von ihm, dass er mir Tee gemacht hatte, obwohl ihm Bewegung doch eigentlich weh tat.

Ich hoffte nur, er hatte es nicht aus schlechtem Gewissen mir gegenüber getan, weil er sich wieder schuldig fühlte.

Meine wirren Gedanken schob ich minutenlang von rechts nach links und versuchte mir einen Reim auf das ein oder andere zu machen, als Charly plötzlich vom Bett hüpfte und in ihr Körbchen zurückhuschte.

Mein Gast rührte sich allerdings keinen Millimeter.

Zögerlich drehte ich meinen Kopf wieder in seine Richtung und sah, dass er eingeschlafen war.

Scheinbar hatte er es direkt geschafft damit zu beginnen, den fehlenden Schlaf der letzten Nacht nachzuholen.

Schon lange hatte ich ihn nicht mehr so gesehen.

Ich dachte an die Zeit im Krankenhaus zurück.

Daran, wie wir vor einer Woche um sein Leben gekämpft hatten, wie ich seine Wunden versorgte, ihm seine Hand hielt als er aus dem Koma erwachte und wie er mich auf dem Parkplatz überrumpelt hatte.

Ich nahm noch einen Schluck von meinem Tee, stellte dann leise die Tasse auf den Nachttisch und schloss die Augen.

Obwohl ich angespannt war, fühlte ich mich gleichzeitig doch auch wohl in dieser Situation.
Wohl, in seiner Nähe.

-

Als es auf einmal an der Haustür klingelte, schnellte mein Oberkörper hoch wie der Blitz.

Mein Blick fiel sofort auf die Uhr und mir klappte die Kinnlade nach unten. Zum zweiten Mal an diesem Tag.

Ich hatte fünf Stunden geschlafen. Und das mitten am Nachmittag. Nein, wir hatten fünf Stunden geschlafen.

Entgeistert blickten mein Patient und ich uns an. Er war ebenfalls gerade erst durch das Schellen wach geworden.

„Wer kann das sein?", fragte er flüsternd.

Ich zuckte nur mit den Schultern und verzog mein Gesicht.

„Bleib hier liegen und rühr dich nicht, ok? Wer auch immer es ist, ich werde ihn abwimmeln."

Er nickte und ich sprang auf, lief aus dem Zimmer und schloss die Tür, bevor ich am Garderobenspiegel vorbeilief und merkte, dass ich nur ein Spaghettitop und eine super kurze Stoffhotpants trug.
Mein tägliches Schlafoutfit.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt