|| 8 || Herzenschrei

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Leandro Cassamento

«Wieso hast mich herbestellt?», frage ich meinen Vater, als ich sein Büro betrete. In den letzten Wochen, um genau zu sein, ab der Zusammenarbeit mit der Salvatore Familia, spreche ich mit meinem Vater nur selten. Manchmal lasse ich ihn gelegentlich an Geschäftsterminen teilnehmen, damit ich nicht sein Klagen und Geschreie ertragen muss. Er versucht noch immer jeden meiner Schritte zu kontrollieren und kommentieren. Nachdem ich mich mit Avyanna gegen Luigi verschworen habe, hat er es bis zu Luigis Tod aufgegeben. Er dachte, ich würde die Mafia in den Ruin treiben, aber das Gegenteil geschah. Nun ist sein Sohn Capo dei capi. Er brüstet sich damit, als wäre es sein verdienst und wenn jemand fragt, dann behauptet er, er hätte mich bei jedem Schritt unterstützt.

Kurz vor dem königlichen Ball kamen wir uns wieder näher, haben wir uns langsam wieder verstanden. Damals zeigte er mir deutlich, er wäre weiterhin nicht mit dem Plan, Luigi vom Thron zu stoßen, einverstanden, jedoch gefiel ihm die Verlobung mit Avyanna. Zu spät realisierte ich, dass es ihm dabei weniger um mich und meine Glücklichkeit ging, sondern vielmehr um die daraus entstehenden Vorteile für die Cassamento Familia.

Diese Erkenntnis traf mich erst wenige Tage nach dem Tod Luigis, als ich zufällig belauschte, wie er mit einem Freund sprach.

<Stell dir vor! Ein Cassamento Capo dei capi!>, rief mein Vater erfreut. <Der erste seit Jahrzehnten!>
<Dein Sohn hat es verdient. Nicht jeder besitzt den Mut, einen Capo dei capi zu stürzen.>
<Anfangs rang er auch mit sich, aber selbstverständlich habe ich ihn ermutigt!>, lügte mein Vater. <Ich konnte schließlich nicht zulassen, dass Luigi Montana mit seinen Machenschaften einfach davonkommt!>

<Es ist doch sehr bedauerlich, dass die Salvatore Familia an erster Stelle im Ranking steht. Denn es war ja dein Sohn, der Mister Montanas Machenschaften aufdeckte!»
<Warte nur ab!>, meinte mein Vater. <Niemand wird eine Frau als Capo dei capi akzeptieren! In Kürze wird sie abtreten und mein Sohn wird sein Titel mit niemanden mehr teilen müssen.> Das Lächeln schwang in seiner Stimme mit, als er hinzufügte: <Und mit meiner Hilfe wird er der beste Capo dei capi aller Zeiten. Du wirst schon sehen!<

Als ich dieses Gespräch belauschte, sackte mein Herz in die Hose. Ich, naiver Idiot, dachte doch wirklich, sein Sohn wäre ihm wichtiger als seine Familia.
Dieser Fehler wird mir nicht wieder passieren.

Zumindest weiß ich nun wo ich stehe. Nun weiß ich, dass er mich nur liebt, wenn es ihm günstig liegt. Mein Vater liebt mich nur, wenn ich ihm nützlich bin.

Wenn nicht einmal mein Vater mich lieben kann, wer soll mich dann lieben?

Mein Herz zieht sich zusammen, jagt einen stechenden Schmerz durch meine Brust. Ein mentaler Schutzschild lässt die negativen Gedanken abprallen. Cassians Gesicht erscheint vor meinem inneren Auge, dann Avyannas. Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass nicht alle so kaltherzig wie mein Vater sind. Cassian wäre beinahe gestorben, um mich zu beschützen. Und auch Avyanna war (ist?) in mich verliebt.

Wo ist denn bloß mein Selbstbewusstsein hin?

Ich bin Capo dei capi Leandro Cassamento. Frauen drehen sich nach mir um, betteln um ein Treffen mit mir. Ich wurde zu dem attraktivsten Mann des Jahres gekrönt. Ich habe Luigi Montana besiegt.
Ich verdiene es, geliebt zu werden.

Jeder verdient es, geliebt zu werden.

Die eisige Stimme meines Vaters reißt mich aus meinen Gedanken: «Wieso ich dich herbestellt habe?» Er schnaubt. «Spiel nicht den Idioten.» Kalt sieht er mich an, als wäre ich die Enttäuschung in Person. Sein Kiefer ist angespannt und seine rechte Hand umklammert ein Glas gefüllt mit Whiskey.
Irritiert blicke ich auf, schaue ihm jedoch nicht in die Augen. Wohin ist seine gespielte Zuneigung? Allerdings bin ich froh, dass er mir seine Liebe nicht mehr vortäuscht. Lieber ehrliche Abneigung, als gefälschte Zuneigung. «Ich verstehe nicht.»

Mafia Romance 2 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt