|| 36 || Die Mission

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Leandro Cassamento

«Du willst dich wirklich trennen?», frage ich Avyanna zum hundertsten Mal, als Cassian das Auto zum Stehen bringt.

Das Lager ist so groß und die Gefahr eines Angriffes so wahrscheinlich, dass wir beschlossen, uns ebenfalls aufzuteilen, so dass wir nicht beide gleichzeitig verletzt werden können. Momentan stehen in mehreren Metern Abstand jeweils dreier- oder Vierergruppen von Soldaten um das weitläufige Gelende herum. Avyanna und Dorian sollen im südlichsten Punkt beginnen, und Cassian und ich am nördlichsten. Dann sollen sich die jeweiligen Kleingruppen immer mehr in das Gebiet hineinwagen, jeden Meter genaustens unter die Lupe nehmen, mögliche Hinweise fotografieren und alle Menschen, die sie auf dem Weg finden, mit zur Mitte des Lagers bringen. Die besagte Mitte stellt eine große Scheune dar. Dort hoffen wir, auf die meisten Kindern und Frauen zu treffen.

Knapp nickt Avyanna. «Ich sollte jetzt gehen.» Doch sie dreht sich nicht um, um aus dem Auto zu steigen, nein, sie bleibt sitzen und sieht mich an, als fürchte sie, es wäre das letzte Mal.
«Ich will nicht, dass du ohne mich gehst.»
Ihr Atem stockt und ihr Blick huscht zu meinem Mund. «Wir werden uns in der Mitte treffen.»
Wenn wir bis dorthin kommen.
Ich seufze, behalte aber meine Gedanken für mich. «Wie du wünschst.»

Wieder nickt sie knapp, dann dreht sie sich zur Autotür um und legt ihre Hand auf den Türgriff. Sie verharrt in ihrer Position, als würde sie genauso wenig aussteigen wollen, wie ich sie gehen lassen will. Ich ergreife die Chance und schnappe ihr Handgelenk. Überrascht dreht sie sich zu mir um. Bevor sie etwas sagen kann, beuge ich mich nach vorne und drücke meine Lippen auf ihre.

Zuerst verspannt sie sich, schockiert von dem Kuss. Aber gerade, als ich unsere Lippen voneinander lösen will, legt sie ihre rechte Hand an meine Wange. Sie küsst mich zurück.
Der vorerst langsame, zurückhaltende Kuss wird energischer, ängstlicher. Ein Kuss, heilend und zerstörend zugleich.

Bittersüß.

Bitter, weil das unser letzter Kuss sein könnte.

Süß, weil- Ach, verdammt, wie sehr habe ich ihre Küsse vermisst!

Schweren Herzens beenden wir den Kuss, legen unsere Stirne aneinander, genießen den warmen Atem des anderen prickelnd auf unserer Haut. Wir sind nicht bereit loszulasse. Vielleicht werden wir es auch nie sein. Denn wir loslassen, dann könnten wir uns verlieren.

Ich will sie nicht verlieren.

Ein Räuspern unterbricht den Moment.

Augenblicklich schrecken zurück. Erst jetzt realisiere ich, dass wir nicht alleine sind. Cassian sitzt mit uns im Auto. «Es wird Zeit», ist alles, was er sagt.
Stumm nicken wir. Nun wendet Avyanna wieder ihre Aufmerksamkeit auf mich. Als sie mich ansieht, huscht ihre Pupille von links nach rechts, von oben nach unten. Währenddessen sieht sie in mein Gesicht, auf der Suche nach etwas, dass nur in unseren Herzen gefunden kann.

Ich beuge mich nach vorne und hauche ihr einen Kuss auf die Stirn. «Pass auf dich auf.»
Schwach lächelt sie. «Du auch auf dich.»
Schließlich dreht sie sich um und steigt aus.

Cassian schaut über die Schulter nach hinten, mustert mich kurz. Ohne ein Wort zu sagen, wendet er seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne und fährt weiter.

Aus dem Fenster sehe ich, wie in diesem Moment ein Auto neben Avyanna parkt. Cassian macht langsamer und als er sieht, wie Sergio aus dem Wagen aussteigt, fährt er so langsam, dass eine Oma mit Krückstock uns überholen könnte. Wie gebannt schauen wir nach hinten, zu unseren Geliebten, die wir beide zurücklassen mussten.

Mafia Romance 2 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt