|| 34 || Sorgen und Bedenken

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Leandro Cassamento

«Bist du dir sicher, dass Sergio und du mitgehen wollt?», frage ich Avyanna. Gerade haben wir die letzte Sitzung vor dem Aufbruch zu den Koordinaten, die uns hoffentlich zu einem Menschenlager führen, beendet.
Mayra, Dorian, Cassian und Sergio sind bereits aus dem Zimmer geeilt, um die letzten Vorbereitungen zu treffen und Kontrollgänge zu machen. Avyanna wollte ebenfalls gehen, jedoch hielt ich sie an ihrem Handgelenk fest, bevor sie aus der Tür treten konnte.

Ihr Blick fällt auf meine Hand, die noch immer ihr Handgelenk umgreift. Langsam zieht sie ihren Arm zurück und sieht mich ernst an. «Ich kenne und teile deine Sorgen, allerdings weißt du auch meine Meinung dazu. Ich schätze deine Fürsorge, wirklich, aber das ändert nichts daran, dass du meine Entscheidung akzeptieren musst.» Sie sieht mich an, als fürchte sie sich vor meiner Reaktion, zugleich jedoch ist ihr Mund zusammengekniffen und ihr Kinn nach vorne gestreckt, was meine Vermutung bestätigt, dass sie nicht vorhat ihre Meinung zu ändern.

Ich kann ihren Entschluss verstehen, doch bin ich von dem Protokoll, dass entweder der Mafia Boss oder Unterboss in Sicherheit bleibt, überzeugt. Schon oft genug wurde bewiesen, dass dieses Protokoll, so manch eine Mafia vor dem Untergang bewahrt hat. Wenn beiden Anführern etwas zustoßen sollte, würde es ewig dauern, bis neue erkoren sind, wenn es überhaupt soweit kommen sollte. « Du weißt, wie riskant es ist, wenn ihr euch beide in Lebensgefahr begibt.»

Leicht schüttelt sie ihren Kopf; nicht, weil sie mir widerspricht, sondern weil sie nicht darüber diskutieren möchte. «Das letzte Mal, als ich Sergio dazu angeordnet habe, die Villa nicht zu verlassen, wäre Cassian fast gestorben.» Für eine Sekunde senkt sie ihren Blick, als würden Erinnerungen sie einholen, die sie lieber vergessen hätte. Schließlich sieht sie mich entschlossener, aber auch verzweifelter als zuvor an. «Überleg dir, welche Folter es für Sergio wäre, wenn wir ihn nun wieder zurücklassen würden.»

Sorgenfalten graben sich in ihre Stirn und ihre Lippen werden zusammengepresst. «Was ist, wenn er sich heimlich über meinen Befehl hinwegsetzen würde? So loyal Sergio zu mir ist, so loyal ist er auch gegenüber Cassian. Stell dir vor, was passieren würde, wenn er ohne unser Wissen mitgehen würde!» Sie wäre verpflichtet, ihn streng zu bestrafen, ja womöglich würde erwartet werden, dass er vorübergehend suspendiert wird oder gar zu einem Kapitän runtergestuft wird. Leicht schüttelt sie ihren Kopf, als würde allein der Gedanke ihr seelische Schmerzen zufügen. «Ich kann ihn besser beschützen, wenn ich weiß, wo er sich aufhält. Also tu nicht so, als würdest du Cassian zurücklassen, denn wir beide wissen, dass das niemals geschehen würde.»

Nein, Cassian würde ich niemals zurücklassen. Wir sind unzertrennlich. Mehr als Freunde und mehr als Brüder. Cassian ist immer an meiner Seite wie ich an seiner. Nichts, nur der Tod, kann uns trennen. 

Cassian ist mein Bodyguard und Berater. Es stand nie zur Debatte, dass ich ohne ihn rausgehe. Glücklicherweise ist mein Unterboss Santiago mehr als zufrieden, die ganze Zeit im Turm die Stellung zuhalten. Er hat keinen Drang rauszugehen und sich in Lebensgefahr zugeben. Die einzige Gefahr, die er sich bereitwillig aussetzt, ist die Gefahr eine seiner Liebhaberinnen zu schwängern. 

«Du hast ja recht. Ich möchte Sergio diesen Qualen ebenfalls nicht aussetzen», gebe ich zu. «Dennoch sorge ich mich. Auch Cassian hat Bedenken geäußert. Jedoch fürchte ich, dass es in diesem Fall keine richtige Entscheidung gibt.» Ich suche ihren Blick, um zu verdeutlichen, was ich fühle. Zerrissenheit, Bedenken, Verständnis und Liebe. Schwach lächle ich. «Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass alles gut verlaufen wird.»

Sie erwidert mein Lächeln ebenso schwach. «Mit etwas Glück machen wir uns über nichts Sorgen und es wird alles gut. Wir wissen ja nicht einmal mit Sicherheit, ob es eine Falle ist und bisher gibt es nichts, außer unsere Paranoia, das darauf schließen lässt.»

«Stimmt.» Die Soldaten, die vorgeschickt wurden, haben bislang nichts Verdächtiges ausfindig machen können, allerdings lässt sich das erst mit Sicherheit sagen, wenn wir das Grundstück betreten. Ich beiße kurz auf die Unterlippe, bevor ich fast schon schüchtern nachfrage: «Also bist du mir nicht Böse?»

«Weil du dir Sorgen um Sergio und mich machst?» Lächelnd schüttelt sie ihren Kopf. «Nein, dafür bin ich dir nicht Böse.» Ein Lächeln stiehlt sich auf ihr Gesicht. «Das ist sogar genau das, was ich von meinem Partner erwarten würde.»

«Partner?», hacke ich grinsend nach.

«Geschäftspartner», korrigiert sie mich. Ich ziehe einen Schmollmund, doch dann steht sie leicht auf die Zehenspitzen und drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. «Und Liebespartner.»

Breit grinse ich. «Trifft sich ja gut, dass ich beides sein möchte.» Noch sind wir zwar nicht wieder zusammen, allerdings bin ich positiv, dass sich das bald ändern wird. Ich weiß zwar noch nicht, wie wir das scheiß Problem mit der beschissenen Zwangsheirat lösen wollen, jedoch bin ich überzeugt, dass wir einen Weg finden werde – und wenn ich dafür auf Knien Ronaldo anbetteln und ihm meinen Titel übertragen muss.

Einziges Problem ist, dass ich bezweifle, dass Ronaldo zulassen würde, dass Avyanna so leicht davonkommt und ihren Titel behalten darf. Ich sehe es schon vor mir, wie er die Bedienung stellt, dass die Heirat erst abgesagt wird, wenn Miguel der einzige Capo dei capi ist.

Wie ich Ronaldo verabscheue.

In diesem Moment klopft jemand an die halboffen stehende Tür. Sergio tritt herein. Er schluckt schwer und wagt es nicht länger als eine Sekunde uns in die Augen zu schauen. «Entschuldigt, dass ich störe.» Er räuspert sich, bevor er sich an Avyanna wendet. «Kann ich kurz mit dir unter vier Augen sprechen?»

«Unter vier Augen?» Avyannas Stirn runzelt sich. «Was ist es, dass du nicht vor Leandro besprechen kannst?»

Sergios Blick huscht zu mir, bevor er wieder Avyanna ansieht mit einem Blick, der nichts Gutes verspricht.

«Hat es etwas mit der heutigen Mission zu tun?», hacke ich nach, als er nicht antwortet.

Er schüttelt seinen Kopf, dann nickt er. «Es steht im Zusammenhang.»

Avyanna legt ihren Kopf schief, mustert Sergio besorgt. «Und du bist dir sicher, dass du es vorerst mir allein erzählen möchtest?»

Just in diesem Augenblick kommt Cassian herein. «Die Vorbereitungen sind abgeschlossen.» Seine Stirn legt sich in Falten, als die bedrückte Stimmung wahrnimmt. Er schaut zu Sergio, dessen Lippen zusammengepresst sind. Sergio starrt auf seine Füße, als könne er Cassians Anblick gerade nicht ertragen. Cassians Falten graben sich tiefer in seine Stirn. «Was ist los? Ist etwas passiert?»

Irritiert schaue ich zwischen Cassian und Sergio hin und her. Ist etwas zwischen ihnen vorgefallen? Soweit ich weiß, haben sie sich gestern Nacht ausgesprochen und sind nun enger als zuvor. Hat mich Cassian angelogen? Aber nein, wieso sollte er? Also was ist los? Hat Sergios Gesprächsdrang überhaupt etwas mit Cassian zu tun?

Obwohl Cassians Blick auf Sergio liegt, antwortet Avyanna: «Alles ist gut, wir haben gerade nur nochmal darüber gesprochen, welches Risiko wir eingehen, wenn sowohl Sergio wie auch ich uns in Gefahr begeben.»

Dankbar lächelt Sergio Avyanna an, woraufhin ich zu dem Entschluss komme, dass Sergios Gesprächsthema zumindest ansatzweise mit Cassian zusammenhängt. Vielleicht ist ihm auch etwas peinlich und er hat Angst Cassian zu verlieren?

Cassian fragt nach: «Heißt das, Sergio darf doch nicht mit?»

Aus dem Seitenwinkel sieht Avyanna Sergio an, bevor sie antwortet: «Doch, er darf mit.»

Cassian nickt. «Okay, dann können wir nun los, oder nicht?»

Sowohl Avyannas wie auch mein Blick huscht zu Sergio, der allerdings nur schwach nickt. Sergio setzt sich ein Lächeln auf, dass seine Augen nicht erreicht. «Ja, das können wir.»

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