Cassian Natale
Noch während die Erkenntnis in mich einsickert, dass ich Sergio nicht halb so gut kenne, wie gedacht, hebt Sergio seine Augen von Jasons Leiche. Unsere Blicke treffen sich. Eine Gänsehaut stellt sich mir auf. Leandro klopft flüchtig auf die Schultern, bevor er mit Avyanna den Raum verlässt, mich allein lässt. Als Sergio auf mich zugeht, übermannt mich die Panik.
Wer ist Sergio wirklich? Was hat er mir noch von sich verheimlicht? Wieso hat er mir nie etwas erzählt? Kenne ich ihn überhaupt? In was für eine Person habe ich mich verliebt?
Wieso konnte Sergio Avyanna nicht leiden? Wie kann es sein, dass er ihren Platz einnehmen wollte? Bedeutet ihm Treue und Vertrauen denn nichts? Was bedeutet das für unsere Beziehung?
Stopp.
Nicht ausrasten. Gefühle sortieren. Keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Tief atme ich durch und erinnere mich an meinen früheren Trainer, der mich stets gelehrt hat, sämtliche Informationen aus verschiedenen Quellen zu sammeln und nicht voreilig zu handeln. Es bringt nichts, wenn ich Sergio jetzt anschreie und ihm nicht einmal die Chance gebe, sich zu erklären.Ich liebe Sergio zu sehr, um zuzulassen, dass ich ihn wegen längst Vergangenem verliere.
Solange er seine Einstellung verändert hat, steht unserer Beziehung nichts im Wege ... oder doch?
«Cas», reißt mich Sergio aus meinem Strudel aus Gedanken, als er vor mir stehen bleibt. Er legt seinen Kopf leicht schief. Musternd sieht er mich mit gerunzelter Stirn an. «Was ist los? Woran hast du gedacht?»
«Dasselbe könnte ich auch dich fragen.» Meine Stimme klingt härter als beabsichtigt.Kaum merklich zuckt Sergio zusammen. «Wieso bist du so schlecht gelaunt? Ist etwas passiert?» Irritation liegt in seinen Augen. «Ich hatte den Eindruck, die Versammlung wäre erfolgreich verlaufen, oder nicht?»
«Doch, doch, das ist sie.» Schwer seufze ich. «Aber ich habe gerade erfahren-» Ich schüttele meinen Kopf und lasse flüchtig meinen Blick über den Saal gleiten. Mehrere Soldaten helfen dabei, die Leichen in Särge zu legen und Putzfrauen säubern den blutbesudelten Boden. «Das ist nicht der richtige Ort, um darüber zu sprechen.»Besorgt sieht Sergio mich an. Schuldgefühle blitzen in seinen Augen auf, dann senkt er kurz seinen Kopf und fährt sich kurz durch die Haare, bevor er wieder hochschaut und sagt: «Du hast recht. Das ist nicht der richtige Ort.» Nun schweift auch sein Blick über den Saal, wobei dieser an der Stelle von Jasons Leichen kurz verharrt. Er schluckt. Anschließend wendet er seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. «Wie wäre es, wenn ich dich ins Restaurant einlade?» Seine Wangen verfärben sich rosig, als er zugibt: «Mein Magen könnte etwas Essen vertragen.» Wie aufs Stichwort meldet sich sein Magen zu Wort.
Ein Schmunzeln huscht über mein Gesicht. «Essen klingt gut.» Auch ich habe heute kaum etwas gegessen. Zwischen Jasons Verhör und der Versammlung hatten wir alle Hände voll zu tun, weshalb Essen warten musste. «Aber denkst du, wir finden so kurzfristig noch ein Restaurant, dass noch einen freien Tisch für uns hat?»
Sergios Mundwinkel ziehen sich nach oben. «Mein Freund Armaniel Zehara hat sicherlich noch Platz für uns.»«Das Restaurant, in dem wir letztes Mal waren?»
Sergio nickt. Als die Erinnerungen zurückkommen, wird sein Blick weich. «Unser erstes Date nach der Besiegung Luigis.»
Ich schmunzle. «Das erste Date nachdem ich dich tagelang mit meiner Ignoranz gefoltert habe.»
«Oh ja, das war wahrhaftig eine Folter.» Unsere Blicke treffen sich und zusammen kichern wir bei der Erinnerung, die unsere Herzen wärmt.
Eine halbe Stunde später finden wir uns am Restaurant wieder. Tatsächlich hat Chefkoch Zehara angeordnet, extra einen kleinen Tisch und zwei Stühle vom Abstellraum für uns holen zulassen. Währenddessen genießen wir ein gratis Glas Rotwein draußen auf der Parkbank. Dunkelheit bedeckt die Landschaft, legt sich wie eine Decke über die Natur. Neben uns leuchtet dämmrig eine alte Laterne. Ein kühler Nachtwind weht, einzelne Vögel zwitschern und Grillen zirpen.
Mit dem Blick auf eine weitläufige Wiese, die an ein Waldstück grenzt, sitzen wir eng nebeneinander, als fürchteten wir uns, getrennt zu werden.
Mehrere Sekunden sagen wir nichts, schauen nur nach vorne, beobachten wie die tanzenden Grashalme sich vom singenden Nachtwind führen lassen. Sterne leuchten über uns und der Mond erhellt die Sicht mit seinem silbrigen Schein.«Es tut mir leid», bricht Sergio die Stille. Sein Kopf ist gesenkt, seine Schultern sind nach unten gesackt und seine Arme hat er ineinander gefaltet. Bevor ich etwas sagen kann, spricht er weiter: «Es tut mir leid, wie ich mich in letzter Zeit verhalten habe.» Er schluckt schwer. «Das hast du nicht verdient.»
Mein Herz verkrampft sich. Was will er damit andeuten? Er meint doch nicht...
Er hebt seinen Kopf, sucht nach meinem Blick. Verzweiflung steht in seinen Augen geschrieben. «Du bist ein wunderbarer Freund, aber ich-»«Nein, kein aber», unterbreche ich ihn harsch.
Irritiert blinzelt er. «Aber-»
«Nein», wiederhole ich mich. «Du wirst unsere Beziehung nicht aufs Spiel setzen, nur weil du gerade eine schwierige Zeit durch machst.»«Ich verstehe nicht.»
Ich seufze. «Du wolltest doch gerade sagen, dass ich jemanden Besseren verdiene würden und-» Ich presse meine Lippen aufeinander. Zitternd atme ich ein. «Und dass du Zeit für dich brauchst.»
Sergio senkt seinen Kopf, antwortet nicht.«Verdammt», fluche ich. Ich drehe mich mit dem Oberkörper zu ihm, greife nach seiner Hand. Bei meiner Berührung zuckt er zusammen. Ich suche seinen Blick und halte an diesem fest, denn in diesem verzweifelten Blick, da liegt auch Liebe und Schmerz. «Ich werde nicht zulassen, dass dein Strudel des Selbstmitleids unsere Beziehung mit sich nach unten zieht. Ich lasse nicht zu, dass du mich von dir stößt, sobald es Hart auf Hart kommt.» Leicht schüttele ich den Kopf. «Ich weiß, dass du es gewöhnt bist, alleine zu sein. Ich weiß, dass du unter Bindungsängste leidest. Aber genauso weiß ich, dass du mich magst.»
Zumindest hoffe ich das.
Sergio beißt sich auf die Lippen, dann nickt er. «Sehr sogar.»Erleichtert seufze ich. Mit neuer Hoffnung fahre ich fort: «Du musst mir nicht sofort all deine Sorgen anvertrauen. Lass dir Zeit und wenn du willst, müssen wir uns auch nicht mehr so oft treffen, bis es dir wieder besser geht. Aber du sollst wissen, dass du jederzeit zu mir kommen kannst. Ich gebe mein Bestes, um für dich dazu sein.» Ich schmunzle. «Du musst nur deine kindische Sturheit ablegen und meine Hilfe annehmen, du Idiot.»
Tränen glitzern in seinen Augen. «Aber du hast doch eigene Sorgen.»
«Da ist es wieder. Das Aber.» Ich verdrehe meine Augen. «Sergio, versteh bitte, Beziehungen sind nicht wie in Filmen und Romanen. Beziehungen sind harte Arbeit und bestehen aus gegenseitigem Vertrauen und füreinander da sein. Auch in schweren Zeiten.» Ich umklammere seine Hände fester, nicht bereit loszulassen. «Nur weil ich meine eigenen Lasten zutragen habe, heißt es nicht, dass ich dir nicht mit deinen helfen kann.»Zugegeben, ich habe zwar keine große Übung, wenn es darum geht, anderen zu helfen, aber im Notfall mache ich halt einen Crashkurs in Psychologie oder so.
Mehrere Sekunden herrscht Stille. Ich sehe ihm an, dass er noch immer mit sich ringt. Bei dem Gedanken ihn zu verlieren, verkrampft sich mein Herz. Selbst wenn ich Sergio nicht so gut kennen sollte, wie angenommen, möchte ich die restliche Zeit unseres Lebens dafür nutzen, ihn besser kennenzulernen, bis ich ihn besser kenne, als er sich selbst.
Ich möchte ihn nicht verlieren. Ich kann ihn nicht verlieren. Ich liebe ihn doch.
Mit kaum hörbarer Stimme flehe ich: «Bitte mach nicht denselben Fehler wie ich, als ich im Krankenhaus erwachte.» Meine Stimme zittert, Tränen kitzeln hinter meinen Augen. «Stoß mich nicht aus Angst, nicht gut genug zu sein, von dir.» Tief atme ich ein, um mich zu fassen. Ich sehe ihm tief in die Augen, lege all meine Gefühle in diesen Blick. «Verdammt nochmal, Sergio, du bist das Beste, was mir je passiert ist.»
Mit großen funkelnden Augen sieht er mich an. «Wirklich?»
Ich lege meine rechte Hand auf seine Wange, während ich mit der anderen Hand seine festhalte. Dann beuge ich mich zu ihm, schließe meine Augen. Unsere Lippen treffen sich, vereinen sich zu einem langsamen herzzerreißenden Kuss.
Als wir uns lösen, legen wir unsere Stirne aneinander, atmen schwer. Mit meinen Fingern streichle ich über seine Wange. Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als ich antworte: «Wirklich.»
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Mafia Romance 2
Avventura! A c h t u n g ! Spoiler Warnung zu Mafia Romance 1 ! ------------------------------ Luigi ist besiegt, doch der Krieg geht in die zweite Runde. Nun müssen sich Avyanna und Leandro ganz neuen Herausforderungen stellen. Werden sie wieder zusammen...