|| 35 || Geheimnisse und Kapitäne

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Avyanna Salvatore

«Wir sind in einer halben Stunde vor Ort. Wie ist die Lage?», frage ich, als mich Lucius, einer meiner besten Kapitäne, anruft.
Ich flüstere zu Leandro, der neben mir Auto sitzt: «Seine Division beobachtete das Lager.» Ich stelle das Telefonat auf laut, so dass Leandro und Cassian, die mit mir im Auto sitzen, mithören können.

«Bisher ist alles ruhig», antwortet Lucius durch die Handylautsprecher. «Nur nachts haben wir Bewegungen feststellen können, jedoch ist das Grundstück ziemlich groß und die umliegenden möglichen Verstecke äußerst begrenzt, wie Sie wissen.» Er räuspert sich. «Ohne Sie beunruhigen zu wollen, muss ich ihnen erneut mitteilen, dass auf uns alles warten könnte.»

Ich ignoriere seine Warnung, schließlich bin ich mir dem selbst bewusst. Stattdessen konzentriere ich mich aufs Wesentliche. Angstmacherei nützt uns nichts, Vorbereitungen schon. «Um welche Art von Bewegungen ist die Rede?»
«Zwei meiner Männer berichteten, sie haben drei oder vier Gestalten im angrenzenden Wald gesehen. Außerdem habe eine Frau zwei Kinder, vielleicht auch Jugendliche, an einem See gesehen. Doch als sie näherkam, seien sie geflohen.»

«Also stehen unsere Chancen gut, dass es sich um ein Menschenlager handelt?»
«Ja, es deutet alles darauf hin.»
Zufrieden lächle ich. «Hoffen wir, dass das stimmt.»

Mehrere Sekunden bleibt es still, dann seufzt Lucius schwer. «Miss Salvatore, ich muss Ihnen etwas berichten, selbst wenn ich dafür bestraft werden sollte.»
Mein Lächeln verblasst. Leandro tauscht mit mir einen beunruhigten Blick aus. Schwer schlucke ich. «Sprich.»

«Ich-» Lucius stockt. «Ich bin drogensüchtig.»

Ich schnaube. «Verdammt, du willst mich doch verarschen!» Ich presse meine Lippen zusammen, atme tief durch. Nicht ausrasten. Nicht ausrasten. Ein und ausatmen. Meine Hand klammert sich um mein Handy, während die andere sich zu einer Faust ballt. Einatmen, dann ausatmen. «Scheiße, Lucius!», zische ich. «Du standest kurz vor einer Beförderung und jetzt muss ich dich zum Soldat runterstufen! Ist dir eigentlich bewusst, was du getan hast? Verdammt nochmal, du Idiot!»

Das mit dem nicht Ausrasten sollte ich nochmal üben.

Leandro sieht mich mitfühlend an, als er seine warme Hand auf meinen Oberschenkel legt. Tief atme ich durch und versuche die aufkeimende Wut zurückzudrängen. Aus zusammengepressten Zähnen presse ich hervor: «Wieso, zur verdammten Hölle, hast du mir das gesagt?»

Lucius räuspert sich. Seine Stimme klingt angeschlagen, als ständen Tränen in seinen Augen, als er zugibt: «Ich habe gestern Nacht nicht widerstehen können.» Er beeilt sich hinzuzufügen: «Ich schwöre, ich habe nicht viel genommen! Kaum etwas, um genau zu sein.» Er schluckt schwer. «Aber dann, als ich raus in die frische Luft ging, da glaube ich-» Er stockt. «Ich glaube, ich habe ein Licht gesehen.»

Cassian, der den Wagen fährt, schaut über den Innenspiegel zu uns nach hinten. Seine Augen sind zusammengekniffen, haben etwas befremdlich Nervöses an sich.
Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. «Ein Licht?»
«Um genauer zu sein, Autoscheinwerfer.»

Leandro und ich wechseln einen vielsagenden Blick. Keiner traut sich das Offensichtliche auszusprechen, die richtigen Fragen zu stellen. Lucius erübrigt uns das Fragenstellen, als er herausrückt: «Ich glaube, dass gestern Nacht Vincenzo oder einer seiner Helfer auf dem Gelände war.»

«Fuck», flucht Cassian.

«Doppelfuck», stimmt Leandro zu.

Abwesend nicke ich, als mein Leben an meinen Augen vorbeizieht. «Dreifachfuck.»


Zwanzig Minuten später, wähle ich zum fünften Mal in zwei Stunden Sergios Nummer. Aufgrund von Sicherheitsgründen haben Sergio und ich uns geeinigt, in verschiedenen Autos zu fahren.

Sergio nimmt beim ersten Klingeln ab. «Ja?» Dieses kurze Wort genügt, um zu verdeutlichen, wie gereizt er ist.
«Sind alle Kapitäne über Code Orange informiert?» Oder andersgesagt: Sind alle Kapitäne informiert, dass Vincenzo vermutlich Unheil auf dem Grundstück getrieben hat? Bisher gibt es keine Hinweise, dass er sich dort derzeitig aufhält, da man davon ausgeht, dass er eine Truppe als Verstärkung dabeihätte, jedoch könnte er andersweit Fallen aufgestellt haben. Ich hoffe nur, dass die Menschen, falls es dort welche geben sollte, noch leben.

«Ja, alle sind informiert und mit Waffen sowie Funkgeräten ausgerüstet», sagt Sergio übers Handy. «Ich habe alle darüber in Kenntnis setzen lassen, dass sie bei der kleinsten Bewegung, bei dem kleinsten Geräusch über das Funkgerät eine Warnung aussprechen sollen. Zudem habe ich verkünden lassen, dass nun nicht mehr in Zweierpaaren, sondern in mindestens Dreiergruppen das Grundstück abgesucht wird, wie Leandro vorschlug.»
«Ausgezeichnet, danke dir.»

Sergio atmet scharf ein und schwer aus. «Ich kann es noch immer nicht fassen, dass ich jetzt auch noch Ersatz für Lucius suchen muss. Es kann es doch nicht sein, dass wir so viele Kapitäne ersetzen müssen!» Er knirscht mit seinen Zähnen. «Wie konnten wir im Unklaren darüber sein, dass Lucius drogensüchtig ist? Wir hätten das wissen müssen.»

Cassian sieht über den Rückspiegel zu uns nach hinten, seine Lippen aufeinandergepresst, Sorgenfalten auf der Stirn. Seine Augen sind dunkel, kein Glanz in ihnen. Wie Cassian mache auch ich mir Sorgen um Sergio und auch um meine Mafia. Wir haben uns noch immer nicht für einen Ersatz für Casper und für Jason entschieden und nun benötigen wir noch einen weiteren Kapitän? Es wäre schlimm genug, zwei Kapitäne gleichzeitig anlernen zu müssen, aber mit drei neuen Kapitänen wird die meiste Arbeit auf Sergio und mich zurückfallen – dabei hatten wir beide seit Najadas Tod kein freies Wochenende, höchstes Mal einen freien Tag.

Leandro beißt sich auf die Unterlippe. «Theoretisch könnten fünf meiner Kapitäne euch aushelfen. Man könnte zumindest ein Teil der anstehenden Arbeit auf sie verteilen.»

Ich lege meinen Kopf schief, als meine Stirn sich runzelt. «Das können wir in Betracht ziehen, allerdings ist fraglich, wie Ronaldo darauf reagieren wird.» Denn, wenn Leandros und meine Mafias anfangen direkt zusammenzuarbeiten – nicht nur zusammen zu kämpfen -, dann könnte das den Eindruck erwecken, dass wir unsere zwei Familias zusammenlegen wollen. Das würde zu Aufruhr führen, insbesondere, da es sich nur um wenige Tage handelt, bis ich mit Miguel verheiratet bin. Bei dem Gedanken verziehe ich mein Gesicht.

«Ja, das befürchte ich auch», stimmt Leandro missmutig zu. «Aber irgendwie muss ich doch helfen können.» Sein Blick schweift aus dem Fenster, sein Kiefer ist angespannt und zieht eine scharfe Kontur.

Dankend lege ich meine Hand auf Leandros, wodurch er mit geweiteten Augen zu mir dreht. Sein Blick fällt auf unsere Hände, dann auf meine Augen. Dankend lächle ich ihm zaghaft zu. «Wir werden bestimmt eine Lösung finden, aber zuvor müssen wir uns anderen Problemen stellen.» Kurz drehe ich meinen Kopf wieder nach vorne und blicke auf das Navi, welches anzeigt, dass wir in wenigen Minuten unser Ziel erreichen würden.

Anschließend wende ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Leandro, mein Fels in der Brandung. Er entgegnet mein Lächeln schwach, während er seine warme Hand mit meiner verschränkt. «Zusammen werden wir eine Lösung finden. Sowohl für heute, wie auch für morgen und alle Tage, die folgen.»

Sergios Stimme erklingt: «Wenn ihr das nächstes Mal Süßholz raspelt, tut mit den Gefallen und legt vorher auf.»


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Sorry, dass die letzten Kapitel nicht allzu spannend sind, aber das nächste Kapitel wird wieder etwas ereignisreicher :)

Was denkt ihr, wird sie auf dem Grundstück erwarten?


Mafia Romance 2 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt