26.

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So...ich schiebe die ganze Sache schon zu lange vor mir her.
Unruhig laufe ich in meinem Zimmer auf und ab und warte darauf, dass Sibel und ich alleine sind.
Meine Cousine bäckt in der Küche gerade noch irgendwas für ihre Freunde, mit denen sie sich dann trifft oder so.
Scheiße...ich muss meine Gedanken ordnen.
Paco meinte, ich solle mit Sissy einfach über das Problem reden. Als er das sagte, klang es so einfach und jetzt, wo ich mich endlich dazu aufraffen will, da bekomme ich Panik.
Okay...was ist das Schlimmste, was passieren kann? Ein Streit? Werden wir uns anschreien?
Sissy ist in meiner Gegenwart noch nie laut geworden und ich frage mich, wie es bis jetzt so problemlos laufen konnte.

Irgendwann reicht es mir. Ich muss es jetzt klären oder nie. Ich gehe also in die Küche, um vorher noch etwas zu trinken. Zum Glück hat Esmeralda aufgeräumt und man riecht nur noch, dass hier gerade noch gebacken wurde.
Scheiße, ich bin furchtbar nervös!
Zitternd hebe ich das Glas an die Lippen und trinke langsam. In dem Moment betritt Sibel die Küche und ich nehme all meinen Mut zusammen und frage: „Hast du gerade Zeit?"
Sie nickt und setzt sich gegenüber von mir an den Tisch.
„Tschüss Leute, ich mache los", Me steckt nur kurz den Kopf zur Tür rein und ich winke ihr zu.
Kurz darauf höre ich, wie sie die Wohnung verlässt und mich und Sissy alleine lässt.
„Also....um was geht es?", fragt Sibel, wie immer ziemlich neutral.
Ich hole tief Luft: „Ich...ich habe nachgedacht."
Sie zieht eine Augenbraue in die Höhe und fragt: „Ach so...und über was?"
„Über dich..."
Sie sieht mich erstaunt an und fragt: „Wieso? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?"
Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll...
„Nicht direkt", sage ich und sie sieht mich skeptisch an.
„Du...ach Mist...", beginne ich und Sissy sieht mich durchdringend an.
Okay...einfach gerade raus.
„Als du mir von deinem Freund erzählt hast...beziehungsweise, als ich wusste, dass du jemanden hast, da habe ich mich natürlich erst für dich gefreut...ist ja klar. Aber als du dann sagtest, dass er so alt ist, da...da hatte ich schon meine Zweifel."
Ich beginne abwesend an meiner Nagelhaut zu kaupeln, doch als ich das merke, höre ich sofort auf.
Sissy sieht mich gequält an und ich fahre fort.
„Ich finde...naja...fünf...vielleicht auch sechs Jahre Altersunterschied mögen ja noch in Ordnung sein. Aber was hast du gesagt? Er ist siebenundvierzig? Das sind dreißig Jahre! Und wenn du mir jetzt mit der Tour kommst: Ja...ich liebe ihn so und er ist so ein toller Mensch, dann kann ich dir das nicht so richtig glauben. Weil...ich habe diesen Typen gesehen und Sibel, glaub mir...der vögelt hinter deinem Rücken mit seiner Mitbewohnerin. Was denkst du überhaupt, wieso die zusammenwohnen? Die sind nicht bloß gute Freunde. Wenn ich dir einen Rat geben dürfte?" Ich mache eine Pause, um Sibel anzusehen, die sich jedoch nicht bewegt und geradewegs an mir vorbeisieht. Als sie sich immer noch nicht regt, fahre ich fort: „Bitte beende die Beziehung. Das ist nicht gut, bitte glaube mir. Das.Hat.Keine.Zukunft."
Sibel ist ruhig und sieht immer noch an mir vorbei. Mit einem Mal verdüstert sich ihr Blick, sie zieht die Augenbrauen in die Höhe und sagt: „Ach...so denkst du darüber?"
Ich zucke mit den Schultern, lasse sie weiterreden.
„Aber weißt du was, Belle? Deine Meinung ist mir scheißegal! Ich tue das, was ich für richtig empfinde. Du musst glauben, dass ich vollkommen bescheuert bin oder so, sonst würdest du dich doch nicht so aufführen. Mir ist klar, dass nicht jeder Marcos und meine Beziehung als richtig empfinden würde. Aber ich fühle mich bei ihm wohl und er behandelt mich gut. Nicht so, wie Florian damals. Aber sag mal...hattest du eigentlich auch ein Problem mit ihm? Obwohl...Florian ist ja so alt wie ich...das heißt, dass fandest du in Ordnung...interessant..."
So habe ich sie noch nie erlebt.
Ich schnappe erstaunt nach Luft, will was erwidern, doch da redet Sibel schon weiter und wird mit jedem Wort lauter: „Ich glaube nämlich, dein Problem ist, dass du eifersüchtig bist. Du willst alle Personen in deinem Umfeld nur für dich haben und mit niemandem teilen. Bei dir dreht sich alles nur um dich. Ich musste dir bei deinem Gelaber über Rick zuhören und habe dich sogar unterstützt und jetzt bin endlich mal ich dran! Freu dich doch für mich, dass ich jemanden gefunden habe, der mich liebt."
„Der dich liebt...die Frage ist aber: Liebst du ihn oder sehnst du dich nur nach „väterlicher" Liebe? Du kannst nichts dafür, dass dein Dad damals abgehauen ist, aber du brauchst dir jetzt niemanden suchen, der dich so behandelt, wie es dein Vater damals hätte tun sollen."
Auch meine Worte kommen lauter raus, als beabsichtigt und als ich meinen Satz zu ende bringe, muss ich erstmal Luft holen.
Sibel schweigt mich an und ich setze an, um noch etwas zu sagen, da hebt sie ihre Hand: „Sei still. Sag einfach nichts mehr." Ihre Stimme ist monoton und ihr Blick ins Leere gerichtet.
Das ist unser erster richtiger Streit und ich weiß nicht, wie ich das finden soll.
Langsam stehe ich auf, um die Küche zu verlassen. Ich muss hier raus!

Schnell packe ich all meine wichtigen Sachen zusammen in meine Tasche und meinen Rucksack, ehe ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen lasse, um zu sehen, ob ich auch wirklich alles habe.
Dann betrete ich den Flur, schließe die Tür hinter mir ab und stecke den Schlüssel in meine Jackentasche. Als ich an der Küche vorbeikomme, sitzt Sibel immer noch regungslos da und starrt ins Nichts.
Ohne etwas zu sagen verlasse ich die Wohnung und gehe durch das Treppenhaus nach unten.
Ich tippe eine Nachricht an Me, um ihr zu sagen, dass ich heute nicht in der WG schlafe und mache mich dann auf den Weg.

Als ich unser Viertel verlasse, beginnt es auch noch zu regnen und ich muss mich zusammenreißen, um nicht frustriert aufzuschreien. Scheiße.
Nach den gefühlt längsten fünfzehn Minuten meines Lebens stehe ich endlich da, wo ich hinwollte.
Ich wäre ja nach Hause gegangen, aber Ben hat geschrieben, dass er und unsere Eltern gerade irgendwo außerhalb der Stadt sind. Also stehe ich vor Pacos Tür.
Meine Sachen sind komplett durchgeweicht und generell will ich mich gerade glaube lieber nicht ansehen.
Ich will gerade klingeln, da öffnet sich die Tür und vor mir steht Willy, der mich besorgt ansieht.
„Hey, Belle. Was ist denn mit dir passiert?", fragt er, sieht zuerst gen Himmel und zieht mich dann zu sich ins Treppenhaus. Ich schniefe und sage nur, dass ich zu Paco muss. Willy nickt und schließt die Wohnungstür auf.
„Paco ist gerade noch unterwegs, müsste aber jeden Moment kommen. Kann ich dir was anbieten?", fragt Willy, als wir in der Küche sitzen und ich sage, dass ein Tee nicht schlecht wäre. Also steht er auf, um den Wasserkocher zu befüllen und als das Rauschen einsetzt, stütze ich meinen Kopf auf die Hände und beginne wieder, zu schluchzen.
Nach einigen Minuten, in denen ich so dasaß, bemerke ich, wie Willy die Tasse vor mir abstellt und sich gegenüber von mir am Tisch niederlässt.
„Also...willst du es mir jetzt sagen?", fragt er mit ruhiger Stimme und ich zucke mit den Schultern, ehe ich Luft hole.
„Sibel, eine meiner Mitbewohnerinnen, und ich wir...wir haben uns gestritten", ich schniefe, „Wir haben uns noch nie gestritten", füge ich hinzu.
Als ich in das Gesicht des blonden Typen sehe, merke ich, dass er total überfordert mit der Situation ist. Trotzdem reicht er mir eine Decke, in welche ich mich sofort einkuschele.
Dann lächelt er mich unsicher an: „Sorry Belle. Ich kann dir vielleicht gerade noch einen Tee kochen...aber in sowas wie Ratschläge geben...bin ich...naja...eher nicht so gut."
Ich winke ab: „Schon okay. Es reicht, wenn du einfach hier bist und mir Gesellschaft leistest."
Er nickt und gießt sich ein Glas Wasser ein.

Nach einer Weile, in der ich zu viel geweint habe und Willy einfach nur neben mir saß und mir über den Rücken gestrichen hat, höre ich die Wohnungstür.
„Draußen schüttet es ja immer noch wie aus Eimern und ich Depp bin im T-Shirt los...", beginnt Paco und steht Sekunden später, mit klatschnassen Sachen, in der Küchentür und sieht mich mit entsetztem Blick an.
„Belle", mein Name ist nicht mehr als ein Flüstern, schnellen Schrittes kommt er auf mich zu und nimmt mich in seine starken Arme. Mir entweicht ein Schluchzen, ehe ich meinen Kopf an seiner Schulter ablege. Willy steht kurz ratlos da, dann wendet er sich der Spüle zu.
„Komm'", sagt Paco nach ein paar Sekunden, nimmt meine Hand und führt mich in sein Zimmer.

Wo die Liebe hinfällt... (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt