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„Äh...hi?", sage ich und mustere den Typen immer noch skeptisch.
„Hey", sagt er und sieht mir direkt in meine Augen.
„Was machst du hier?", frage ich, als ich mich endlich von seinen dunklen Augen reißen kann und meine Stimme wiedergefunden habe.
Ein verlegenes Lachen überkommt seine Lippen und ich muss automatisch schmunzeln.
„Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Kann ich...kann ich vielleicht reinkommen?", fragt er und ich reiße erstaunt die Augen auf.
Als ich nichts antworte deutet er mit dem Finger hinter sich: „Es regnet ziemlich stark und ich habe mich...naja...irgendwie verlaufen."
„Na-na-türlich", stottere ich und deute auf den Küchentisch. Er zieht neben der Tür die Schuhe aus und betritt das Haus.
„Setz dich doch", der Typ nickt und mein Puls beginnt, sich zu erhöhen, als er an mir vorbeigeht.
„Willst du...äh...soll ich dir vielleicht einen Tee oder so machen?", frage ich und krame im Schrank nach der Packung mit Apfeltee, meinem absoluten Favoriten.
„Gerne", sagt er und räuspert sich, als ich mich nach oben strecke, um die Schachtel herauszunehmen. Dann setze ich das Wasser im Kessel auf und stelle zwei Tassen raus.
Ich hoffe, dass meine Familie nichts davon mitbekommt und in Ruhe weiterschlafen kann.

„Also...was...was machst du hier?", hoffentlich merkt man mir meine Skepsis nicht an.
„Ich habe mich verlaufen", verwundert ziehe ich die Augenbrauen in die Höhe.
„Okay, ich erkläre es vielleicht anders...", eine kurze Pause, „...ich bin mit einem Kumpel zelten und wir sind vor knapp einer Stunde noch durch den Wald gelaufen, weil wir...naja...wir mögen es halt, im Dunklen durch die Gegend zu spazieren", er zuckt mit den Schultern.
Ich nicke und frage: „Und weiter?"
„Naja...und wie sollte es anders sein? Wie im schlechten Film ist er an der einen Kreuzung wahrscheinlich in die eine Richtung gegangen und ich in die andere. Nur blöd, dass ich das erst knapp zwanzig Minuten später gemerkt habe."
Ein Lächeln umspielt seine Lippen und ich muss auch lächeln.
„Also...wie heißt du?", fragt er und ich sage ihm meinen Namen und frage ihn nach seinem.
„Paco", ich reiße erstaunt die Augen auf.
„Meine Familie hat bis vor ein paar Jahren noch in Spanien gelebt", erklärt er und ich nicke.
„Und was hat euch hier her geführt?", frage ich und er holt tief Luft.
„Mein Papá hatte ein gutes Jobangebot bekommen und da er sonst immer hin und her fliegen hätte müssen, sind wir hierher gezogen."

Ich nicke: „Du sprichst aber ziemlich gutes Deutsch."
Paco nickt und sagt: „Ich habe schon seit einigen Jahren Unterricht."
„Ich kann auch ein wenig Spanisch", sage ich schüchtern und er sieht mich erstaunt an.
Ich nicke: „Sí, mi nombre es Belle y tengo diecisiete años."
„Muy bien", lobt er mich und ich grinse ihn an, das erste Mal seit Tagen, dass ich es wieder tue.

„Du siehst nicht gerade glücklich aus", stellt Paco fest, nachdem wir ein paar Minuten lang geschwiegen haben.
Ich nicke. Soll ich ihm wirklich diese Geschichte antun?
„Na komm' erzähl' schon", fordert er mich lächelnd auf.
Ich schnaufe und deute auf die Couch. Er folgt mir und wir lassen uns nebeneinander nieder.

„Liebeskummer?", fragt er und ich nicke.
„Also...er heißt Rick und wir kennen uns schon ungefähr drei Jahre."
Paco nickt: „Okay..."
„Und letztens, vor ungefähr einem Monat sind wir uns eben näher gekommen und waren dann schließlich bis vorletzte Woche zusammen."
Er reißt die Augen auf und ich nicke.
„Und wieso habt ihr euch getrennt?"
„Pff", ich muss stark die Tränen unterdrücken, als ich an den bescheuerten Grund denke.
„Vielleicht ist es die ganze Situation. Wir waren die ganze Zeit sowas wie beste Freunde und letztendlich habe ich mich...naja...irgendwie in ihn verliebt." Ich zucke mit den Schultern.
Paco nickt wieder und ich erzähle weiter, wie wir dann schließlich zusammengekommen sind und uns wieder getrennt haben.

„Wow...und das ist alles im vergangenen Monat passiert?", fragt er und fährt sich durch das dunkle Haar. Ich nicke.
„Ay Díos mío!", schnauft Paco und ich weiß, dass es übersetzt: Oh mein Gott, heißt.
„Aber komm' nun erzähl' doch was über dich. Wenn ich weiter über die Vergangenheit nachdenke, muss ich wieder weinen." Ich versuche mir ein Lächeln abzuringen und zum Glück fällt Paco sofort etwas ein.
Er berichtet von seiner Schwester, die schon zwölf ist und Chiara heißt. Von seiner Oma, die besonders gut kochen kann und einen Wettbewerb im Fluchen gewinnen könnte. Seinen Opa hat er nie kennengelernt. Die Jungs, mit denen er in der „Wildnis" unterwegs war, sind seine besten Freunde, die er in der Schule getroffen hat. Er erzählt von ein paar krassen Aktionen, die sein Kumpel Mo angezettelt hat und wofür sie dann alle nachsitzen mussten.

Wir quatschen noch eine ganze Weile und wieder fällt mir auf, wie hübsch Paco ist. Seine dunklen Haare liegen sanft an seinem Kopf und immer, wenn er lächelt, bilden sich Grübchen in seinen Wangen. Sein Kinn ist glattrasiert und als er merkt, dass ich ihn anstarre bewegen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Schnell wende ich meinen Blick ab und versuche mein Herz zu beruhigen, welches sich in der letzten Stunde fast totgehämmert hat. Ich war noch nie mit so einem heißen Typen alleine...
Rick war anders...
„Warum siehst du mich so an?", will Paco wissen und ich zucke zusammen.
„Äh...naja...ich darf dich nicht aus den Augen lassen, was ist, wenn du mich vielleicht genau in dem Moment umbringst, während ich gerade nicht hinsehe." Ich beiße mir auf die Lippe, um ein Lächeln zu verhindern und sehe Paco grinsend den Kopf schütteln.
„Glaub mir", beginnt er, „wenn ich dich hätte umbringen wollen, dann hätte ich das schon längst getan." Er grinst mich kopfschüttelnd an, als er meine aufgerissenen Augen sieht.
„Spaß. Ich werde hier niemanden umbringen", er macht eine Pause.
„Und schon gar nicht, ein so schönes Mädchen wie dich!"
In mir drinnen beginnt etwas zu kribbeln als er das sagt.
„Okay", sage ich und überlege, wie ich das Gespräch am Laufen halten könnte.
Da scheint Paco eine Idee zu haben und beginnt von irgendetwas zu erzählen, doch leider bekomme ich es nicht mehr mit, da ich längst ins Land der Träume abgetaucht bin. Mein Kopf sinkt an die Schulter, des mir nun nicht mehr ganz so fremden Jungen und ich atme seinen männlichen Geruch ein, bis ich schließlich einschlafe.

Wo die Liebe hinfällt... (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt