30.

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"Wo kann sie bloß sein?", frage ich in die Stille, die im Auto herrscht und sehe, wie mein Freund neben mir die Stirn runzelt.
"Weißt du...weißt du, wo ihr Freund wohnt?", sagt Paco und ich zucke zusammen. Stimmt...Marco...
Scheiße.
Ich schüttele den Kopf und spüre die Tränen in meine Augen steigen.
"Hey", mein Freund legt seine Hand beruhigend auf meinen Oberschenkel und ich sehe zu ihm rüber.
"Alles wird gut", sagt er beschwörend und ich schüttele den Kopf.
"Nein. Diesmal nicht", sage ich resigniert und hole mein Handy raus, um es nochmal bei Sissy zu versuchen.
Wieder nur die Mailbox.
Scheiße. Scheiße. Scheiße.
Ich schreibe eine Nachricht an Tina, um sie zu fragen, wo dieser Marco wohnt. Die Antwort kommt nach wenigen Minuten.
Scheiße. Die Adresse liegt irgendwo außerhalb der Stadt und ich habe keine Ahnung, wie man dorthin kommt.
Ich öffne die Navi App und klemme mein Smartphone in die Halterung über dem Radio.

Vielleicht hätte ich es einfach akzeptieren sollen, dass Sibel und dieser Assi zusammen sind. Dann wären wir jetzt nicht in dieser Situation. Dann wäre alles noch in Ordnung.
Wir fahren auf die Landstraße und ich bete zu allen Göttern, dass das hier ein Happy End hat.
"Wir...wir kommen hier nicht weiter", stellt Paco fest, als wir nach einigen Minuten vor einer Baustelle halten.
"Die war aber nicht ausgeschildert", regt er sich auf und auch ich drehe langsam durch.
Also setzt er zurück und muss erst ein ganzes Stück in die andere Richtung fahren, ehe er abbiegt.
Wir fahren und fahren und kommen schließlich in einem kleinen Dorf an, in dem ich zwar schon mal war, mich aber kaum daran erinnern kann, da es sicher schon Jahre her ist.
"Hier muss es sein", stellt Paco fest und hält vor einem runtergekommenen Wohnblock.
Ich runzle die Stirn und spüre mein Herz stark in meiner Brust schlagen.
"Okay...", ich schlucke, "...gehen wir rein."
Ich greife nach der Hand meines Freundes, als wir uns dem Haus nähern und will am liebsten weg, als ein alter, jämmerlich aussehender Mann an uns vorbeigeht.
"Aufgang 3", sage ich und sehe erst auf den schmutzigen Weg und dann zu Paco.
Die Tür ist angelehnt und mir dringt ein muffiger Geruch in die Nase.
Bitte Gott, lass mich träumen. Das darf nicht wahr sein.
Auf dem Klingelschild entdecken wir den Nachnamen dieses Marcos und beschließen ins Treppenhaus zu gehen.
Mit jeder Stufe, auf die ich trete, bekomme ich mehr Angst.
Eigentlich will ich weg. Aber ich muss Sissy finden und mit ihr reden.
Als wir die Wohnungstür erreichen, drängt sich Paco vor und drückt auf den Klingelknopf.
Man hört Schritte durch den Flur und ich spüre eine Gänsehaut auf meinen Armen.

Nach wenigen Sekunden öffnet sich die Tür und eine blonde Frau steht vor uns. Das muss Marcos' Mitbewohnerin sein. Sie sieht genauso schlimm aus wie Sissys Freund.
"Wer seid ihr denn?", will sie von uns wissen und ich ringe mir ein Lächeln ab.
"Ich...ich bin Belle", stottere ich und deute erst auf meinen Freund, ehe ich sage: "...und das...das ist Paco." Dieser sieht erst zu mir, dann zu der anderen Frau im Türrahmen.
"Und Sie sind?", frage ich dümmlich und sehe, wie diese Frau die Lippen zu einem Lächeln verzieht und ihre gelben Zähne entblößt.
"Ich bin Kathi", stellt sie sich vor und ich nicke.
"Was wollt ihr?", ihr Ton ist schroff und ich spüre ihre Angst...als hätte sie was zu verbergen.
Was.Ist.Das.Hier.Bitte?
"Ich...wir...wir wollten zu Sissy...zu...Sibel."
Kathi runzelt die Stirn, ehe sie in die Wohnung ruft: "Sissy, Süße, hier ist jemand für dich."
Okay, zumindest ist sie schon mal hier.
Ich sehe hinter dieser Kathi in den Raum und stelle fest, dass der Flur das pure Chaos ist. Auf dem Boden liegen Schuhe, T-Shirts und Hosen verteilt. Der Geruch nach alten Zigaretten dringt mir in die Nase und ich versuche, die Luft anzuhalten, schaffe es jedoch nicht lange.

Nach kurzer Zeit erscheint Sibel in meinem Blickfeld und für den Bruchteil einer Sekunde sehen wir uns nur an. Keiner sagt oder macht irgendwas. Es ist, als könne ich alles, was sie mir sagen will, in ihren Augen lesen.
"Belle?", sagt sie etwas abwertend und es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube.
"Können...können wir reden?", frage ich und glaube, zu leise gesprochen zu haben, denn Sibel reagiert nicht sofort.
Doch als sie begreift, reißt sie die Augen auf und schüttelt entschlossen den Kopf.
"Bitte", flehe ich, "wir können auch raus gehen. Einfach...nur wir beide."
Sibel schüttelt wieder den Kopf: "Vergiss es. Vergiss alles. Hätte ich gewusst, wie du wirklich bist, hätte ich es dir niemals gesagt. Alle reagieren so. Ich dachte...", Tränen beginnen ihre Wangen hinunter zu laufen und sie fährt fort, "...ich dachte, du bist anders. Ich dachte, du würdest mich verstehen."
Ich lache auf, verstumme aber, als ich bemerke, wie respektlos es eigentlich ist.
"Sorry", flüstere ich und sehe wie Sibel sich die Nase putzt.
"Lass mich in Ruhe. Solche Leute wie dich brauche ich nicht in meinem Leben!"
Achso...aber solche Leute, wie Marco und Kathi? Aber diesen Kommentar verkneife ich mir, denn das würde die Situation nicht besser machen.
"Es tut mir leid", flüstere ich und sehe, wie Sibel mich abwertend betrachtet.
"Das kannst du dir sparen", sagt sie leise und verschwindet wieder in dem Raum, aus dem sie gekommen ist.

Wo die Liebe hinfällt... (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt