2. Krankenhaustagebuch

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»Guten Morgen, Herr Held! Schön, dass Sie wieder bei uns sind.« Die Frauenstimme war mir unbekannt und nur meine Mutter oder Jana würden mir auf so vertrauliche Weise die Wange streicheln. Aber weder zu der Einen noch zur Anderen gehörte die Stimme. Vielleicht träumte ich auch? Ich fühlte mich seltsam schwerelos, als würde ich auf Wasser treiben. Mich treiben lassen. Ein schönes Gefühl. »Na? Bleiben wir munter?« Wir? Meine Lider waren schwer, der Mund trocken und im Hals verspürte ich ein seltsames Kratzen. Jemand wuselte um mich herum, machte sich an meiner Bettdecke zu schaffen. Hob sie an und strich sie wieder glatt. Dann gedämpfte Schritte und leise geführte Gespräche. Piepsen, leises Brummen und ein Telefon klingelte. Die Geräusche klangen seltsam. Sie hallten wie in einem leeren Raum wider.
Mühsam zwang ich die Augen auf, schloss sie sofort wieder. Das Licht war zu grell und schmerzte. Trotzdem hatte ich einen Blick auf die Umgebung erhaschen können und was ich gesehen habe, gefiel mir gar nicht. Weiße Bettwäsche, eine weiße Wand und eine Kanüle in meinem Arm. Krankenhaus. Eindeutig. Aber welche Station?

»Wenn Sie sich gut fühlen, können wir Sie etwas aufsetzen«, erzählte die Frau weiter. Ich wagte einen zweiten Blick. Blaue Kleidung sah ich und dass sich dessen Trägerin an einem Rollwagen zu schaffen machte. Wasser plätscherte leise. »In einer Stunde gibt es Frühstück. Wie wäre es dann mit einer Tasse Kaffee. Der schmeckt gar nicht so schrecklich, wie immer behauptet wird. Und dazu ein Toast? Aber vorher bringen wir Sie wieder zum Glänzen.« Ich gab nur ein unbestimmtes Brummen von mir. Widerspruch war zu anstrengend. Zumindest holte mich die Feuchtigkeit auf meiner Haut ein Stück weit mehr aus der Benommenheit.

Langsam kamen die Erinnerungen wieder, während ihr Reden an mir vorbei rauschte. Die Notaufnahme, die Untersuchungen und dann das Gespräch mit dem Arzt. »Flüssigkeit im Bauchraum«, hatte er gesagt. »Es ist im CT nicht klar erkennbar, woher sie kommt. Entweder Blinddarm oder Dickdarm. Aber wir werden es uns erstmal genauer ansehen. Die Kollegen machen Sie jetzt für den OP fertig.« Der Mann hatte mir Zuversicht vermitteln wollen, aber das war gründlich schief gegangen, insbesondere als während der Vorbereitung das Wort »Notfall-OP« gefallen war. Es muss mitten in der Nacht gewesen sein, als ich in den sterilen Raum gefahren wurde. »Sehen Sie sich ruhig um, Herr Held. Die meisten Patienten träumen schon, wenn sie hier hereingefahren werden.« Ein Maskengesicht hatte sich in mein Blickfeld geschoben und dann war es dunkel geworden.

»Ihr Lebensgefährte wird bestimmt am Nachmittag wieder nach Ihnen sehen«, erzählte die Schwester weiter. Damit hatte sie meine Aufmerksamkeit.

»Wer?«

Sie schien mein Erstaunen nicht zu bemerken. »Ein netter junger Mann. Aber leider dürfen Kinder nicht auf die ITS. Zumindest nicht in diesem Alter. Süße Kinder übrigens. Sie waren gleich am ersten Tag hier und haben Sachen bringen wollen, aber die werden Sie erst benötigen, wenn Sie auf der Station sind.«

Meine Gedanken hingen noch immer an dem einen Wort. Hatte sie meinen Nachbarn gemeint? Als mein Lebensgefährte? Langsam kam ich zur Überzeugung, dass es auf der Intensivstation erstaunlich gute Medikamente gab, die nicht nur den Patienten zur Verfügung standen.
Zumindest ging es mir wesentlich besser als in den vergangenen Tagen. Bis auf ein unbestimmtes Unwohlsein hatte ich keine Schmerzen. Aber ich fühlte mich träge und ausgelaugt.

»Die Physiotherapeutin macht nachher ihre Runde auf der Station und wird bestimmt auch nach Ihnen sehen, und dann ist auch noch Visite.« Ein weiteres Mal wurde meine Bettdecke glatt gestrichen. »Aber nun ruhen Sie sich erstmal richtig aus und kommen Sie an. Wenn Sie etwas brauchen, klingeln Sie, aber es ist immer jemand in der Nähe und schaut nach Ihnen.«
Dann war es still im Zimmer. Bis auf das Piepsen und Summen, die leisen Gespräche, die Schritte auf dem Flur und in dem Moment brummte die Blutdruckmanschette los. Die hatte ich bisher nicht bemerkt, ebenso wenig wie das, was links und rechts wie zusätzliche Extremitäten, wie Spinnenbeine von mir abgingen. Es waren Schläuche, wie ich feststellte, als ich die Decke etwas zur Seite schob. Einer für den Urin, drei weitere führten zu Drainagebeuteln. Ich fühlte mich wie eine Spinne, die in ihrem eigenen Netz gefangen saß. Zusätzliche Schläuche führten von meinem Hals zu einer medizinischen Anlage, die hinter meinem Kopf an der Wand angebracht worden war, und daneben stand ein Galgen, aber der war leer.
Das sind Notwendigkeiten, die auf meine Erkrankung zurückzuführen sind, wie ich mir sagte. Die werden verschwinden, sobald ich von der Intensivstation runter bin.
Sorgen machte ich mir nur wegen des Beutels, der wie ein übergroßer Egel an meinem Bauch hin. Seltsam weich und unförmig. Ein Anus irgendwas ... ein künstlicher Darmausgang. Davon hatte ich mal etwas gehört, aber mir nie vorstellen wollen, wie das tatsächlich aussieht. Die Krankenschwester hatte dazu auch nichts gesagt. Hatte sie es vergessen? Vielleicht war es auf Anweisung des Arztes oder es war so Usus, dass man Patienten im Dunkeln ließ. Hätte man nicht wenigstens eine Andeutung machen können? Oder hatte sie es erwähnt und ich hatte es nur überhört?

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