Julian war sauer. Ich musste ihn nicht ansehen, um es zu wissen. Allein schon, wie er den Rückwärtsgang einlegte, um aus der Parklücke herauszufahren, machte es deutlich.
»Du solltest nicht fahren, wenn du wütend bist«, wagte ich zu sagen und warf einen Blick über die Schulter auf Julia, die den Stein in den Händen drehte und dabei leise vor sich hin summte. Von Jakob wusste ich, dass er Kopfhörer aufgesetzt hatte und sich irgendwas auf meinem Handy ansah. Youtube oder ein Video, das ich mal runtergeladen hatte. »Können wir reden?«, fragte ich Julian und hoffte, dass es versöhnlich klang.
»Wir reden schon die ganze Zeit«, erwiderte er, legte den ersten Gang ein und ließ erstaunlich ruhig das Auto anrollen. Ich hatte anderes erwartet und mir Sorgen gemacht. Berechtigt oder nicht. Ich hätte wissen müssen, dass Julian niemand war, der hirnlos lospreschte. Er war der Besonnene und Ruhige.
Im Grunde war er das Gegenteil von mir. Obwohl er um einige Jahre jünger war, war er der Erwachsenere. Oder eher der Erwachsene. Ich reagierte zu spontan, aufbrausend und überlegte erst, wenn die Kacke am Dampfen war. Kindisch halt.
»Bei allem, was mit deiner Mutter zu tun hat, wirst du trotzig«, bestätigte er meinen inneren Monolog.
»Ich komme einfach nicht dagegen an«, versuchte ich, mich herauszureden. »Wenn sie über dich herzieht, brennen bei mir die Sicherungen durch. Wie kann ein Mensch nur so verbohrt sein? Warum ...«
Ein leises Pfeifen war zu hören, was mich aus dem Konzept brachte.
»Du tust es schon wieder, Lukas. Du steigerst dich rein«, stellte Julian fest, den Blick auf die Fahrbahn und die Autos vor uns gerichtet. »Und du musst mich nicht verteidigen. Das kann ich ganz gut allein. Und wenn du ehrlich gewesen wärst, würde ich mich nicht schon wieder aufregen, deine Mutter wäre die liebste Frau der Welt und du ...« Mit einer Hand schlug er aufs Lenkrad. Erschrocken zuckte ich zusammen, als die Hupe einen gequälten Laut von sich gab und auch Julia sah sich alarmiert um.
»Was war das?«, rief sie.
»Ich bin nur auf die Hupe gekommen«, beruhigte Julian sie. »Weil jemand mich ärgert.«
»Ein anderes Auto?«
Julian sah mich kurz an und wandte dann wieder den Blick der Fahrbahn zu. »Ja.«
Die restliche Fahrt war vergleichbar mit der Reise zur Hölle. Es wurde nur das Notwendigste gesprochen und insgesamt war die Stimmung angespannt. Die schlechte Laune hing wie grüner Mief im Fahrzeug, der erst verflog, als wir in die Straße einbogen.
Julian half mir beim Hochtragen des Gepäcks und blieb dann in der Wohnungstür stehen, während ich Julia aus den Wintersachen half. »Die Autoschlüssel liegen auf dem Schuhschrank«, sagte er, hob grüßend eine Hand, winkte Julia und griff dann nach der Klinke, um die Tür zuzuziehen.
Das gefiel mir nicht. Aber ich hätte auch nicht genau sagen können, warum ich nicht wollte, dass er sie schloss. Ich hatte nur das Gefühl, dass damit etwas enden würde, was unwiederbringlich war. Unsere Freundschaft. Denn über ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis waren wir schon lange hinaus.
»Hast du nachher etwas Zeit?«, fragte ich, bevor die Tür ins Schloss fiel. Sie verharrte. »Ich kümmere mich nur schnell um die Kinder, dann komme ich rüber. Wenn es okay ist.«
Ein unbestimmtes Brummen war zu hören, was genausogut ein tiefer Seufzer hätte sein können und mit dem Klacken der sich schließenden Tür verstummte.Sofort waren die Zweifel da, ob ich Julian zum Bleiben hätte bewegen sollen. Ihm einen Kaffee anbieten oder so. Aber andererseits war es bestimmt sein Wunsch, so schnell wie möglich in seine Wohnung zu kommen. Zumindest mir erging es immer so, wenn ich nach einigen Tagen wieder das Haus betrat.
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Kirschhelden
RomanceFür Lukas Held bricht die Welt zusammen: Seit Tagen schleppt sich der Witwer mit Schmerzen herum und plötzlich geht nichts mehr. Er muss ins Krankenhaus. Aber was soll mit seinen Kindern geschehen? Weil er sich nicht anders zu helfen weiß, bittet er...