22. Überraschung!

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Dass das Jahr voranschritt, merkte ich an den Blumen oder besser gesagt: am Sortiment im Geschäft. Waren es noch im alten Jahr kleine Töpfe mit Klee und dekorativem Schornsteinfeger aus Pfeifenputzer, die mir förmlich aus den Händen gerissen wurden, wollte man im neuen Jahr davon nichts mehr wissen. Von einem Tag auf den anderen waren Frühlingsblüher angesagt. Insbesondere die leuchtenden Farben der Primeln und Tulpen hatten es den wintermüden Menschen angetan. Das zog sich bis Ende Januar hin, dann nahm ich immer mehr Bestellungen für Februar an. Für die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Der Valentinstag. Gefühlt jede und jeder pflichtbewusste Verliebte, Verlobte und Verheiratete rannte mir die Tür ein, um das zu Hause hockende Gespons mit einem Strauß oder Gesteck zu überraschen. Selbstverständlich sollte es Rosa oder Rot sein, mit Herz und Glitzer und großer Schleife. Vermutlich wurde noch irgendwo eine Schachtel Pralinen gekauft oder irgendein Schmuckstück, als Symbol für die ewige Liebe. Und alles wollte dann bei Kerzenschein und sanfter Musik überreicht werden. Ganz großartig und besonders romantisch.
Dass die Aussicht auf ein solches Idyll nicht für alle Menschen machbar war, merkte ich am eigenen Leib. Aber was hatte ich auch anderes erwartet, nachdem ich Lukas die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Wer verlangte schon einen Kuss, nur um sich etwas wertgeschätzt zu fühlen. Vielleicht hatte auch etwas Hoffnung mit hineingespielt. Aber die hatte ich nicht mehr. Wie seine Mutter zeigte er, was er von mir hielt. Sie war wenigstens so ehrlich und hatte es mich spüren lassen. Lukas hingegen hatte viele schöne Worte, die nur heiße Luft waren.
Das Silvester-Raclette, zu dem er mich schon vor dem ganzen Desaster eingeladen hatte, war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hatte. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich mir mal lieber eine Ausrede einfallen lassen sollen. So steif und still hatte ich Lukas noch nie erlebt. Als hätte er einen Stock im Arsch. Auf direkte Anrede reagierte er zurückhaltend und ausweichend und sogar simpler Smalltalk war wohl zu anstrengend für ihn. Einzig Julia und Jakob verhinderten, dass der Abend eine Katastrophe war. Sie waren es auch, um die es mir leidtat, als ich mich nach dem Essen verabschiedete. Meine Ausrede war ein langer Arbeitstag, auch wenn es nicht so war. Ich war schlicht und einfach müde, aber das hing nur wenig mit dem Stress in der Arbeit zusammen. Es war einzig Lukas. Mit seiner Ablehnung raubte er mir die Kraft und die nahm er mir noch nach einem Monat.
Das einzig Gute war, das mir die Vorbereitungen für den Valentinstag keine Zeit zum Nachdenken ließen und am 14. war es ganz schlimm. An dem Tag gaben sich die Kunden die Klinke in die Hand und erst als ich zum Feierabend die Tür abschloss und das Schild auf »geschlossen« drehte, konnte ich durchatmen. Das war auch der Moment, in dem ich zum ersten Mal an diesem Tag mehr als nur Blumen und Grün wahrnahm. Ich hörte ein seltsames Summen und dachte im ersten Augenblick an einen dicken Brummer, bis ich begriff, dass es mein Handy war. Das hatte ich neben der Kasse abgelegt, weil es mich in der Hosentasche störte. Der Name von Henry leuchtete mir auf dem Display entgegen.
»Was willst du?«, maulte ich statt einer Begrüßung ins Telefon.
»Ich wünsch dir auch einen fröhlichen und blumenreichen Tag der Verliebten«, flötete Henry übertrieben gut gelaunt. »Vergiss nicht: heute abend, neun Uhr im Club.«
Ich verdrehte die Augen. »Kein Bock. Mein Tag war scheiße. Der letzte Kunde ist grad raus und ich muss noch aufräumen.« Ich sah mich im Laden um. »Sieht aus wie Kraut und Rüben.«
Henry kicherte. Entweder der Kerl hatte tatsächlich so gute Laune oder er hatte irgendwas genommen. »Du arbeitest in einem Blumenladen. Da darf es schon mal wie auf einem Feld aussehen.«
Ich kniff nun die Augen zu und atmete tief durch. »Henry, mein kleiner Mausepups«, flötete ich nun ebenfalls. »Du bist ne Nervensäge, die noch nicht mal weiß, was der Unterschied zwischen einem Rübenacker und einem Tulpenfeld ist.«
»Die einen wachsen früher, die anderen später und beide sind nicht zum Verzehr geeignet«, belehrte er mich. Vermutlich mit erhobenem Zeigefinger. »Also das Zeug, was drauf wächst, auf den Feldern«, präzisierte er.
Henry war anstrengend, wenn er so gut drauf war. Dann war sein Kopf voller Flausen und Blödeleien. Nichts, was ich heute verkraften konnte.
»Ich habe wirklich keine Lust auf Party«, kam ich auf den Grund seines Anrufs zurück und es klang verdammt nach jammern. »Ich bin müde und erledigt und will nach Hause.«
Nun verlegte Henry sich aufs Betteln. »Ach komm doch! Ich hab ne Überraschung.«
»Eine Überraschung am Valentinstag«, fasste ich seine Aussage zusammen und zog meine Schlüsse. »Du willst mir deinen neuen Stecher vorstellen.«
Ein leiser Ton war von Henry zu hören, was ein Seufzen oder auch ein Schluckauf hätte sein können. »Angeben«, sagte er schließlich. »Ich will mit dem Kerl angeben und das kann ich nicht, wenn du nicht da bist.«
»Was ist mit Basti und Max? Sind die nicht da?«
Ich konnte förmlich hören, wie Henry mit den Augen rollte. »Die kleben doch nur aneinander und kriegen überhaupt nichts mit. Für die beiden besteht die ganze Welt aus Regenbögen, Marshmallows und Zuckerwatte. Bei denen ist jeden Tag Valentinstag mit Herzchenaugen, Pralinen und Rosenblätter auf den Laken.«
Henry übertrieb. So extrem war das Pärchen nicht. Aber ich verstand ihn: Er war verknallt oder glaubte es zumindest. Und er wollte mich an seinem Glück teilhaben lassen. So gesehen war er sehr aufmerksam und rücksichtsvoll. Aber musste er es ausgerechnet heute sein? Morgen wäre auch noch möglich oder übermorgen. Irgendwann, aber nicht dann, wenn von allen Seiten Verliebtsein proklamiert wurde. Außerdem musste ich am nächsten Tag wieder früh raus.
»Ich bin müde und erledigt«, sagte ich ein weiteres Mal.
»Und du willst nach Hause«, setzte Henry meinen Satz fort. »Aber meine Überraschung ist eine Überraschung, die du schon kennst. So gesehen, hast du uns miteinander bekannt gemacht.«
Mir wäre fast das Telefon aus der Hand gefallen. »Du bist mit Tommy zusammen? Wie das?« Nun hatte er meine volle Aufmerksamkeit und das wusste Henry.
»Tschüss, bis später«, säuselte Henry und legte auf.


Das Licht im Club war gedämpft, mit einem Hauch von Rot oder Rosa. Nebel waberte über die Tanzfläche und elektrische Kerzen flackerten auf den Tischen. Es erinnerte mich an das Ambiente für einen Halloween-Abend, wenn nicht die Herz-Ballons wären, die überall verteilt waren und auch unter der Decke schwebten.
Der Club war gut besucht. Einige Paare bewegten sich auf der Tanzfläche, aber die meisten Gäste standen an der Bar. Henry entdeckte ich etwas abseits, in einer der gemütlichen Sitzecken. Er tippte auf seinem Handy herum und schien sich über etwas zu amüsieren.
»Wo ist nun dein Neuer?«, fragte ich und ließ mich neben ihm auf die Sitzbank fallen. »Und wo sind die Unzertrennlichen?«
»Bier holen«, erwiderte Henry und deutete in Richtung der Bar. »Und die Überraschung kommt später.«
»Du machst es aber spannend«, grummelte ich. »Dann hätte ich mir ja noch Zeit lassen können.«
»Dann hättest du Henrys gesamte Planung über den Haufen geworfen, wenn du nach seinem Liebsten gekommen wärst.« Max rutschte uns gegenüber auf die Bank, während Basti das Tablett mit den Biergläsern und Knabberzeug auf den Tisch stellte.
»Kennst du diese großen Showtreppen, wie sie in alten Filmen manchmal zu sehen sind, und wo die Schauspieler runterkommen?«, fragte er und setzte sich neben seinen Partner. »So einen Auftritt will er für ... Autsch!« Basti zischte schmerzerfüllt und funkelte Henry böse an. »Musst du immer so doll zutreten? Ich hätte schon nichts verraten.«
»Du hängst mit deinem Kopf manchmal so sehr in den Wolken, dass ich mir nicht sicher sein kann.«
»Er erzählt von nichts anderem mehr«, erzählte mir Max, als wäre Henry überhaupt nicht anwesend. »Es gibt für Henry kein anderes Thema. Mein Schatzi hier, mein Großer da, mein Held ...«
»Er ist da!«, wird Max von Henry unterbrochen. Nun war mir auch klar, warum er gerade diese Sitzecke gewählt hatte: Weil man von hier aus den besten Blick auf den Eingangsbereich hatte.
Nein, Tommy stand nicht dort und sah sich suchend um. Dafür war der Mann nicht klein und knubbelig genug. Aber er kam mir bekannt vor, ich wusste nur nicht, woher. Das Lächeln, das seine Mundwinkel hob, als er meinen Kumpel entdeckte, hatte ich schonmal gesehen, aber wo? Ich kam einfach nicht drauf und das nervte.
Neben mir zappelte Henry unruhig herum und stieß gegen meine Schulter, dass ich aufstehen und ihn vorbeilassen sollte. »Ist mir die Überraschung gelungen?«, fragte er mich leise und es klang irgendwie ehrfürchtig.
Ich schüttelte den Kopf. »Wer ist das, verdammt nochmal? Muss ich ihn kennen?« Aber das hörte er schon gar nicht mehr. Er war schon auf dem halben Weg seinem Helden entgegen und er himmelte ihn tatsächlich so an.
Max zwinkerte mir zu. »Falls es hilft: Henry spielt neuerdings liebend gern Rollenspiele. Du weißt schon: Räuber und Gendarm und so.«
»Inklusive Uniform und Handschellen«, ergänzte Basti. »Also die richtigen. Nicht die gepolsterten Plüschdinger.«
»Er ist Polizist?«, fragte ich und hatte noch immer keine Ahnung, woher ich den Mann kennen sollte. Vielleicht hatte ich ihn gesehen, als ich Tommy angezeigt hatte.
»Guten Tag, Herr Kirsch, oder darf ich Julian sagen?«, wurde ich angesprochen. In dem Moment rutschten alle Puzzleteile an ihren Platz, während Henry in Überbreite grinste und zwischen seinem Freund und mir hin und her sah.
»Hauptwachtmeister?« War gerade das einzige, was mir einfiel. Der Dienstgrad war wesentlich länger gewesen. Das wusste ich noch. Aber der Name war mir entfallen. Nun ja, die sind wie Schall und Rauch.
»Fast. Oberkommissar. Aber ist ja auch schon eine Weile her, als wir miteinander zu tun hatten.«
»Zwei Monate«, warf Henry ein. »Und du bist Schuld daran, dass wir uns über den Weg gelaufen sind. Oder es war das Schicksal, das mir die Vorladung geschickt hat.«
»Ja, das wird es gewesen sein«, murmelte der Oberkommissar, von dem mir noch immer nicht der Name einfallen wollte, und sah Henry an. Und allein schon dieser kleine Blick war ausreichend, um aus zwei vernünftigen Männern sabbernde Kerle zu machen. Mit denen war kein vernünftiges Wort mehr zu wechseln.
»Seit wann geht das schon so?«, fragte ich Basti und Max. »Ihr wisst schon, dass die beiden euch den Rang im Anhimmeln abspenstig machen?«

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