24. Wenn sich eine Tür schließt ...

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»Was sollte das denn werden?« Ich wischte mir über die Wange, während ich mit der anderen Hand hinter Holger die Tür schloss. »Wenn Henry das erfährt, bin ich einen Kopf kürzer.«

Holger – oder Holgi, wie Henry ihn nannte – ging voraus in die Küche, wo er ans Fenster trat und hinaussah. Muss wohl irgendein Polizistending sein: Erstmal die Umgebung sichern, bevor man sich entspannen kann.

Entsprechend locker fiel das Heben seiner Schultern aus, als er sich zu mir umwandte. »Wir wurden beobachtet«, erklärte er. »Neugieriger Nachbar, dem ich was bieten wollte. Er wird zwar nichts gesehen, aber dafür ausreichend gehört haben.«

»Ich hoffe nicht, dass es ein alter Herr mit Halbglatze war. Der hat ein schwaches Herz und ich will nicht an seinem Ableben beteiligt sein.« in Gedanken ging ich die anderen Mietparteien durch. Unter ihnen gab es vereinzelte, die mich abfällig musterten, wenn wir uns im Treppenhaus begegneten. Zu offener Feindseligkeit war es jedoch nie gekommen. Aber nach einer solchen Provokation ... Wer konnte schon sagen, wo die Akzeptanzgrenze lag? Vermutlich wussten es diese Personen nicht einmal selbst, bis Hass und Wut ihnen das Hirn vernebelten.

»Machst du dir Sorgen, dass es Probleme geben könnte?«

»Ich habe was gegen brennende Scheiße auf der Fußmatte und tote Ratten im Briefkasten«, gab ich zu und winkte ab. »Aber wem erzähle ich das? Du hast bestimmt schon eine ganze Reihe von Anzeigen auf dem Tisch gehabt, in denen Menschen beleidigt und angegriffen worden waren. Reduziert auf die Farbe ihrer Haut, ihrem Geschlecht und ihrer Orientierung.«

Holger zog sich einen Stuhl heran, setzte sich an den Küchentisch und bedeutete mir, mich ebenfalls zu setzen. Die Arme stützte er auf den Tisch und sah mich forschend an. »Ja, ich hatte schon einige solcher Anzeigen, die zu Unterlassungsklagen führten. Zumindest ein kleiner Teil von ihnen. Der große Teil verlief im Sande, weil nie geklärt werden konnte, wer der oder die Täter waren. Aber egal, was das Ergebnis sein wird: Jeder Angriff auf die Würde eines Menschen ist unverzeihlich. Er muss angezeigt und geahndet werden. Stillschweigende Duldung unterstützt nur die Sichtweise der Angreifer. Ist das klar?«

»Ich weiß das alles, Herr Oberlehrer«, erwiderte ich schnippisch. »Aber es ist noch immer ein Unterschied zwischen subtiler und offener Beleidigung. Wenn man in einer solchen Tretmühle gefangen ist, verschwimmt der Übergang. Wo endet das Eine und wo beginnt das Andere? Außenstehende können da schlecht mitreden.«

Holger lehnte sich zurück. Er wirkte nachdenklich und stieß schließlich ein unzufrieden klingendes Seufzen aus. »Wenn du meinst – nun gut. Aber wenn was sein sollte, ruf an. Egal, zu welcher Tages- und Nachtzeit.« Dabei zückte er Notizblock und Stift aus der Brusttasche seiner Schutzweste. Er kritzelte auf dem Papier herum und schob mir den abgerissenen Zettel herüber. Nach einem Blick auf seine Uhr erhob er sich. »Leider muss ich schon wieder los, hatte mich nur kurz abgemeldet, weil wir gerade in der Gegend unterwegs waren. Vermutlich wird schon eine Vermisstenanzeige aufgenommen«, setzte er mit einem Zwinkern hinzu. »Ich glaube übrigens nicht, dass von dem Kerl im Treppenhaus irgendwas kommt. Wer einem anderen so auf den Arsch guckt, kann nicht hetero sein. Entweder er ist bi oder schwul. Aber er war sehr diskret, als wäre er sich selbst nicht sicher, was er ist.«

Ein weiteres Mal ging ich in Gedanken die Mietparteien durch, während ich Holger zur Tür folgte.
»Ich glaube, sein Name war Hold oder Held. Er hatte den Briefkasten gerade geleert und ich konnte das Schildchen nicht genau sehen«, erzählte er auch schon weiter.

Ich blieb stehen. »Du meinst, er ist schwul?«

»Warum so überrascht?« Holger, die Hand bereits auf der Türklinke, drehte sich zu mir um. Im nächsten Moment hoben sich seine Augenbrauen. »Ist das etwa der, von dem mir Henry erzählt hatte? Witwer, zwei Kinder und ihr habt da was am Laufen? Habe ich es jetzt etwa versaut?«

KirschheldenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt