Nichts als Anklagen ließ meine Mutter auf mich herabregnen. Ich würde Janas Andenken in den Dreck ziehen. Die Kinder würden einen Knacks kriegen und bräuchten psychologische Betreuung, wenn sie von einem Homopärchen aufgezogen werden. Sie findet sowieso die Vorstellung abstoßend, dass zwei Männer das Bett teilen. Aber: Sie hat ja überhaupt nichts gegen Schwule und Lesben. Es soll jeder leben, wie er, sie oder es es mag – solange sie und ihr persönliches Umfeld davon verschont bliebe. Dabei triefte jedes Wort von Hohn und Abscheu.
Ich hatte versucht, ruhig zu bleiben, aber je giftiger sie wurde, umso schwerer fiel es mir. »Welch eine Heuchelei!«, hatte ich sie angeschrien. »Wünschst du dir die Gaskammern zurück?«
Im nächsten Moment schmerzte meine Wange und ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass sie mir gerade eine Ohrfeige versetzt hatte.
»Nun sieh, wozu du mich getrieben hast!«, hörte ich meine Mutter sagen. »Aber so lasse ich nicht mit mir sprechen. Ich habe dich zu einen anständigen Menschen erzogen. Nun sieh, was aus dir geworden ist.«
Demonstrativ strich ich über mein Gesicht, wo noch immer ein leichter Schmerz unter der Haut summte. Wer schlägt, dem gehen die Argumente aus, hätte ich zu gern gesagt und noch so manches andere, das sie nur noch mehr auf die Palme gebracht hätte. Aber seltsamerweise war mit dem Schlag mein Zorn verraucht.
»Hat mich die Freundschaft zu Julian unanständig werden lassen?«, fragte ich ruhig und sah sie herausfordernd an. »Ich denke nicht, dass mich der Umgang zu einen schlechten Menschen gemacht hat. Ich sehe nur manches klarer.«
In einer hilfesuchenden Geste hob meine Mutter die Hände. »Warum muss es ausgerechnet ein Mann sein? Warum nicht ein nettes Mädel?« Sie jammerte und es war Zeit für mich, zu gehen. Wenn mir jemand mit Wut begegnete, damit konnte ich umgehen, aber nicht dieses weinerlich-hilflose. Das passte nicht zu ihr.
»Weil mich kein Mädel interessiert«, sagte ich und griff nach meinem Handy, das vor mir auf dem Küchentisch lag. In der Sekunde verkündete es den Eingang einer Nachricht. »Juli« las ich und das Wort war nicht nur für mich lesbar.
Meine Mutter schnaufte ungehalten. »Aber der interessiert dich? Juli! Wie praktisch! Rufst du nach einem, kommen gleich zwei angerannt!«
»Das reicht!« Unbemerkt war Vater zurückgekehrt, stand nun in der Küchentür und brachte den Duft von eisiger Winterluft mit. Nun funkelte er aufgebracht seine Frau an. »Du vergisst dich! Wenn du dein einziges Kind vergraulen willst, dann ist das der sicherste Weg. Wenn nicht, dann akzeptiere seine Entscheidung. Er ist alt genug, um zu wissen, was er tut. Und du Lukas, du solltest nun gehen«, fügte er an mich gewandt hinzu. »Ich hatte auf ein entspanntes und geruhsames Weihnachtsfest mit euch gehofft, aber davon kann ja nun nicht mehr die Rede sein.«
»Wo sind die Kinder?«, fragte meine Mutter. Ihre Flucht aus der Situation.
»Die beiden sind in der Stube und haben zum Glück nichts von deinem Gezeter gehört.«
»Gezeter?« Mutters Stimme klang schrill in der kleinen Küche. »Wenn ich verärgert bin, darf ich doch wohl etwas lauter werden!«
Ein weiterer scharfer Blick meines Vaters traf sie, dem sie auswich und auch ich trat den Rückzug an.
Ich schob mich an Vater vorbei, schlüpfte in die Jacke und die Schuhe und wollte das Wohnzimmer betreten, um mich von Jakob und Julia zu verabschieden. Aber sie waren bereits wieder in ihren Spielen vertieft, dass ich sie nicht stören wollte. Still beobachtete ich sie und der Gedanke, jetzt zu gehen und sie hierzulassen, schmerzte mehr als die Ohrfeige vorhin.»Schick eine Nachricht, wann ihr sie morgen abholen wollt.« Vater war neben mich getreten und folgte meinem Blick. »Heute noch zu fahren, hat keinen Sinn. Sie wären verwirrt und traurig.«
»Das hatte ich auch nicht vor«, gab ich zu. »Ich muss sehen, wie es Julian geht.«
»Es geht ihm schlecht. Er hatte vorhin Karla gehört.«
Mehr musste mein Vater nicht sagen, um mir das ganze Ausmaß des Desasters vor Augen zu führen.
Er begleitete mich noch zur Tür, wo mir die eisige Luft in die Nase und die Wangen zwickte. Aber die war mir wesentlich lieber als die Kälte, die mir meine Mutter gezeigt hatte.

DU LIEST GERADE
Kirschhelden
Roman d'amourFür Lukas Held bricht die Welt zusammen: Seit Tagen schleppt sich der Witwer mit Schmerzen herum und plötzlich geht nichts mehr. Er muss ins Krankenhaus. Aber was soll mit seinen Kindern geschehen? Weil er sich nicht anders zu helfen weiß, bittet er...