2.Kapitel: Bailin 白鳞

35 2 0
                                    

Etwas glänzend Weißes schoss aus dem Wasser und eilte auf sie zu. Das Ding war unglaublich lang und bewegte sich geschmeidig durch die Lüfte. Es sperrte bedrohlich sein Maul auf und kam auf sie zu. Molli schrie. Sie war nicht in der Lage, wegzurennen. Plötzlich war das Monster verschwunden---und vor ihr stand ein junger Mann, der sie wütend anschaute.

Mollis Kinnlade klappte herunter. Sie rieb sich die Augen. Da war so n' Monster gewesen, und jetzt stand ein Mensch vor ihr. Einfach so.

„Jetzt reicht's aber", sagte er unvermittelt(auf chinesisch natürlich),

„Täglich kommen Menschen und schreien und brüllen und geben keine Ruhe. Das Meer ist nicht zum rumbrüllen da! Als ob es nicht genug ist, dass ihr Fische fangt und Öl reinkippt. Können wir nicht wenigstens ein Nickerchen halten, ab und zu?! Aber nein, da kommt ein Mädchen und schreit sogar in einer anderen Sprache!"

Molli starrte ihn an, unfähig, das zu aufnehmen, was er gesagt hatte, und unfähig, zu sprechen. Seltsamerweise musterte der junge Mann sie auch.

Natürlich war er ein Chinese, aber so, so anders!

Er schien direkt aus einem Film entsprungen zu sein. Er trug ein lockeres weißes Hemd, das an den Handgelenken eng geschnitten und mit roten Bändern zusammengeschnürt war. Darüber ein weißes Wams, auf dessen Vorderseite seltsame Ornamente gestickt waren. Die Hose war ebenfalls weiß und mit Stickereien besetzt, darunter ein paar weiße Stiefeln, gleichsam mit roten Bändern zusammengehalten. Die langen, schwarzen Haare fielen teilweise über die Schultern und die oberen Partien waren zu einem lockeren Dutt zusammengesteckt. Dies wirkte keinesfalls weiblich. Seine Haut war beinahe so weiß wie ihre. Die dunklen Brauen gingen nach oben und nicht wieder herunter, was ihm ein edles Aussehen verlieh. Der Mund hätte schön sein können, wenn er gelächelt hätte. Aber am meisten faszinierte sie seine Augen: groß, aber nicht zu groß, die äußeren Augenwinkeln leicht nach oben gebogen. Die schwarze Iris, die sie am Anfang zornig angefunkelt hatte wie der stürmische Ozean, hatte sich langsam beruhigt und zeigte nun einen neugierigen Schimmer.

Sie konnte seine Einwirkung auf sie nicht einschätzen. War das Ehrfurcht? Oder Bewunderung?

„Hast du deine Sprache verloren?", fragte er ungeduldig. „Oder verstehst du kein Chinesisch?"

„Doch", brachte sie mühsam hervor.

„Na also", sagte er, verschränkte seine Arme und schwieg. Er setzte eine sehr arrogante Miene auf. Molli konnte es ihm nicht einmal übel nehmen. Instinktiv wusste sie, dass der Mann---vielmehr der Junge---seinen guten Grund dazu hatte. Als sie nichts sagte, kniff er seine Augenbrauen zusammen.

„Ich erwarte eine Entschuldigung von dir."

„Was habe ich denn gemacht?"

„Du hast mir den Mittagsschlaf geraubt. Durch dein Geschrei." In Mollis Kopf drehte sich alles. Sie bekam kaum mit, dass er sagte: „Na los, beeil dich."

„Wie kann ich dich denn geweckt haben? Du lagst doch nicht auf dem Strand! Hast du im Wasser geschlafen?", fragte sie.

Sie hoffte, dass das ein Scherz war. Aber es war keiner.

Für einen Augenblick verlor der junge Mann seine Fassung. Er zog sie ein Stück weiter von den tobenden Wellen zurück.

„Sag mir, was du gerade gesehen hast", forderte er. Molli erzählte es ihm. Daraufhin fing er an zu fluchen.

„Was mache ich jetzt bloß mit dir?!", seine Stimme war nicht minder laut als ihre vorhin.

„Wie wäre es, wenn du mir das Phänomen von gerade eben erklärst?", erwiderte Molli ungeduldig. Sie wollte wirklich wissen, was es mit dem langen, weißen Monster auf sich hatte.

Die Long-DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt